Lüneburg/Stade. Niedersachsen ist bis heute Pilgerland. Eine Doppelausstellung zeigt die Geschichte der Wallfahrten in der Region.

- Man musste im Mittelalter aus dem Norden nicht nach Rom oder Jerusalem pilgern, um das Heil zu finden. Man konnte auch zum heiligen Jodok nach Stinstedt laufen. In dem Dorf im Landkreis Cuxhaven gab es im 15. Jahrhundert eine Wallfahrtskapelle für den Heiligen, niederdeutsch St. Joost genannt. Einer Legende nach wurde die Kapelle von einem reichen Kaufmann oder Edelmann gestiftet, der sich im Moor verlaufen hatte und wundersam gerettet wurde.

Vor Luthers Reformation 1517 wurde auch im Norden Deutschlands viel gepilgert. Und es gab eigene, heute vergessene Wallfahrtsorte. Das zeigt eine Doppelausstellung unter dem Motto „Pilgerspuren“, deren erster Teil ab Sonntag im Museum Lüneburg gezeigt wird.

Zugleich ist Niedersachsen bis heute Pilgerland. Drei Teilstrecken des Jakobswegs nach Santiago de Compostela in Spanien laufen durchs Land. „Pilgern war und ist eine wunderbare Möglichkeit, unseren Umgang mit uns selbst, mit anderen, mit der Schöpfung und mit Gott zu bedenken.“ Das schreiben der katholische Bischof von Hildesheim, Heiner Wilmer, und der evangelische Landesbischof von Hannover, Ralf Meister, als Schirmherren der Ausstellung „Pilgerspuren“.

Spirituelle Schwester der Wanderlust

Pilgern als Sinnsuche, als spirituelle Schwester der Wanderlust hat in den letzten Jahren wieder viele Anhänger gefunden – nicht zuletzt durch den Entertainer Hape Kerkeling und sein Buch „Ich bin dann mal weg“. „Das säkulare Pilgern ist populär“, sagt Ulfert Tschirner, einer der Kuratoren der Ausstellung in Lüneburg. Er sieht einen wichtigen Unterschied beim Pilgern früher und heute. „Im modernen Pilgern ist der Weg das Ziel“, sagt er. Früher sei Pilgern kein Aussteigen, sondern „Teil des religiösen Lebens“ gewesen. Und es ging um das Ankommen am ersehnten Ort, um eine Schuld abzubüßen, zu danken oder Fürbitte zu leisten.

Davon erzählt die Ausstellung unter dem Titel „Von Lüneburg ans Ende der Welt“. Rekonstruiert werden Wallfahrten aus der Salzstadt und dem norddeutschen Raum an heilige Orte des Christentums wie Jerusalem, Rom oder Santiago de Compostela. Bilder, Skulpturen und Urkunden erzählen die Geschichte dieser beschwerlichen Reisen in früher Neuzeit.

Heinrich der Mittlere (1468-1532) etwa, politisch wenig erfolgreicher Herzog von Lüneburg, hatte auch auf einer Schiffspilgerreise nach Santiago Pech. Er geriet in Seenot. Zum Dank für die Errettung stiftete er ein silbernes Schiff für die bayerische Wallfahrtskirche Altötting, wie Tschirner erzählt.

Es gab eine Marienwallfahrt nach Buxtehude

Die Reformation vor gut 500 Jahren machte in Norddeutschland Schluss mit Marien- und Heiligenverehrung und mit Wallfahrten. „Diese Region ist durch die Reformation stark überprägt“, sagt Sebastian Möllers, Direktor der Museen Stade. Im Stader Schwedenspeicher lässt die Ausstellung „Wege in den Himmel“ ab dem 3. Oktober die Geschichte der vergessenen norddeutschen Wallfahrtsorte wiederaufleben.

Bedeutendstes Pilgerziel im Norden war das heutige Bad Wilsnack in Brandenburg. Dort erinnert die überdimensionierte Kirche an den Zustrom Tausender Wallfahrer im Mittelalter. Aber auch die evangelischen Gotteshäuser St. Michaelis in Hildesheim oder St. Marien in Hannover-Hainholz waren vor der Reformation Pilgerziele. „Es gab eine Marienwallfahrt nach Buxtehude“, sagt Möllers.

Ausgrabungen im Stader Hansehafen

Aus den Wallfahrtsorten brachten die Pilger kleine Abzeichen aus Metall zurück, die sogenannten Pilgerzeichen. Und weil viele Reisende bei Stade die Elbe überquerten, gingen dort auch viele Abzeichen verloren. Bei Ausgrabungen im Stader Hansehafen 1989 und 2013 wurden etwa 200 solcher Pilgerzeichen gefunden. Sie sind eine wichtige Quelle, um die mittelalterlichen norddeutschen Wallfahrtswege nachzuzeichnen, und stehen im Mittelpunkt der Stader Ausstellung.

Für evangelische Christen ist das Pilgern eine eher neue Entdeckung, die katholischen Bistümer in Niedersachsen haben schon lange ihre Wallfahrtsorte. „Für gläubige Menschen ist das Pilgern auch heute noch ein Weg der Gotteserfahrung und der Gottesbeziehung“, sagt Volker Bauerfeld, Sprecher des Bistums Hildesheim. Pilgerziele dort sind Lamspringe oder Ottbergen im Kreis Hildesheim. Im Bistum Osnabrück gibt es unter anderem die jährliche Männerwallfahrt nach Rulle oder die Krankenwallfahrt nach Lage. Familien pilgern zu einem Gnadenbild der Gottesmutter Maria nach Wietmarschen.