Bank-Geheimnisse: Seit 20 Jahren betreut Reinhold Mieritz das Gemeindearchiv seines Heimatdorfes, das er liebt
Todendorf. Die "Friedenseiche" ist wohl nicht zu retten. Der ehemalige Dorfkrug an Todendorfs Hauptstraße wird über kurz oder lang doch abgerissen. "Ein trauriges Kapitel", sagt Reinhold Mieritz. Die Gemeinde ist bereits aufgefordert, die Feuerwehrsirene vom Dach des Hauses abzumontieren. Seine Hoffnung, dass der Denkmalschutz das weiße stattliche Gebäude als Ortsbild prägend einstufen würde, ist dahin.
Im Gemeindearchiv, das Mieritz seit 20 Jahren betreut, schlummern die Bauzeichnungen aus dem 18. Jahrhundert - neben vielen anderen Material, das er für die Nachwelt sichert: Zeitungsausschnitte, Gemeinderatsbeschlüsse, 3500 Fotos vom Dorf, seiner Entwicklung und seinen Menschen. "Lauter so Kinkerlitzchen. Ich könnte Ihnen auch sagen, wie viele Störche in Todendorf aufgewachsen sind", sagt Mieritz.
Er ist Chronist, kein Archivar, hat neben vier vollen Aktenschränken allerlei Gerät im Mehrzweckhaus untergebracht. Eine Dezimalwaage etwa, mit der früher Kartoffeln gewogen wurden. Sein Faible für Geschichte, seine Leidenschaft fürs Sammeln macht ihm nicht jeden zum Freund. "Der Mieritz handelt mit alten Sachen und schleppt uns die Bude voll", solche Seufzer kommen ihm durchaus zu Ohren. Das ficht ihn nicht wirklich an. "Von der Foto-Ausstellung zur 750-Jahr-Feier im vorigen Jahr waren alle begeistert", sagt er.
Reinhold Mieritz ist mit dem Dorf fest verwachsen. Er sei "ein echter Eingeborener."
Im Januar 1931 kommt er in einem Haus an der Hauptstraße zur Welt. Es ist die Poststelle, die seine Eltern führen. Als Reinhold und sein jüngerer Bruder alt genug sind, helfen sie der Mutter, Briefe und Ansichtskarten auszutragen. "Ich kannte jedes Haus", sagt er. Ende der 30er-Jahre hat Todendorf rund 700 Einwohner. Und jeder kannte die Familie. Auch weil Vater Wilhelm mit seinem Akkordeon über die Dörfer zog und bei Schützenfesten und Familienfeiern aufspielte.
Reinhold Mieritz ist zehn Jahre alt, als er vom damaligen Postamtsvorsteher aus Trittau vereidigt wird, um Telegramme aufnehmen und zustellen zu können. Heute noch kommen ihm die Tränen, wenn er sich daran erinnert, was für Schicksalsnachrichten er in diesen Kriegszeiten weiterleiten musste. Er besucht die Realschule in Bad Oldesloe, erlebt dort die Bombenangriffe mit. Immer wieder muss er auf Anordnung des Ortsgruppenleiters Flüchtlinge "verbringen", das heißt ihnen eine Bleibe vermitteln. "Einmal war es eine Frau mit fünf Kindern, die wollte der Bauer nicht aufnehmen. Erst als ihm mit Standgericht gedroht wurde, lenkte er ein", erinnert sich Mieritz.
Nach dem Krieg geht er bei einem Ahrensburger Betrieb in die Lehre, wird Bauschlosser, aber nicht glücklich in dem Beruf. Erst nach einer weiteren Ausbildung zum Maschinenbauer macht er seinen Weg. Auch privat. Als er 1956 im Ahrensburger Werk des Zigarettenkonzerns BAT anfängt, kann er endlich auch seine Edelgard heiraten. Das Flüchtlingskind mit den langen roten Zöpfen kannte er vom Sehen. Dann, am 9. April 1953, steht sie beim Tanz in der Friedenseiche plötzlich vor ihm. 15 Jahre jung, Kurzhaarschnitt. "Wir haben einmal zusammen getanzt und dann war das Ding gelaufen", sagt Reinhold Mieritz. "Den Groten sünn wi los", hat sein Vater am nächsten Tag zur Mutter gesagt. Die Schwiegereltern bleiben skeptisch.
Noch am Tag der Hochzeit, als der junge Bräutigam seine künftige Schwiegermutter im eigenen Fiat 600 - mit Warmwasserheizung, für 150 Mark extra - abholt, sagt die: "Muss das denn jetzt schon sein?" Ihr Einverständnis gibt sie trotzdem. 1988 schließt das BAT-Werk, Mieritz wickelt es mit ab, geht in Rente und stürzt sich in die Chronistenarbeit. An vielen Entscheidungen für das Dorf hat er selber mitgewirkt. Seit 1970 sitzt er für die Wählergemeinschaft im Gemeinderat. Mit einer Pause von1982 bis 1990. "Können Sie sich vorstellen, dass mit einer Stimme Mehrheit der Beitritt zum Wasserbeschaffungsverband abgelehnt wurde? Dass wir uns weiter mit Wasser aus den Brunnen, statt vom Wasserwerk Barkhorst versorgen wollten?"
Bei ihm seien damals, 1976, nach dieser Entscheidung die Sicherungen rausgesprungen. Als "Hinterwäldler" habe er die Beitrittsgegner tituliert, sich dafür im Anschluss "schwer entschuldigt" und der Ortspolitik erst einmal den Rücken gekehrt. Kurz darauf wurde der Beitritt einstimmig beschlossen." Heute ist jedes Haus in Todendorf ans Wasserwerk angeschlossen.
Fortschrittlicher waren die Ortspolitiker damals in einer anderen Sache. Und einig obendrein. "Wir wollten aus der ehemaligen Volksschule ein Mehrzweckhaus machen. Wir haben solange verhandelt, bis der damalige Landrat Wennemar Haarmann uns die 64 000 Mark bewilligte", erzählt Mieritz. So kam es, dass in Todendorf das erste Mehrzweckhaus im Kreis entstanden sei.
1999 wurde das Haus abgerissen und ein neues errichtet. "Das war gut investiertes Geld. Das Haus wird rege genutzt, ist ständig ausgelastet." Der Hobby-Fotograf hat den Bau mit der Kamera dokumentiert, die datierten Aufnahmen liegen im Archiv. Zu ihnen haben sich Fotos von der Entstehung des neuen Wohngebietes Am Hofplatz gesellt. Mieritz schwört auf analoge Kameras. "Wer weiß schon, wie lange eine CD hält", sagt er. Im Januar wird er 80 und hört nach einem Vierteljahrhundert als Schriftführer im Sportverein auf. Fotos wird er weiter machen, auch von der Landesstraße 90. "Auch so ein trauriges Kapitel. Nein, eher eine Schande", sagt er. Wenn sich Lastwagen und die großen Gelenkbusse begegnen, müssen sie die Seitenspiegel einklappen.
"Die Grundstückskäufe sind getätigt, alles ist vorbereitet." Das Land aber blockiert den dringenden Ausbau. Reinhold Mieritz wohnt bis heute in dem Haus, das er 1959 mit Ehefrau Edelgard gebaut haben. Beide Töchter sind in Todendorf zur Welt gekommen, beide im Ort geblieben. Edelgard Mieritz starb von 18 Jahren. Von der Terrasse blickt Mieritz in den gepflegten Garten. Er sagt: "Ich lebe gern in meinem Dorf."