Sie sitzen im Kreis, reden und lachen. Am Boden, in der Mitte des Kreises steht ein Kranz mit Kerzen, der Duft von frischem Kaffee liegt in der Luft.
Himmelpforten. Sie sitzen im Kreis, reden und lachen. Am Boden, in der Mitte des Kreises steht ein Kranz mit Kerzen, der Duft von frischem Kaffee liegt in der Luft. Die 18 Menschen, fast alle Frauen, wirken wie eine Gruppe, die sich zum Advent trifft, doch das was diese Frauen und Männer zusammenführt, ist ein todernstes Thema: Die Betreuung demenzkranker Bürger.
Unter dem Begriff Demenz werden verschiedene Erkrankungen zusammengefasst, die allesamt mit einem Verfall der geistigen Leistungsfähigkeit und einer Persönlichkeitsveränderung bei Menschen einhergehen. Die häufigste Form der Demenz, von der vorwiegend ältere Menschen betroffen sind, ist die Alzheimerkrankheit. Bei Demenzkranken nehmen vor allem die Gedächtnisleistung und das Denkvermögen spürbar ab.
Betroffene haben Schwierigkeiten, neue gedankliche Inhalte aufzunehmen und wiederzugeben, viele erinnern sich nicht mehr an kürzlich Erlebtes, dafür nehmen sie oft aber Ereignisse aus ihrer Kindheit als kürzlich erfahren war. Viele von ihnen erkennen selbst, dass sich ihre Persönlichkeit ändert, was zu Depressionen, Frust und Aggression führen kann und ihren Pflegern die Arbeit erschwert. Zwar sind nur etwa zwei Prozent aller Menschen zwischen 65 und 69 Jahren davon betroffen, doch bei den 80 bis 84-Jährigen steigt die Zahl rapide auf zehn bis 17 Prozent an. Bei den mehr als 90-Jährigen ist mindestens jeder Dritte von der Krankheit betroffen.
In Deutschland leben nach aktuellen Schätzungen etwa eine Million Menschen mit Demenz. Jährlich erkranken weitere 244 000 Menschen, bis zum Jahr 2050 wird sich, so die Prognosen, die Zahl der Demenzerkrankungen in Deutschland verdoppeln. Die Ursache hierfür ist vor allem der demografische Wandel, der den Anteil alter Menschen an der Gesamtbevölkerung zunehmen lässt. Schon heute sind Demenzen der häufigste Grund für die Einweisung in Pflegeheime. Diese sind aber bereits jetzt oft hoffnungslos überfordert und brauchen Unterstützung.
Die gemeinnützige Einrichtung "Hüsselhus" in Himmelpforten des Vereins "Herbstzeitlose", die Demenzkranken ein Leben in einer Art betreuten Wohngemeinschaft ermöglicht, kümmert sich um die Pflege dieser erkrankten Menschen und begleitet sie, oftmals bis zu ihrem Tod.
"Diese Arbeit fällt nicht leicht und erfordert eine gute Qualifikation jener, die hier einen freiwilligen Dienst machen", sagt Regine Fleck vom Hüsselhus. Gerade bei einem so sensiblen Thema, wie der Betreuung Demenzkranker sei es nötig, fachlich geschulte Helfer zu haben, um den erkrankten Menschen gerecht zu werden und auch ihren Angehörigen, die die Pflege oftmals nicht selbst übernehmen können.
"Die Menschen wollen respektvoll behandelt werden, sie wollen nicht bemitleidet und bevormundet werden", sagt Fleck. Diese Arbeit würde das Hüsselhus im Rahmen seiner Möglichkeiten leisten. "Es ist aber auch klar, dass wir professionelle Vollzeit-Pflegekräfte nicht ersetzen können. Und das wollen wir auch nicht", so Fleck. Zu groß sei die Gefahr, dass man sich sonst in eine Konkurrenz zu den professionellen Pflegern begibt.
Bernd Ziegler, der das Projekt "Freiwilligendienst aller Generationen" in 15 Landkreisen im Nordosten Niedersachsens betreut, kennt dieses Problem nur zu gut. "Das Hauptamt und das Ehrenamt stehen teilweise in einem Konflikt. Die Hauptamtlichen haben zuweilen Angst um ihren Job, wenn Ehrenamtliche in ihren Arbeitsbereich hineindrängen", so Ziegler. Diese Angst sei oft aber unbegründet, denn bei den freiwilligen Diensten, die vom Land Niedersachsen gefördert werden und für die Fortbildungen bezahlt werden, gehe es nicht um Konkurrenz, sondern um eine Ergänzung der bestehenden Pflegeangebote. "Es gibt Dinge, die ein ehrenamtlicher Helfer leisten kann und es gibt Dinge, die er nicht leisten soll. Es ist also eine Frage der sinnvollen Abgrenzung von Aufgaben", so der Projektkoordinator. Zudem wachse der Arbeitsbereich ständig, die zunehmenden Zahlen der Demenzleidenden könnten nur dann bewältigt werden, wenn den vorhandenen professionellen Pflegekräften eine echte Unterstützung zukommt. "Es gibt einige Bereiche, wo es sinnvoll ist, die Hauptamtlichen zu entlasten, so dass diese sich weiterhin intensiv um die wichtigsten Aspekte ihrer Arbeit kümmern können und nicht mit Aufgaben belastet werden, die ein ehrenamtlicher Helfer ebenso gut leisten kann", sagt Ziegler.
Das sei auch der Grund, weshalb die Mitarbeiter des Hüsselhus vom Land Niedersachsen eine Förderung erhalten. In sechs Monaten werden die Frauen und Männer im Hüsselhus intensiv auf die Betreuung Demenzkranker vorbereitet: Wie fühlt ein Betroffener, wo schmerzt es und wie können die Schmerzen erkannt werden? Wie sollen die letzten Stunden im Leben verbracht werden und wie kann der ehrenamtliche Helfer die psychische Belastung verarbeiten?
Viele der Freiwilligen des Hüsselhus hatten im privaten Umfeld bereits mit dieser Erkrankung Kontakt, hier die Tante, dort die Mutter oder der Vater, die ihre Familie plötzlich nicht mehr erkennen. Der Umgang mit diesen Menschen belaste, so die einhellige Meinung der Freiwilligen, aber die Arbeit müsse gemacht werden und sie sei es wert. Ein aufrichtiges Lächeln des Demenzkranken entschädige für Entbehrungen.
Ziegler kann es sich nur schwer vorstellen, dass irgendjemand, der Demenzfälle kennengelernt hat, sich der Hilfeleistung für jene Menschen verweigern würde. Die Angehörigen wüssten, wie schwer das Leben dieser Menschen ist, dass sie besondere Wertschätzung brauchen, die ihnen oft nur jene geben können, die die Folgen der Krankheit bereits aus ihrem privaten Umfeld oder von der Arbeit im Sozialdienst kennen.
Doch trotz der Hilfe, die Institutionen, wie das Hüsselhus geben, hat die ehrenamtliche Hilfe ihre eigenen Probleme zu lösen. Da ist beispielsweise die unvermindert hohe Zahl von Frauen, die im sozialen Ehrenamt tätig sind und die im krassen Gegensatz dazu stehende Zahl der Männer. 76 Prozent der ehrenamtlichen in und um Stade sind Frauen.
"Bei männlichen Demenzkranken brauchen wir oft Männer als Pflegekräfte, da es vielen der betroffenen Männer lieber ist, von einem Mann als von einer Frau betreut zu werden. Das hat etwas mit dem natürlichen Schamgefühl zu tun", sagt Fleck. Sie hofft, dass über die Stader Freiwilligenbörse und die Ehrenamtsangebote im Internet noch der eine oder andere Mann zu der Gruppe dazu kommt und den Frauen hilft, die wachsende und drückende Last der sozialen Hilfe zu tragen. "Noch sind wir in unserem Haus recht gut aufgestellt, aber was ist in 30 Jahren, wenn der demografische Wandel voll durchschlägt? Da brauchen wir jede helfende Hand, auch die der Männer", so Fleck.