Angehörige von Missbrauchsopfern fordern bei Info-Abend der Kirche in Ahrensburg rückhaltlose Aufklärung und keine pauschale Entschuldigung.
Ahrensburg. Der Wunsch nach Aufklärung der Missbrauchsvorwürfe gegen zwei evangelische Ruhestandsgeistliche in Ahrensburg ist groß. Mehr als 200 Menschen kamen auf Einladung des Kirchenkreises Hamburg-Ost in den Alfred-Rust-Saal, um sich zu informieren und um Fragen zu stellen. Anlass der Veranstaltung waren Vorwürfe, dass es von Ende der 70er- bis Mitte der 80er-Jahre in der Gemeinde Kirchsaal Hagen sexuellen Missbrauch von Jugendlichen durch einen Pastor und sexuelle Übergriffe auf junge Erwachsene durch den anderen Pastor gegeben habe. Der ungeheuerliche Verdacht war im Mai durch den Brief eines Opfers an die Bischöfin Nordelbiens, Maria Jepsen, öffentlich geworden. Das Kirchenamt in Kiel ermittelt gegen beide Ruhestandsgeistliche.
"Was heute bekannt ist, ist nur die Spitze des Eisbergs", sagte Stephan Kohn als Angehöriger eines Opfers zu Beginn. "Doch der Aufklärungsprozess kommt nicht weiter, wenn sich nicht noch mehr Opfer in die Öffentlichkeit trauen." Die Opfer und ihre Angehörigen würden nicht nur Aufklärung von der Kirche erwarten, sondern auch Konsequenzen. Kohn: "Wir brauchen keine pauschale Entschuldigung, sondern die Gewissheit, dass sich solche Dinge nicht fortsetzen können."
Der Sprecher der Opfer erinnerte an den Rücktritt der EKD-Vorsitzenden Margot Käßmann. Da habe es nur eine Scheidung, zwei Gläser Rotwein und eine rote Ampel zur Niederlegung ihres Amtes gebraucht, so Kohn.
Die Menschen im Saal hörten gebannt zu. Groß war die Erwartung an Vertreter des Kirchenamts, des Kirchenkreises und der Nordelbischen Kirche, die sich Montagabend allen Fragen stellen wollten. Unter der Moderation von Werner Mitsch, ehemaliger Bürgermeister von Bargteheide, sollten auch die externe juristische Beauftragte der Kirche, Gisela Friedrichs, und Elke Visser von Zornrot, einer Hamburger Beratungsstelle für sexualisierte Gewalt, Antworten liefern. Doch der gesetzte Zeitrahmen von zwei Stunden reichte bei weitem nicht, um den Fragen des Plenums gerecht zu werden. Zu groß war der Umfang, zu komplex die Thematik der Fragen.
Die kritischen Worte von Stephan Kohn spiegelten sich in vielen Fragen wider, die Zuhörer anonym zu Papier brachten: "Wann wird endlich offen und ehrlich über kirchliche Hierarchie geredet, die bis in jede Kirchengemeinde reicht?", "Hindert Kollegialität am Hinschauen, Aufdecken und Anzeigen?" und "Warum handelte die Pröpstin 1999 nicht im Sinne einer Strafverfolgung. Verjährt Strafvereitelung im Amt auch?". Fragen, die den Finger in die Wunden der Kirche legen. Diese zeigte sich bemüht, die Umstände jener Zeit aufzuarbeiten, in der Schutzbefohlene in den eigenen Reihen missbraucht worden sein sollen.
Hans-Jürgen Buhl, Organisationsberater des Stormarner Kirchenkreises und Koordinator des Ahrensburger Gremiums, das sich seit Juni mit der Aufarbeitung befasst: "Wir beleuchten besonders den Zeitraum von 1983 bis 1999 kritisch. Dabei befragen wir uns auch, welche Aufgabe jeder einzelne von uns in dieser Zeit hatte." Eines der Opfer, Sebastian Kohn, helfe dem Gremium dabei, so Buhl. Gleichzeitig beschäftige sich ein Krisenstab des Kirchenkreises unter Leitung von Ulrike Murmann, Hauptpastorin und Pröpstin, mit den Vorwürfen. Zwar gebe es kleine Reibungsverluste auf kirchlichen Ebenen, und die Klärung brauche Zeit, aber man sei "streng dabei".
Die Auseinandersetzung mit den Vorwürfen rief indes auch Bedenken hervor. So lautete ein anonymer Hinweis an diesem Abend: "Wir müssen uns davor hüten, dass unser Mitgefühl mit den Opfern und unser Wunsch nach rückhaltloser Aufklärung nicht umschlägt in eine Inquisition." Als Gisela Frederking, Hamburger Anwältin für Opferrecht und Beraterin des jüngst von Opfern und Bürgern gegründeten Vereins "Missbrauch in Ahrensburg", forderte, sexueller Missbrauch dürfe nicht verjähren, erntete sie großen Applaus. Der Ruf nach einer entsprechenden Petition schallte aus dem Publikum. Klaus Fuhrmann, Koordinator der Jugendarbeit in der Ahrensburger Gemeinde, verwies noch kurz auf die Entwicklung eines Präventionskonzepts, dann war die Zeit um.
Zurück blieben viele offene Fragen, die dokumentiert und bearbeitet werden sollen, so Hans-Jürgen Buhl. Es seien weitere Informationsveranstaltungen angedacht. Pröpstin Ulrike Murmann sagte zum Abschluss: "Wir legen das nicht in die Schublade, wir bleiben am Ball."