Lütjensee. Ministerpräsident besucht innovativen Mittelständler PAV in Lütjensee – und reagiert auf Kritik am deutschen Beschaffungswesen.

Wer in Schutzkittel, Haarnetz, Maske und Füßlingen den Reinraum mit der Maschinenreihe zur Produktion von FFP2-Masken betritt, glaubt kaum, dass er sich eigentlich in einer Druckerei befindet. Von endlosen Papierbahnen und Druckerschwärze ist hier keine Spur. Der 1925 in Pommern gegründete Paul Albrechts Verlag (PAV), der 1956 nach Lütjensee zog, gilt längst als Paradebeispiel für ein Unternehmen, das mit der Zeit geht und den digitalen Wandel aktiv gestaltet. Grund genug für einen Besuch des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) in der Stormarner Provinz.

Seit 2020 werden Schutzmasken produziert

„Wir haben Krisen schon immer als Chance gesehen“, sagt Isabel Höftmann-Toebe, die 2020 die Geschäftsführung von ihrer Mutter Ingrid Toebe-Albrecht, der Tochter des Gründers, übernommen hat und die Firma seitdem mit ihrer Schwester Silvia Bühler-Toebe leitet. Als die Corona-Pandemie das Land überrollte, richtete PAV in kürzester Zeit eine eigene Produktion für medizinische Masken ein und stellt seit 2022 auch FFP2-Masken her. „Mit deutschen Maschinen und Zertifikat“, wie Höftmann-Toebe betont.

Daniel Günther im Gespräch mit Geschäftsführerin Isabel Höftmann-Toebe.
Daniel Günther im Gespräch mit Geschäftsführerin Isabel Höftmann-Toebe. © HA | Lutz Kastendieck

Doch dann habe Deutschland massenhaft Masken aus Fernost geordert, vornehmlich aus China, während nationale Hersteller immer öfter das Nachsehen hatten. Das sei weder nachhaltig noch weitsichtig gewesen. „Weil zu oft der Preis das alleinige Kriterium für die Auftragsvergabe ist, gibt es für deutsche Firmen oft keine Planungs- und Investitionssicherheit“, kritisiert Höftmann-Toebe. Hier sei die Politik gefordert.

Preis darf nicht einziges Vergabekriterium sein

Nachbar Frankreich etwa sei ganz anders vorgegangen. Dort seien nationale und europäische Firmen durch die Vergaberichtlinien deutlich besser beteiligt worden als hierzulande. Das sei nicht zuletzt deshalb fatal, weil es die Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Wirtschaftsmächten verstärke. Wohin das führe, zeige gerade der Energiesektor. Nach dem Ausfall russischer Gaslieferungen sei die Ersatzbeschaffung extrem schwierig geworden, was nicht zuletzt zu exorbitanten Preissteigerung geführt habe.

„Ja, die öffentliche Auftragsvergabe in Deutschland ist zuweilen problematisch“, räumte Daniel Günther unumwunden ein. Es dürfe nicht sein, dass der schiere Preis das einzige und alles andere überragende Kriterium sei. Überdies sei es an der Zeit, die kritische Infrastruktur neu zu definieren und zu bewerten und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Das eigene Potenzial ideologiefreier nutzen

„Das betrifft ja nicht nur Medizinprodukte und Energiequellen, wie gerade die anhaltende Diskussion um die Ausrüstung der Bundeswehr offenbart“, sagt Günther. Auch hier gelte, dass die einheimische Produktion und die daran hängenden Arbeitsplätze mehr wertgeschätzt und geschützt werden müssten. Es gelte, das eigene Potenzial „ideologiefreier“ zu nutzen.

In diesem Zusammenhang beklagte der Landesvater zudem ein Übermaß an Mitbestimmungs- und Klagemöglichkeiten. Demokratie sei ein wertvolles Gut, dazu gehöre auch die Bürgerbeteiligung. „Doch wenn wichtige Prozesse um Jahre verzögert und sogar verhindert werden, begeben wir uns damit in immer neue Abhängigkeiten, die Risiken und Gefahren bergen“, so der Landesvater.

Marktführer bei elektronischen Gesundheitscards

Deshalb sei es auch extrem wichtig, dass Deutschland den digitalen Wandel selbst konsequent vorantreibe, um hier nicht weiter an Boden zu verlieren. Das beginne mit dem Informatikunterricht an den Schulen, setze sich bei Forschung und Lehre an den Universitäten fort und ende bei neuen, innovativen Lösungen durch deutsche Unternehmen.

So wie der Paul Albrechts Verlag. Innerhalb weniger Jahre hat sich das familiengeführte Unternehmen zu einem leistungsstarken Mittelständler entwickelt. Neben dem Formulardruck, der mit dem 1992 erbauten Werk in Lütjensee-Dwerkaten noch heute eine wichtige Säule bildet, gehört PAV zu den Pionieren bei der Entwicklung kontaktloser Ausweis-, Bonus-, Rabatt- und Clubkarten bis hin zu Inlays für biometrische Pässe. Heute gehört die Firma zu den Marktführern bei der Erstellung elektronischer Gesundheitskarten.

„Wir wollen zum Amazon für alles rund um Arztpraxen werden“, sagt Silvia Bühler-Toebe. So engagierte sich PAV auch bei der Entwicklung von eRezepten. Doch trotz eines positiv verlaufenen Pilotprojekts in Westfalen-Lippe erhielt letztlich der US-Konzern IBM den Zuschlag. Dennoch bleibe man am Ball und arbeite derzeit an neuen Lösungen für eine sicher verschlüsselte Verordnungssoftware.

Digitale Transformation funktioniere aber nicht ohne engagierte Fachkräfte. „Um den Mangel in vielen technischen Berufen wirksam zu begegnen, wünschen wir uns eine Vorreiterrolle des Landes“, sagt Bühler-Toebe. Auch hier zeigte sich der Ministerpräsident offen. „Dass aktuell viele Plätze in Ingenieurstudiengängen unbesetzt sind, zwingt uns zum Umdenken“, fordert Günther. Unternehmen müssten mehr Möglichkeiten bekommen, sich in Schulen zu präsentieren und für sich zu werben. „Eine Ausbildung halte ich in dieser angespannten Situation für wichtiger als ein Studium. Zumal auch solche Abschlüsse erstklassige Berufschancen und Aufstiegsmöglichkeiten bieten“, ist der Landesvater überzeugt.