Hamburger Abendblatt:

Freuen Sie sich, dass Sie nun bald die lärmenden Schüler los sind?

Christian Wendt

(lacht): Ganz und gar nicht. Der Beruf hat mir immer Freude gemacht. Aber nun darf Schluss sein. Ich bin mit 65 der älteste Schulleiter an Gymnasien in Schleswig-Holstein.

Hans Ilmberger:

Ich war mit 16 Jahren querschnittgelähmt. 2001 haben es die Ärzte als Multiple Sklerose eingeordnet. Deswegen gehe mit 61 Jahren. Aber es fällt mir schwer, denn es macht Spaß, Schulleiter zu sein.

Abendblatt:

Auch wenn das Image so schlecht ist? Immer wieder sagen Kritiker, Lehrer seien faul.

Ilmberger:

Die sollten mal mit meiner Frau telefonieren. Sie weiß, dass ich an Wochenenden durcharbeite, und zwar seit Jahren.

Wendt:

Das ist auch meine Redewendung: Fragen Sie meine Frau. Ich habe kein Wochenende und keine Ferien voll für mich gehabt.

Abendblatt:

Lehrer unterrichten. Aber was machen Schulleiter?

Wendt:

Sie müssen bei Tag und Nacht Rede und Antwort stehen. Wenn's gut läuft, sind viele beteiligt. Wenn's kritisch wird, halten sich alle an sie.

Ilmberger:

Schulleiter geben pädagogische Vorgaben, sie müssen sich aber genauso darum kümmern, dass Klopapier da ist. Man kriegt alles auf den Tisch, was nicht klappt.

Abendblatt:

Würden sie jungen Leuten empfehlen, ein Lehrerstudium zu beginnen?

Ilmberger:

Absolut. Allerdings könnte es in sieben, acht Jahren mit sinkenden Schülerzahlen aus ökonomischer Sicht problematisch werden.

Abendblatt:

Wie gut sind die Einstellungschancen heute?

Ilmberger:

Der Norden ist insgesamt sehr rigide. Schleswig-Holstein bildet nicht bedarfsgerecht aus. Wir bräuchten mehr Referendare. Wir bekommen zwar die besten. Aber sagen die Zensuren auch etwas darüber aus, ob man ein guter Lehrer ist?

Abendblatt:

Was ist ein guter Lehrer? Früher gab es den Rohrstock.

Ilmberger:

Unser Lehrer kam rein und sagte: Es ist schmutzig hier, räumt bitte auf. Als wir dann alles aus dem Fenster schmissen, hat er jedem von uns einE Ohrfeige gegeben. Und die Eltern haben gesagt, er hat Recht.

Abendblatt:

Aber das ist doch glücklicherweise vorbei.

Ilmberger:

Natürlich. Aber ein Beispiel: In Dänemark wurde ein Schüler von einem Mitschüler drangsaliert. Die Mutter des Opfers stellte den anderen zur Rede und wurde beschimpft. Daraufhin scheuerte sie ihm eine - und musste ins Gefängnis. Ihr Sohn ging von der Schule. Der andere durfte bleiben. Diese Entwicklung ist überdreht.

Wendt:

Völlig klar, Gewalt ist kein Mittel. Aber dies ist ein Stück aus dem Tollhaus und zeigt, wie sich Dinge verkehren können.

Abendblatt:

Sie wissen am besten, wie sich Schule verändert hat.

Wendt:

Im Schnitt gab's alle vier Jahre einen neuen Erlass. 30 Jahre auf der Stelle zu treten, wäre nicht gut gewesen. Aber der jetzige Reformeifer ist übertrieben.

Ilmberger:

Problematisch ist vor allem das Gymnasium in acht Jahren. Ich meine, man sollte G 8 und G 9 parallel anbieten. Und die Profiloberstufe verschult die Schule. Den Freiraum und die Spezialisierung der Leistungskurse gibt es nicht mehr.

Wendt:

Die Profiloberstufe ist eine verbrämte Zurückführung auf das alte System. Und zwar, um Geld zu sparen. Eindeutig.

Abendblatt:

Was würden Sie als Bildungsminister alles ändern?

Wendt:

Mehr Ruhe in die Entwicklung bringen und Anordnungen dreimal prüfen, damit nicht laufend Korrekturen kommen. Und vor allem: Nicht nur nette Worte, sondern die Schulen materiell und personell unterstützen. Es gibt zu viele Sprechblasen.

Abendblatt:

Worauf sind Sie stolz?

Ilmberger:

Als ich 1996 anfing, hatte das Gymnasium eine schlimme Zeit hinter sich. Es gab Kleinkrieg im Kollegium. Mir war wichtig, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen. Daraus ist die Partnerschaft zu einer Schule in Tansania entstanden. Und ich wollte Schwerpunkte setzen im sprachlichen, naturwissenschaftlichen und ästhetischen Bereich und meiner Schule ein Profil geben. Das ist gelungen.

Wendt:

Ich habe das Heimgarten-Gymnasium in Ahrensburg ein Stück mitentwickelt - und das mit dem ganz großen Baustein Asbestsanierung. Und dann war ich sieben Jahre an der deutschen Schule in Kapstadt und habe dort ein Umweltprojekt durchgesetzt. Darauf bin ich wirklich stolz. Wir haben in der Regenzeit Wasser aufgefangen, um es später als Brauchwasser zu verwenden. Schule muss ein Zeichen setzen. Das kannst du bestätigen.

Ilmberger:

Auf jeden Fall.

Abendblatt:

Sie duzen sich?

Wendt, Ilmberger

(aus einem Munde, lachen): Schon lange.

Abendblatt:

Dann arbeiten Ihre Schulen bestens zusammen?

llmberger:

Allerdings. Aber als ich 1996 in Bargteheide anfing, gab es jede Menge Konkurrenz. Immer wieder sagten Kollegen: Siehst du, typisch Eckhorst! Das hat sich geändert.

Abendblatt:

Angenommen, Sie bekämen zum Abschied eine Million Euro für ihre Schule.

Ilmberger:

Ich würde die technische Ausstattung auf den modernsten Stand bringen und eine Mediathek bauen lassen. Wir mussten unsere Bücherei aus Platzgründen auflösen.

Wendt:

Wir würden auch anbauen, für eine Cafeteria. Und dann würde ich personell aufstocken, um Lehrer zu entlasten und Schüler besser zu fördern.

Abendblatt:

Und wenn es eine Million für den Ruhestand gäbe?

Wendt:

Ich würde für meinen Segelflugverein den Sportflugplatz in Grube kaufen. Und ich würde für Kinder in Afrika spenden.

Ilmberger:

Ich würde unserer Partnerschule in Tansania Geld geben. Und den Rest würde ich anlegen. Ach ja, und ich würde mir ein neues Cello kaufen.

Abendblatt:

Wissen Sie noch, was in Ihrer Schultüte war?

Ilmberger:

Ich hatte keine Tüte. Aber meine Mutter hat eine Himbeerrolle gebacken.

Wendt:

Ich wurde von meinem Vater unterrichtet. Der war Dorfschullehrer im Landkreis Oldenburg. Die ganze Klasse hatte nur vier Schüler. Das war 1951. Man war sparsam, und so bekam ich zwar eine Schultüte mit Obst und Schokolade, aber keine Schultasche. Ich hab' dann so lange gequengelt, bis ich ihn endlich bekam, meinen eigenen Ranzen.