Sonnabend-Serie: Wir stellen Stormarner und ihre Berufe vor. Heute begleiten wir Andis Paegle, Kantor der Kirchengemeinde Bargteheide.

Es ist 8 Uhr. Andis Paegle muss raus aus den Federn. Nicht nur, weil die Arbeit ruft. Deutlicher zu hören sind Helena und Emilia. Für die Dreijährige und ihre einjährige Schwester hat der Tag eindeutig begonnen. Die erste Amtshandlung des Kantors: Griesbrei machen. "Jetzt sind sie glücklich." Dass ausgerechnet Brei Wunder wirkt, ist erstaunlich. "Die wissen noch nicht, dass Brei doof ist", sagt Andis Paegle und lacht. Seine Frau Krista backt Brötchen auf. Es gibt Kaffee, dann noch ein Küsschen für Papa ? und der Bargteheider Kantor verlässt seinen Drei-Mädel-Haushalt.

9 Uhr: Gegen den Computer hat Bach morgens keine Chance

Nur ein paar Schritte die Lindenstraße runter, und er ist da. Die Paegles sind vor zwei Jahren nach Bargteheide gezogen. Der größere Umzug von Lettland nach Deutschland liegt für den Musiker 14 Jahre zurück. "Meine Frau ist auch aus Lettland. Wir sind sogar in Riga auf dieselbe Schule gegangen. Aber kennengelernt haben wir uns an der Musikhochschule in Lübeck. Dabei wollte ich gar nicht nach Deutschland. Verrückt", sagt Andis Paegle und schließt um 9 Uhr sein Büro auf.

An den Wänden Regale, vollgestopft mit Noten. Links vorm Fenster der Schreibtisch, in der Mitte ein Clavichord, rechts ein Bösendorfer-Flügel. Eine Ideal-Ausstattung. "Schumann meinte: Man sollte jeden Tag damit beginnen, Bach zu spielen. Ich schalte immer erst den Computer an", sagt der Kirchenmusiker, der nicht nur das A-Diplom in der Tasche hat und hervorragenden Griesbrei kochen kann, sondern auch Sinn für Humor besitzt.

Nur zwei E-Mails sind gekommen. Das geht. Aber Andis Paegle lässt sich ohnehin nicht unter Druck setzen. "Ich beantworte nicht alle, das ist nicht zu schaffen", sagt der 37-Jährige gelassen. Vor allem über die vielen Konzertanfragen will er nicht lange diskutieren. "Wir machen jedes Jahr ein Kinder-, ein Chor- und ein Orgelkonzert. Alles andere ergibt sich über direkte Kontakte."

Eine halbe Stunde später. Ein Stockwerk höher: Frühstück mit den Kollegen. In diesem Fall ein schöneres Wort für Dienstbesprechung. Es gibt Kekse und Kaffee. Heute stehen zwei Beerdigungen an, um 11 und um 14 Uhr. Für Paegle ist das nicht zu schaffen. Volker Reimann wird ihn am Nachmittag vertreten. "Ich war Rauschgiftfahnder. Orgeln kann ich eigentlich gar nicht", sagt der 69-Jährige und grinst. "Zum Glück haben wir richtig gute Leute für die Vertretung", kontert Andis Paegle. Einer ist Lehrer, ein anderer Gynäkologe alles ausgebildete Organisten.

Auch Konfirmationen müssen besprochen werden. Dafür ist Pastor Andreas Feldten gekommen. Ebenfalls beim Frühstück dabei: Pastor Jan Roßmanek und Monika Tietgen, die gute Seele der Verwaltung. Sie sagt: "Mit Eichede, der Kita und dem Friedhofsteam sind wir sind ein mittelständisches Unternehmen mit 80 Angestellten."

11 Uhr: Trauerfeier. Jetzt erklingt der erste Bach des Tages

Andis Paegle geht zurück in sein Büro. Schaut die Notenstapel durch. Nimmt sich Jacke und Tasche und läuft schnell rüber in die Kirche. Orgelschuhe holen. "Die sind schon acht Jahre alt", sagt er. An der Stelle, wo der Fußballen sitzt, ist ein Loch Spuren des Dauerkontakts mit den Orgelpedalen. "Ich habe drei Paar. Je feiner die Sohle, umso besser", sagt Andis Paegle. "Manche wollen aufgerautes Leder haben, andere glattes, damit sie rutschen können. Ich rutsche lieber", sagt der Kantor, steckt die Schuhe in die Tasche und fährt mit seinem Kombi zur Kapelle.

Pastorin Martina Mayer-Köhn erwartet ihn schon. Sie wird den Trauergottesdienst für eine Bargteheiderin halten, die mit 91 Jahren gestorben ist. Andis Paegle holt sich das Gesangsbuch. Dann kommt der erste Bach des Tages: "Ach Herr lass mein lieb Engelein" der Schlusschoral aus der Johannespassion. Andis Paegle spielt oben auf den Manualen und rutscht unten mit den Schuhen über die Pedale. Wie war das: "Manche nehmen Tanzschuhe" Jetzt sieht man, warum.

"Um 14 Uhr kommt Herr Reimann", ruft Andis Paegle dem Küster zu. Der Regen hat aufgehört. Andis Paegle geht zum Auto. Jetzt geht es an die Bensmann-Orgel.

12 Uhr: Endlich Zeit, um zu üben. Auch ein Kantor muss fit bleiben

Bis zum Mittag hat Andis Paegle endlich Zeit zu üben. Er muss fit bleiben und außerdem für den Seniorennachmittag heute die berühmte Arie "Lascia chio pianga" von Händel draufhaben. Andis Paegle greift in die Tasten des alten Instruments. "Als Kind wollte ich unbedingt Klavier spielen. Also habe ich mir aus Pappe eine Klaviatur gebastelt und so getan, als würde ich spielen. Spätestens da hat meine Mutter gemerkt, dass etwas geschehen muss. Mit Sechs kam ich auf eine musikalische Ganztagsschule." Jedes Jahr gab es eine Prüfung. Wer nicht genügte, musste die Schule verlassen. "Ach, das ging schon", sagt der Bargteheider, der schnurstracks bis zur elften Klasse durchzog und dann in Riga Chorleitung studierte. "Es gab im Ostblock auch die Methode, einem Schüler zu sagen: Mit dir wird das nie was. Nur um zu sehen, ob er mit dem Druck klar kommt. Aber bei uns herrschte immer eine freundliche Atmosphäre. Ich war in der Gesangsklasse. Wir waren zwölf Jungs. Mit vielen habe ich noch Kontakt."

Krista Paegle hat gekocht. Es gibt Lachs auf Reis und zur Freude der kleinen Paegle-Damen auch Nori-Blätter. "Die riechen so wie das Zeug, das im Hafen angespült wird", sagt Papa Paegle und verzieht aus Spaß die Miene. Aber auch er kann dem essbaren Japan-Papier etwas abgewinnen, muss sich allerdings beeilen. Der Seniorennachmittag beginnt gleich.

14.30 Uhr: Kantor küsst Küster, die Senioren sind begeistert

Der Saal im Stadthaus ist voll. "Donauwellen" zieren die Teller. Dann gibt Inga Krambeck, die Vorsitzende der Senioren- Union, das Zeichen. Zuerst wird ein Geburtstagskind geehrt. Irmgard Küster ist 82 Jahre alt geworden und bekommt zwei rosa-glasierte "Bargteheider Küsschen" und dann noch zwei richtige: Zuerst gratuliert Pastor Jan Roßmanek, dann Andis Paegle: Kantor küsst Küster. Die Senioren sind begeistert. Und die Stimmung hält an. Pastor Roßmanek trägt Gedichte und Geschichten vor und bringt das Publikum zum Lachen. Der Kantor spielt. Und der ganze Saal singt. Als dann der Buckel- Song von Pastor Cord Denker angestimmt wird, gibt es kein Halten mehr.

18 Uhr: Keyboard statt Orgel. Die Kirche in Eichede wird gerockt

Andis Paegle fährt vorbei an blühenden Rapsfeldern. Kurz vor sechs parkt er vor der Eicheder Kirche. Till erscheint mit seiner Geige. Dann kommt Jonathan und schließlich Lukas und Oliver. Das ist die Jugendband vier "people". Aber die sind voll dabei. "Andis ist Klasse. Mehr wie ein Freund", sagt Oliver. Paegle spielt schwierige Harmoniefolgen vor: im Jackett und mit schwarzem E-Bass. Das hat was. Nach einer Stunde ist die kleine Band in Fahrt und die Probe vorbei. "Mercy is falling", singt Oliver und wirft auf dem Weg nach draußen von der Musik euphorisiert sein Handy in die Luft.

21 Uhr: Die Chorprobe ist zu Ende. Danach ein Obstler im Büro

Auch im Eicheder Gemeindehaus findet sich nur eine kleine Truppe ein. Acht Leute. Eigentlich sind es 18. Das ist nicht gerade viel im Vergleich zur Kantorei, die donnerstags in Bargteheide probt. Aber die wenigen halten sich tapfer. Und Andis Paegle probt genauso intensiv, als wenn 60 Sänger da wären.

Um 22 Uhr ist Paegle zurück in seinem Büro. Die Kirchenvorstandssitzung ist gerade vorbei. Pastor Roßmanek erzählt, was los war. Zum Abschalten gibt es einen Obstler. Dann geht es nach Hause. Da wird noch schnell eine Scheibe Brot geschmiert, um 1 Uhr das Licht gelöscht. Morgen ist Sonntag. Andere schlafen aus. Ein Kantor muss zum Gottesdienst. Und die Paegle-Mädchen wollen vorher ihren Griesbrei haben.