Mit dem “Tidenkieker“ können Besucher von Stade auf die Elbinsel Pagensand fahren. Diese ist zwar menschenleer, aber dafür leben dort wilde Kühe

Stade. Klein und grün ist er. Und unglaublich praktisch. Der "Tidenkieker" des Vereins für Naturerlebnisse ist unbestritten eines der auffälligsten Schiffe, die regelmäßig auf der Elbe verkehren. Doch der Crew geht es, anders als auf den Barkassen, die massenhaft Touristen durch den Hamburger Hafen schippern nicht um den finanziellen Gewinn. Nein, der "Tidenkieker" nimmt seine Gäste mit in eine Welt, die kaum jemand kennt. Und die Crew möchte Menschen die Möglichkeit geben zu erfahren, welchen Schatz sie direkt vor der Haustür haben - nämlich die Elbe.

Egon Eberhardt ist seit fünf Jahren Kapitän des "Tidenkieker". Der leicht grauhaarige, etwas wortkarge, aber dennoch liebenswerte Seebär macht gemeinsam mit seinem Co-Kapitän Delf Kaczmarzyk den "Tidenkieker" für eine Tour auf der Elbe klar. Es ist früher Abend, stückweise trudeln die Gäste ein, um vom Hafen am Rande der Stader Altstadt aus die Elbe einmal auf gänzlich andere Art zu erkunden.

Das Flachbodenschiff hat einen Tiefgang von nur 50 Zentimetern

Der Biologe Rüdiger Ramm, der bei dieser Tour als Experte die Besonderheiten der Elbregion erklären wird, begrüßt die Fahrgäste, während Eberhardt die Armaturen und das Radar überprüft und Kaczmarzyk die Leinen des Bootes los macht. Der Diesel brummt. Langsam bewegt sich das kleine Schiff durch den Hafen und die Schwinge hinab in Richtung Elbe.

"Den Tidenkieker mag ich, das ist ein gutmütiges Schiff", sagt Eberhardt, während er zwischen den Deichen entlangfährt und immer wieder die in Richtung Stade fahrenden Segler grüßt. Man kennt sich auf der Schwinge. Ein Lächeln huscht über das ansonsten eher emotionslose Gesicht des Kapitäns.

Unzählige Schulklassen hat er in dem Boot schon gefahren, sagt er. Sogar Hochzeiten hat er auf dem Boot erlebt. "Hier ging es zuweilen schon hoch her", sagt er. Aber Notfälle habe es in all den Jahren noch nie gegeben, höchstens mal, dass jemand auf der Elbe seekrank wurde. Aber dafür gebe es ja schließlich die Toilette.

54 Gäste kann das Schiff befördern. Mit acht Kilometern pro Stunde fährt das etwa 400 000 Euro teure Boot, das eine Spezialanfertigung ist und nur 50 Zentimeter Tiefgang hat, die Schwinge runter. Früher, vor vielen hundert Jahren, war der Weg zur Elbe deutlich kürzer als jetzt. "Die Elbe verlief relativ nahe bei Stade", sagt Ramm. Ansonsten hätte es sich für die Schiffer ja auch nicht gelohnt, Stade überhaupt anzusteuern. "Der Name Stadersand verrät, dass dort, wo jetzt Festland ist, früher nur eine Sandaufspülung war", sagt Ramm, ähnlich den heutigen Inseln Schwarztonnensand und Pagensand. Die Elbe war damals breit. Sehr breit.

Rüdiger Ramm erklärt den Gästen die etwa dreistündige Reiseroute: Ein Landgang ist auf der geschützten Insel Pagensand eingeplant, später geht es dann weiter zwischen den kleinen Elbinseln und dem Schilf nahe der schleswig-holsteinischen Grenze entlang durch das Vogelschutzgebiet. Dann geht es wieder zurück nach Stade.

Das Schiff hat inzwischen die Schwingemündung erreicht. "Alle mal die Ohren zuhalten", ruft Eberhard über die Lautsprecher den Fahrgästen zu, dann lässt Eberhard den Tidenkieker laut tuten. "Damit die andern wissen, dass wir gleich auf die Elbe kommen", sagt der Kapitän. Das kleine Boot könnte auf der großen Elbe ja übersehen werden.

Pagensand ist menschenleer und schon deshalb echt abenteuerlich

Gutmütig kämpft sich der "Tidenkieker" durch das Elbwasser, am Bützflether Ufer sind in der Abendsonne die Silhouetten von Dow-Chemical und AOS zu sehen - zwei gewaltige Industrieanlagen, die für die Fahrtgäste ein optimales Fotomotiv ergeben, für die Natur und die Elbe aber von zweifelhaftem Wert sind.

Sicher schippert Eberhardt nach Pagensand und fährt an das Ufer heran. Der "Tidenkieker" kann dank seines niedrigen Tiefgangs praktisch direkt am Strand anlanden.

Pagensand, ein kleines Idyll mitten in der Elbe. 520 Hektar ist die Insel, die unter Naturschutz steht, groß. Ursprünglich handelte es sich nur um eine große Sandbank am Ostufer der Elbe. Pagensand wurde etwa seit 1900 als Absetzplatz für den ausgebaggerten Elbschlick benutzt. Dabei wuchs die Sandaufspülung um das Fünffache. Die Aufspülarbeiten schufen im Laufe der Jahre eine fruchtbare Kultur- und Wiesenlandschaft.

Bis 1998 gab es noch einen Bauernhof auf der Insel, der aber von den Behörden geschlossen und abgerissen wurde, um das Gebiet bei der Elbvertiefung für weitere Aufspülungen zu nutzen. Heute ist die Insel zwar menschenleer, dafür wohnen dort inzwischen aber zahlreiche Tiere.

Den Tourgästen bleibt das nicht verborgen. Überall zwitschert es, unzählige Vögel nisten und sitzen in den vielen Pappeln, Erlen und Büschen der Insel, die heute vollständiges Naturschutzgebiet ist. In den Sommermonaten werden Rinder mit Booten zum Grasen auf die Insel verbracht. Das habe, so Ramm, neben dem wirtschaftlichen Nutzen auch einen naturschützenden Hintergrund, denn die weidenden Rinder halten die Landschaft offen für viele Arten von Wiesenbrütern und fördern den Graswuchs. "Es gibt da aber ein Problem," sagt Ramm. Die Kühe, die eigentlich in eingezäunten Bereichen bleiben sollten, sie wandern gerne mal woanders hin. "Wenn die Kühe zwischen sandigem Gras in der Mitte der Insel und saftigem Gras am Inselufer wählen können, dann essen sie natürlich das leckere Ufergras", sagt Ramm.

Die wilden Kühe auf der Insel sind zum Abschuss freigegeben

Und noch ein Problem bereiten die Kühe. "Die sind unglaublich neugierig, die wollen immer wissen, was los ist", sagt ramm. Wenn beispielsweise das Bundesschifffahrtsamt für Arbeiten auf die Insel komme, müsse immer eine Person abgestellt werden, um die Kühe den ganzen Tag über abzulenken. Ansonsten könnten, so Ramm, die anderen Mitarbeiter nicht in Ruhe arbeiten.

Eine Plage seien die wilden Kühe zwar nicht, dennoch seien sie zum Abschuss freigegeben.

Eberhardt und Kaczmarzyk haben den "Tidenkieker" inzwischen an das Westufer der Insel gesteuert. Zwischen etlichen Vögeln gleitet der "Tidenkieker" dahin, quer durch die Pagensander Nebenelbe, vorbei an Auberg, Drommel und Twielenflether Sand. Nicht nur Vögel, auch Segler genießen hier die Ruhe und den malerischen Sonnenuntergang. Eberhardt grüßt, die Segler winken zurück. Nach knapp drei Stunden erreicht der "Tidenkieker" im Dunkel der Nacht wieder den Stader Hafen. Eberhardt legt am Kai an, lässt noch einmal den Motor brummen. Dann gehen die Gäste, gut gelaunt und um ein gutes Stück Naturkenntnis reicher, von Bord. Der Käpt'n lächelt.