Turnvereine wie TV Jahn, Vorwärts 93 oder Wilhelmsburger Turnerbund sowie den 1909 entstandenen TCW gab es auf der Elbinsel schon. Der erste Fußballverein wurde dort vor exakt 100 Jahren gegründet: Der “FC Pretoria“.

Wilhelmsburg. Winter 1909: Bei einem abendlichen Spaziergang trafen sich ein paar ehemalige Schulkameraden die die Langeweile trieb. Der älteste war gerade 20 Jahre jung. Das damalige Wilhelmsburg war geprägt durch Fabriken, Weiden und Wiesen, es gab kaum Abwechslung. Wer sich sportlich betätigen wollte und das Turnen nicht mochte, musste den Weg über die Elbe zur Großstadt Hamburg antreten. "Das muss sich ändern", beschlossen die jungen Leute an jenem Abend und wussten auch schon: "Wir gründen einen Fußballverein!"

Das Sportfeld fand man zunächst an der Neuhofer Straße, wo später die Farbenfabrik Flügger - heute Pust-Hof - stand. Die sogenannten "Fünfzig-Pfennig-Jungen", die noch von ihren Eltern abhängig waren, besorgten sich die Spielregeln und eigneten sich als Zuschauer jenseits des Elbufers auf Hamburger Plätzen erste Vorkenntnisse an. Schließlich stand der Aufnahme in den Norddeutschen Fußball-Verband nichts mehr im Wege.

Es wurde im Bezirk IV Nord Hannover gespielt. Der erste Gegner hieß "FC Britannia" (später Rasensport Harburg). Die Wilhelmsburger nannten sich "FC Pretoria". Den Namen hatte "Ede" Sporzellak vorgeschlagen, als er das Segelschiff Pretoria der bekannten P-Linie im Hafen sah. Das erste Spiel der Pretorianer löste bei den Älteren und Konservativen auf Wilhelmsburg Entrüstung aus, denn Fußball wurde als roh und die Sportkleidung als unzüchtig empfunden. Dagegen war die "Neuheit Fußball" bei der Jugend auf der bis dahin ruhigen Elbinsel Trumpf.

1911 zog "Pretoria" an die damalige Hindenburgstraße um und hatte im Gasthaus Schulte eine Heimat. Inzwischen gab es mit dem 1910 gegründeten "WFC Viktoria" - später nach Fusion mit dem TSV Veddel in TSC Viktoria umbenannt - eine erste Konkurrenz. Für den vor 100 Jahren entdeckten Fußballsport gab es auf Wilhelmsburg nun kein Halten mehr. Sogar die Gemeinde wurde aktiv und stellte Geräte sowie Spielflächen frei. Der Kampf um die "Eins" auf der Insel war zwischen den beiden Kontrahenten entbrannt.

Der Erste Weltkrieg erzwang 1914 die Stilllegung der Vereine. Wohl kaum jemand hatte daran gedacht, dass Wilhelmsburgs erster Fußballclub jemals wieder an die Öffentlichkeit treten würde. Doch die aus dem Krieg zurückgekehrten Funktionäre August Erdmann, Felix Grobelny, Max Wittkowski und Franz Pahlke ließen 1918 den "Wilhelmsburger Fußball-Verein von 1909" - im Volksmund nur "Nullneun" - in das Vereinsregister eintragen. Am 6.Dezember 1918 fand die erste Generalversammlung statt.

Neu tauchte bei dieser Versammlung der Name Josef "Seppl" Schreiber auf. Er wurde Leiter der Ausschüsse, Schiedsrichter und Schiedsrichter-Dezernent des Bezirkes sowie Ligaobmann. Schwierigkeiten bereitete die Wiederaufnahme des Spielbetriebes. Von den Pretorianern waren 18 Fußballer nicht aus dem Krieg zurückgekehrt. Der Konkurrenzkampf mit dem 1910 gegründeten Ortsrivalen "Viktoria" und dem seit 1916 bestehenden "FC Hohenzollern" - der sich nun "Einigkeit" nannte - war entbrannt. Bekannte Namen von Wilhelmsburger Fußballern tauchten in drei Generationen immer wieder auf.

Mit dem SV Vorwärts 93 Ost, der sich mit den Fußballern vom TuS Vorwärts 93 getrennt hatte, sowie dem Wilhelmsburger FC - im Volksmund "Dicke Lippe" - gab es zwei weitere Fußballvereine auf der Insel.

1927 wurde "Viktoria" als erste Mannschaft von der Elbinsel Meister in der Oberliga Nordhannover und bezwang um die norddeutsche Meisterschaft Eintracht Braunschweig mit 7:2 und Komet Bremen 6:2. Erst die 2:3 Niederlage gegen Altona 93 verdarb die Teilnahme an der deutschen Meisterschaft. Aber auch "Nullneun" erklomm Stufe um Stufe. 1930 gelang ebenfalls die bedeutsame Meisterschaft der nordhannoverschen Oberliga, die zum Titelkampf um die Norddeutsche Meisterschaft berechtigte. In einem denkwürdigen Spiel verloren die Wilhelmsburger 4:8 gegen Holstein Kiel.

2500 Zuschauer sahen das Spiel am 16.März 1930 auf dem Platz beim "Gasthaus Schulte". Nullneun führte bereits 3:1, musste jedoch noch vor der Pause das 3:3 hinnehmen und glich auch noch mal zum 4:4 aus, bevor die Kieler davon zogen. Doch wann immer es gegen die klassenhöheren von Holstein Kiel ging - zuletzt 1962 im DFB-Pokal beim 4:5 nach Verlängerung - , waren die Spiele von Klasse geprägt.

Nach 1934 folgten immer wieder neue Klasseneinteilungen. Als Meister der Groß-Hamburger-Bezirksliga sicherte sich "Nullneun" 1936 die Gauliga Niedersachsen und spielte gegen so namhafte Vereine wie Hannover 96, Arminia Hannover, Werder Bremen, Eintracht Braunschweig und dem Nachbarn Rasensport Harburg.

Zwei "Nullneun"-Siege in den Kriegsjahren gingen in die Annalen ein. Am 5.Januar 1942 - die eisglatte Spielfläche wurde mit Wagenweise herangebrachtem Sand bespielbar gemacht - wurde im Bezirk Nordmark Holstein Kiel 3:1 bezwungen. Und ein Jahr später sogar der große HSV - mit Rekordnationalspieler Janes und dem ehemaligen "Viktorianer" Eugen Kahl - 2:1 besiegt.

Unter dem Vorsitz von Jonny Schuster hauchten am 30.August 1945 verbliebene 28 Mitglieder "Nullneun" nach dem Zweiten Weltkrieg neues Leben ein, als der "Zusammenschluss" aller Wilhelmsburger Vereine" auf der Tagesordnung stand. Ein "Nein" entschied jedoch für die Fortführung der Tradition. Erst nach der Jahrtausendwende kam es auf Wilhelmsburg zur großen Fusion.

"Nullneun" war mehr als zwei Jahrzehnte die Nummer eins im Wilhelmsburger Fußball, nach dem schon 1947 der Bau der Sportanlage Vogelhüttendeich unter dem unvergessenen "Jille" Martens eingeleitet wurde. Am 2.August 1952 kamen4500 Zuschauer zur Einweihung. Gar 10.000 kamen 1959 zum Vogelhüttendeich, als sich "09" die Punktgleichheit mit dem HTB erkämpfte und in zwei Entscheidungsspiele im alten Millerntor-Stadion vor zusammen 42.000 Zuschauern antreten musste, aus denen der HTB als Hamburger Vizemeister hervorging. Die Aufstiegsrunde zur damals noch "erstklassigen" Oberliga erreichte "09" dann aber 1961. Gerd Globisch wurde zum besten norddeutschen Verteidiger gewählt wurde.

1962 musste die Flutkatastrophe überwunden werden. Zehn Wochen ruhte der Spielbetrieb alle zwei Tage stand ein Nachholspiel an. Nur am Ende gab man durch ein Unentschieden und eine Niederlage Zähler ab und verpasste die erneute Teilnahme an der Aufstiegsrunde zur Norddeutschen Oberliga nur um drei Punkte. Ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre löste "Viktoria", die in ihrer Vereinsgeschichte einen Nationalspieler und sechs Profispieler herausbrachte "Nullneun" in der Vormachtstellung ab. In 2003 folgte dann die große Fusion zum "SV Wilhelmsburg".