Ahrensburg. Kinderschutzbund macht mit Fähnchenaktion auf Missstand aufmerksam. Viele nähmen Hilfen aus Angst vor Stigmatisierung nicht wahr.

Auch wenn die rund 8000 blauen Fähnchen vor dem Ahrensburger Schloss ein hübscher Hingucker sind, stehen sie doch symbolisch für die vielen Kinder in Stormarn, die in Armut leben. Schüler der Stormarnschule und aus den Beruflichen Schulen Ahrensburg unterstützen die Aktion des Kinderschutzbundes am Weltkindertag, indem sie die Fähnchen in die Rasenfläche stecken. Zu ihrer Motivation sagt die 17 Jahre alte Joyce Sucks­torff: „Das ist eine super Aktion.“ Für ihre Klassenkameradin Liv Melle Jönsson (19) ist es „wichtig, auf die Kinderarmut aufmerksam zu machen“, und Aleksej Kobilatzki (17) findet es „schön, dass sich Leute von verschiedene Schulen daran beteiligen“.

Die Situation der Familien muss verbessert werden

Besonderen Symbolcharakter verleiht dem Bild das Ahrensburger Schloss im Hintergrund. Norbert Muras vom Vorstand des Kinderschutzbundes Stormarn sagt: „Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer.“ Das habe sich auch beim Homeschooling gezeigt, an dem sich aufgrund der mangelnden technischen Ausstattung nicht alle hätten beteiligen können. „Wir müssen die Situation der Familien verbessern und darüber die Kinder erreichen“, so Muras. Dazu zähle die Schaffung gleicher Bildungschancen und einer Kinderinfrastruktur. Ahrensburgs Bürgermeister Michael Sarach sagt: „Die Aktion ist in der Stadt Ahrensburg richtig angesiedelt, denn bei uns gibt es viel Wohlstand, aber auch eine große Zahl an Kindern und Familien, denen es nicht gut geht.“

Dabei sei die Armut oft nicht so auffällig. Diesen Eindruck bestätigt die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Stormarn, Stephanie Wohlers. Sie sagt: „Wir wünschen uns einen sensibleren Umgang mit Armut.“ Das sei ein Beitrag, den jeder leisten könne.

Nur 15 Prozent nutzen Bildungs- und Teilhabepaket

Setzen sich für die Belange von Kindern ein: Norbert Muras (v. l.), Ursula Tesdorpf, Stephanie Wohlers und Ute Vöcking vom Kinderschutzbund Stormarn
Setzen sich für die Belange von Kindern ein: Norbert Muras (v. l.), Ursula Tesdorpf, Stephanie Wohlers und Ute Vöcking vom Kinderschutzbund Stormarn © Elvira Nickmann

Denn Vorurteile gegenüber armen Familien führten zu einer Stigmatisierung. „Viele meinen, dass die Eltern sich nicht ausreichend um das Wohl ihrer Kinder kümmern“, so die Geschäftsführerin. Die Erfahrung habe gezeigt, dass das Gegenteil der Fall sei: „Arme Eltern strengen sich an, um alles für ihre Kinder möglich zu machen.“ Alles, was an Hilfen beantragt werden müsse, bedeute für die Betroffenen jedoch eine Stigmatisierung. Ute Vöcking, die den 4. Armutsatlas für den Kreis Stormarn erstellt hat, verwundert daher nicht, dass das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes lediglich von 15 Prozent der anspruchsberechtigten Kinder im Kreis genutzt wird. „Das ist hier extrem niedrig, dabei gilt das Angebot auch für solche Eltern, die sehr wenig verdienen.“ Diese wiederum seien darüber oft einfach nicht informiert.

Stephanie Wohlers berichtet, dass sich in Familien, die ohnehin gerade mehr Energie aufwenden müssten, um den Alltag zu bewältigen, die finanzielle Situation verschärfe. Zwar stagnierten die Zahlen der in Stormarn von Kinderarmut Betroffenen im Vergleich zum vorigen Jahr, jedoch auf hohem Niveau.

Ein Netzwerk für Kinder muss aufgebaut werden

Wohlers sagt: „Wir wünschen uns eine Gesamtstrategie.“ Familienzentren und sogenannte Frühe Hilfen seien längst nicht für alle erreichbar. In Zusammenarbeit mit Ämtern, sozialen Trägern und Schulen müsse ein Netzwerk aufgebaut werden, um Kinder und deren Familien wirkungsvoll unterstützen zu können. So fordert der Kinderschutzbund für arme Kinder im Kreis Stormarn unter anderem kommunale Hilfsfonds zur Förderung, kostenfreien Zugang zur Offenen Ganztagsschule und kulturellen Veranstaltungen, ausreichend kostenfreie Freizeit- und Ferienangebote in allen Gemeinden und Städten sowie keine zusätzlichen Zahlungen für Eltern von Kita-Kindern.

Mit Blick auf Berlin fordert Wohlers die Etablierung einer Kinder-Grundsicherung. „Bei der Festlegung der Hartz-IV-Sätze für Kinder werden sie nie beteiligt“, rügt Wohlers, dabei seien die Kinder doch Experten in eigener Sache.

Arm sind nicht nur Kinder im Hartz-IV-Bezug

Im Jahr 2020 lebten in Stormarn zwischen 3891 und 4061 Kinder von Hartz-IV-Leistungen. Im Dezember waren es 3934, diese Zahl wurde für die Berechnungen der aktuellen Angabe von 8000 zugrunde gelegt und aufgrund der hohen Dunkelziffer verdoppelt. Denn laut Ute Vöcking gibt es „keine zentrale Stelle, die die entsprechenden Angaben zu weiteren Gruppen armer Kinder liefert“, die beispielsweise Anspruch auf Wohngeld, Kinderzuschlag, Sozialhilfe oder andere Leistungen haben.

„Jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm“, sagt Norbert Muras. Demnach müssten unter den Schülern, die sich an der Aktion vor dem Schloss beteiligen, auch einige sein, die ein Fähnchen für sich selbst in den Rasen stecken.