Konsequent sparen, Grundstücke verkaufen: Bürgermeister Görtz und Kämmerer Teschke über ihren Weg raus aus den Schulden.
Bargteheide. Die Grundstücke gehen weg wie warme Semmeln. Alle wollen nach Bargteheide. Die Lage zwischen Hamburg und Lübeck, die Autobahnanbindung und das Angebot locken: Jugendsportpark, Kino, Freibad, alle Schulformen, Bücherei, Volkshochschule und Kita-Plätze. Und das alles ohne Kredite: Bargteheide ist landesweit die einzige schuldenfreie Stadt. Wie schafft sie das? Die Stormarn-Ausgabe des Abendblatts sprach mit Bürgermeister Henning Görtz und Stadtkämmerer Joachim Teschke.
Hamburger Abendblatt: Bargteheide hat zwei Alleinstellungsmerkmale: den Buckel und den nicht vorhandenen Schuldenberg. Der Buckel soll ja nun bald verschwinden. Der Schuldenberg ist noch nicht aufgetaucht. Sind Sie stolz darauf?
Henning Görtz: Ja, Es gibt so viele unterschiedliche Interessen. Trotzdem haben alle daran mitgearbeitet, dass wir schuldenfrei bleiben.
Joachim Teschke : Als ich 2001 in Bargteheide anfing, war die Stadt im landesweiten Vergleich überdurchschnittlich verschuldet. Wie viele Euros sind damals den Banken zugeflossen! Ich kann nur sagen: Wer ohne Not Schulden macht, handelt verantwortungslos.
Was ist das Bargteheider Geheimrezept?
Teschke: Nur das nächste Haushaltsjahr irgendwie zu retten, funktioniert nicht. Wir haben mindestens fünf Jahre im Blick. Ich höre immer: Es gibt kein Geld, um etwas zu sanieren. Wer das sagt, aber weiß, dass sich bei der Lebensdauer eines Gebäudes von 30 Jahren die Maßnahme nach acht Jahren amortisiert, der ist fehl am Platz.
Das Zauberwort ist also Vorausschau.
Teschke: Ja, und ehrliche Zusammenarbeit. Bei uns ist es selten, dass Baumaßnahmen plötzlich teurer werden.
Stichwort Elbphilharmonie
Teschke: In vielen Kommunen werden die Kosten vorher oft heruntergerechnet, um eine Maßnahme durchsetzen zu können. So was macht man nicht. Deswegen hat mich beeindruckt, dass in Bargteheide beim Thema Parkdeck die Reißleine gezogen wurde: zu teuer
Bei der Frage der Kinderbetreuung herrschte allerdings keine Eintracht. Die CDU wollte Räume mieten, die SPD einen Neubau für rund 1,5 Millionen Euro. Ein Sparkurs birgt politischen Zündstoff.
Görtz: Über einen längeren Zeitraum betrachtet ist das Bauen günstiger. Aber wenn die Zahl der Geburten rückläufig ist, dann ist die Mietlösung billiger, weil flexibler. Inzwischen ist die Diskussion allerdings weitergegangen. Es hat sich gezeigt, dass die Versorgungsquote nicht reicht. Erfreulich ist, dass nach der Auseinandersetzung jetzt alle an einem Strang ziehen. Es gab einen einstimmigen Beschluss für die Einrichtung von elf neuen Kita-Gruppen.
Das kostet - und zwar viel mehr als der 1,5 Millionen-Euro-Neubau.
Görtz: Wir rechnen mit Investitionen von 4,5 Millionen Euro.
Teschke: Die kann man angesichts der Betriebskosten von circa einer Million Euro jährlich fast vernachlässigen.
Görtz: Diese Entwicklung ist in der Tat ein Problem. Anfang der 90er-Jahre haben wir noch bei einer Million Mark gelegen. Jetzt sind wir bei jährlich fast drei Millionen Euro Betriebskosten für unsere Kitas angekommen.
Der SPD-Vorschlag für den Kindergarten-Neubau wurde abgelehnt, weil das Schulden bedeutet hätte.
Teschke: Es hatte danach ausgesehen. Nun ist der Jahresabschluss 2011 positiver ausgefallen. Aber das ist der Punkt: Erwartete Überschüsse sind noch keine. In Bargteheide werden Eventualitäten eben nicht sofort verfrühstückt. Das hat sich schon ausgezahlt. 2009 sind wir von mehr als 13 Millionen auf unter vier Millionen Euro Gewerbesteuer abgestürzt. Unsere Steuerschätzungen waren so vorsichtig gewesen, dass wir das abfedern konnten.
Wie hoch wären die Zinsen für die neue 1,5 Millionen-Euro teure Kita gewesen?
Teschke: Für ein Jahr 45 000 Euro. Geld, das sie nicht für anderes ausgeben können. Wenn sie das doch tun, weil sie die Ausgaben nicht aufschieben können, fallen wieder Kreditzinsen an. Und dann Zinseszinsen. Ein Teufelskreis.
Was machen ihre Kollegen falsch?
Teschke: Es ist nie das Verdienst eines Einzelnen. Ein Bürgermeister oder ein Kämmerer allein schafft es nicht. Und die Politik kann mit einer schlechten Verwaltung auch nichts machen.
Görtz: Aber es gehört auch Mut dazu. Wir haben für künftige Wohngebiete mehrere Hundert Flächen von Landwirten gekauft. Wir sprechen da über zweistellige Millionenbeträge. Da müssen sich schon alle einig sein, das Risiko einzugehen. Durch den Verkauf der Flächen als Bauland hatten wir die Wertschöpfung für uns. So hatten wir Geld, um Folgekosten bezahlen zu können, also Geld für neue Kindergärtenplätze und Schulerweiterungen.
Als sie 2001 ihre Arbeit als Kämmerer aufnahmen, hatte Bargteheide rund acht Millionen Euro Schulden. 2007 war der Schuldenberg weg. Was ist da passiert?
Teschke: Ein Teil der Schulden resultierte aus eben jener Bodenbevorratung. Unser Sparkurs hatte deshalb Erfolg, weil wir uns mit dem Verkauf der Grundstücke das Geld zurückgeholt haben. Und es war wichtig, einen Kämmerer einzustellen, der nur Kämmerer ist und keine anderen Aufgaben hat.
War das so, bevor Sie kamen?
Teschke: Ja. Ich habe dann regelmäßig Konsolidierungsrunden mit der Kommunalpolitik einberufen. Und wir haben Sondersitzungen mit dem Finanzausschuss gemacht, um auszuloten, wo sich Geld sparen lässt. Denn Sparen hat immer Vorrang vor dem Bemühen, mehr Einnahmen zu erschließen.
Wo haben sie gespart?
Teschke: Bei den Schulen beispielsweise. Wenn Raummangel herrschte, haben wir versucht, den Leerstand woanders zu nutzen und nicht gleich zu bauen. Das geht an einem Schulzentrum. Trotzdem hat es nicht allen gefallen.
Zinsen sind das eine, Tilgung das andere.
Teschke: Ich habe immer dafür gesorgt, dass wir mindestens zwei Prozent tilgen, damit man schnell von den Schulden runterkommt. Es gibt aber keine verpflichtende Regelung. Und das ist für manche meiner Kollegen schwierig. Nach fünf Jahren ist der Schuldenberg durch die Tilgung schon kleiner geworden. Das heißt, wir tilgen dann effektiv mehr als zwei Prozent. Aber viele Kommunen schulden regelmäßig um und fangen dann wieder bei einem Prozent an. Da laufen Objekte über 50, 60 Jahre.
Sie sprachen den positiven Jahresabschluss 2011 schon an. 13 Million Euro mehr als gedacht sind jetzt in der Stadtkasse. Ist das Alleinstellungsmerkmal "schuldenfrei" jetzt gesichert?
Teschke: Nein. Wir müssen uns nach der Decke strecken. Der Überschuss war angesichts der komplett geplünderten Rücklage und der für 2013 eingeplanten Kreditaufnahme von 2,7 Millionen Euro bitter nötig. Und er ist gefährlich.
Gefährlich?
Teschke: Ja. So viel Geld weckt Begehrlichkeiten. Wir dürfen jetzt keine falschen Impulse setzen. Der Überschuss stammt fast nur aus Einmal-Effekten: Geld aus dem Konjunkturpaket, höhere Steuereinnahmen und Grundstückserlöse. Die Kosten für neue Kita-Gruppen dagegen sind dauerhaft.
Görtz: Und wir haben große Projekte vor uns: die Umgehungsstraße, den neuen Bauhof, die Sanierung und Erweiterung der Gymnasien und die Sanierung des Freibades. Das sind jedes Jahr acht bis zehn Millionen Euro.
700 Millionen Euro neue Schulden sind 2011 bei den Kommunen aufgelaufen, so die Bilanz beim Städtetag.
Görtz: Eine besorgniserregende Zahl. Die Sozialausgaben und die Kinderbetreuung sind eine große Belastung. Aber die ist arbeitsmarkt- und familienpolitisch gewollt und ab 2013 gesetzlich vorgeschrieben. Den Löwenanteil tragen die Kommunen.
Aber das Land ist ja auch pleite.
Görtz: Was können wir uns noch leisten? Eine schwierige Diskussion, besonders in Stormarn, weil wir mit einer Arbeitslosenquote von unter vier Prozent schon Arbeitskräftemangel haben und die Kinderbetreuung brauchen.
Teschke: Wer sich etwas leisten will, muss auf anderes verzichten. Selbst bei einem Elternbeitrag von 30 oder 40 Prozent, muss der Rest noch finanziert werden, und sei es über höhere Steuern. Letztlich zahlt die Gemeinschaft.
Wie hält es der Kämmerer Zuhause?
Teschke: Ich leide keine Not (lacht). Privat kann ich mein Geld auch ganz anders anlegen, als für die Stadt.
Sie sind doch nicht etwa ein Zocker?
Teschke: Im zarten Alter von 16 Jahren habe ich meine ersten Aktien gekauft. Mit diesem Geschäft konnte ich mein Führerschein bezahlen und mein Auto. Mein größter Verlust waren drei Cent - pro Papier. Das hält sich in Grenzen.
Görtz: Ich habe nur ein Sparbuch bei der Raiffeisenbank Bargteheide (lacht)
Teschke: Da sollte sie sich aber mal dringend beraten lassen. Seriös.