Ahrensburg. Claudia Simonsen (45) päppelt in ihrem Haus jedes Jahr mehrere Hundert Tiere auf. Für die Stachler ist es jetzt besonders gefährlich.

Wenn Claudia Simonsen daran denkt, wie Teddy zu ihr kam, läuft der Ahrensburgerin immer noch ein Schauer über den Rücken. „Eine Wunde bis auf das Fleisch klaffte in seiner Brust“, erinnert sich die 45-Jährige. Die Garteneigentümer hatten den Igel beim Rasentrimmen übersehen, sie fanden das verletzte Tier und gaben es in die Obhut von Claudia Simonsen. Dank ihr überlebte Teddy, es geht ihm inzwischen besser.

Das stachelige Kerlchen ist kein Einzelfall. Jedes Jahr päppelt Simonsen in ihrem Haus in Ahrensburg mehrere Hundert Igel auf, viele davon wurden versehentlich bei der Arbeit mit Gartengeräten verletzt. „Gerade die aktuelle Jahreszeit, die Frühjahrsmonate, ist für Igel gefährlich“, sagt die 45-Jährige. Viele wüssten nicht, dass die Stacheltiere meist erst Anfang Mai aus dem Winterschlaf erwachten. „Viele Leute beginnen jetzt, ihren Garten fit für den Frühling zu machen, kehren das restliche Laub zusammen oder schneiden noch schnell die Hecke in Form“, sagt die Ahrensburgerin. Dabei würden die Igel, die im Laub oder Gebüsch Winterschlaf hielten, oft übersehen.

Igel können bei Gefahr nicht schnell genug fliehen

„Ich habe regelmäßig Fälle, in denen die Tiere mit der Forke verletzt wurden oder vom Rasentrimmer erfasst wurden.“ Das Problem sei, dass Igel nicht schnell genug flüchten könnten, wenn ihnen Gefahr drohe. „Während des Winterschlafs sind sie extrem träge, sie brauchen mehrere Stunden, um wach zu werden“, erklärt die Igelpflegerin. Dabei seien Verletzungen nur der schlimmste Fall, auch die Ruhestörung selbst könne für die Stachler lebensgefährlich werden.

„Wenn ihr Schlafplatz zerstört wird, werden die Igel wach und benötigen sofort viel Nahrung, um ihre Reserven, die sie im Winter verbraucht haben, aufzufüllen.“ Doch um diese Jahreszeit seien kaum Insekten unterwegs, keine Larven zu finden. „Die Igel irren umher und verhungern.“ Claudia Simonsen appelliert deshalb an alle Gartenbesitzer: „Seien Sie achtsam und lassen Sie Laub, wenn möglich, noch einige Wochen liegen.“

Kontakt findet man über eine Facebook-Gruppe

Sollte es doch zu einem Unglück kommen, nimmt sich die 45-Jährige der Tiere an. Über die Facebook-Gruppe „Private Igelhilfe Ahrensburg“ können all diejenigen, die einen Igel in Not finden, Kontakt mit Simonsen aufnehmen. Vor elf Jahren hat die Ahrensburgerin ihre Igelauffangstation gestartet – durch einen Zufall. „Mein Mann und ich haben bei uns im Garten einen Igel gefunden, der total abgemagert war“, erzählt sie.

Aus Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten hätten sie sich entschieden, das Tier selbst über den Winter zubringen. „So fing das an. Dann haben Nachbarn das mitbekommen und es hat sich unter Freunden herumgesprochen, dass ich mich um einen Igel kümmere und irgendwann kamen immer mehr Tiere dazu“, sagt die 45-Jährige. Tierlieb sei sie schon immer gewesen, davon zeugen auch die vier Katzen, die mit im Haus leben. „Mir geht das Schicksal von Tieren einfach extrem zu Herzen“, sagt sie.

Einige Tier leben in ihrem Wohnzimmer

Einen Großteil des Gartens füllen die Gehege der Stacheltiere inzwischen, dazu einen Raum im Haus, in dem Simonsen die besonders pflegebedürftigen Igel versorgt. Auch im Wohnzimmer hat sie vorübergehend einige Tiere einquartiert. „Diejenigen, denen es so schlecht geht, dass ich sie regelmäßig im Blick haben muss“, sagt die Ahrensburgerin. 74 Igel leben zurzeit in ihrer Obhut. Nicht nur im Winter kommen die Tiere zu Claudia Simonsen, über das ganze Jahr verteilt gibt es Notfälle.

„Im Sommer sind es vor allem Jungtiere, deren Mutter verletzt worden oder gestorben ist, oft ist sie von Autos überfahren worden“, sagt Simonsen. Meist würden ganze Würfe von fünf bis sechs Jungen zu ihr gebracht. Die 45-Jährige zieht sie dann mit der Flasche auf. Die erwachsenen Tiere bekommen Katzenfutter, aber auch Lebendnahrung wie Maden und Heuschrecken. Futter, Streu und Medikamente finanziert die 45-Jährige, die in Vollzeit bei einem Lebensmittelkonzern im Außendienst arbeitet, zum großem Teil selbst, der Rest kommt durch Spenden zusammen.

Die 45-Jährige ist ein wandelndes Igel-Lexikon

Wenn es um die stacheligen Vierbeiner geht, ist die 45-Jährige ein wandelndes Lexikon, weiß alles über ihre Anatomie, ihre Körpersprache und mögliche Erkrankungen. Das Wissen hat sich Simonsen selbst angeeignet, aus Büchern, dem Internet und im Austausch mit anderen Igelpflegern. Ein großes Problem seien Parasiten. „Würmer sind einer der häufigsten Gründe dafür, dass die Tiere nicht rechtzeitig in den Winterschlaf gehen“, sagt die Ahrensburgerin. „Die Igel fressen und fressen, aber können sich keine Reserven anlegen, weil sie die Schädlinge miternähren.“ Betroffene Tiere unterzieht Claudia Simonsen einer speziellen Entwurmungskur. Auch andere Erkrankungen wie Lungenentzündungen behandelt sie, kann Wunden erstversorgen. Bei besonders schweren Fällen erhält Simonsen Unterstützung von einer Hamburger Tierärztin.

Für aufmerksame Beobachter hat die Ahrensburgerin Tipps, um zu entscheiden, ob ein Igel Hilfe benötigt. „Grundsätzlich ist etwas nicht in Ordnung, wenn die Tiere zwischen Oktober, November und April, Mai unterwegs sind“, sagt die Expertin. In dieser Zeit hielten gesunde Igel Winterschlaf. Dasselbe gelte für Tiere, die am Tag umherliefen. „Abgesehen von Muttertieren mit ihren Jungen, die den Tag-Nacht-Rhythmus noch nicht verinnerlicht haben, sind Igel ausschließlich nachtaktiv.“

In den Wintermonaten sei es stets das Ziel, die Tiere nachträglich noch in den Winterschlaf zu bringen, damit der natürliche Rhythmus für die Igel erhalten bleibe. Nach der Behandlung ziehen die Tiere deshalb von drinnen in eines der Gehege in Simonsens Garten um. Dort ist es kalt genug, damit die Stachler instinktiv einschlafen. „Im Frühjahr werden sie dann wieder ausgewildert“, so Simonsen. Dafür sucht die Ahrensburgerin nach Eigentümern von Gärten in ruhiger Lage abseits großer Straßen.

Im Mai werden die stacheligen Patienten wieder ausgewildert

„Mehrere Igel in einem Revier, das geht nicht“, sagt sie. Die Tiere seien Einzelgänger. Bevor sie ganz ins Freie entlassen werden, müssten sie für etwa zwei Wochen in einem Gehege in ihrem neuen Zuhause leben. „Sie müssen sich an den Geruch gewöhnen“, erklärt Simonsen. Ansonsten irrten die Tiere umher, weil sie versuchten, wieder zu der 45-Jährigen zurück zu finden. „Wenn sich Igel an einen Lebensraum gewöhnt haben, sind sie sehr ortstreu.“ Außerdem müssten die Tiere langsam von der Fütterung entwöhnt werden.

Etwa im Mai wird es soweit sein, dann wird Claudia Simonsen damit beginnen, ihre diesjährigen Patienten auszuwildern. Auch Teddy wird dann wieder selbst zu Recht kommen können. Doch bevor die Winterschlafzeit überstanden ist, lauert für die Igel noch eine weitere Gefahr: Osterfeuer. Claudia Simonsen appelliert: „Bitte keine Haufen anzünden, die noch aus dem Herbst liegen.“ Man könne schließlich nie sicher sein, dass es sich kein stacheliger Vierbeiner darin gemütlich gemacht habe.