Singvögel, seltene Frühblüher, ja, sogar Fledermäuse: Grabfelder sind idealer Lebensraum für Flora und Fauna - mitten in der Stadt.

Stade

Petrus meint es nicht gut. Ein Spaziergang bei leichtem Nieselregen bietet mäßig gute Voraussetzungen, um Vögel zu beobachten oder farbenprächtige Frühblüher zu bestaunen. Gefiederte Meistersänger sind nicht zu sehen, sie hocken vermutlich klatschnass in den Baumwipfeln. Auch die Blumen wirken zerrupft, lassen trüb ihre Köpfe hängen. Ein trostloser Anblick. Besonders an diesem Ort - dem Horstfriedhof.

Friedhöfe sind nicht nur letzte Ruhestätte für Menschen. Sie sind - wenngleich in untergeordneter Hinsicht - auch Paradiese für Vögel, Insekten, Fledermäuse und bedrohte Pflanzenarten. Dort, wo sonst Tod und Trauer dominieren, hat sich eine quicklebendige Parallelgesellschaft breit gemacht. Die parkähnlichen Grabanlagen bieten Flora und Fauna idealen Lebensraum, und zwar mitten in der Stadt.

Der Stader Horstfriedhof ist so ein Refugium. Das Areal schmiegt sich an ein kleines Gewässer, seichte Hügel geben dem Gräberfeld Kontur und ein saftiges Blätterdach spannt sich über weite Teile der Anlage.

Klaus Baumgarten kennt den Stader Gottesacker. Als technischer Leiter der Kommunalen Betriebe liegen nicht nur die Friedhöfe in seinem Zuständigkeitsbereich. Gleichzeitig ist er Naturfreund und kompetenter Ansprechpartner für die Vegetation und Tierleben auf dem Friedhof.

"Hier, diese Blutbuche ist bestimmt 100 Jahre alt", sagt Baumgarten mit Blick auf einen feuerroten Baumriesen. Sein Stamm ist nicht nur wahnsinnig hoch. Er ist auch breit. Überbreit. So breit, dass der nebenstehende Grabzaun teilweise von seiner Rinde verschluckt wurde. Eine Laune der Natur.

Insbesondere der älteste Teil der Gräberfelder, der Garnisonsfriedhof mit seinem beeindruckenden, fast 200 Jahre alten Baumbestand und der naturbelassenen Vegetation, stellt einen Rückzugsort für Tiere und Pflanzen dar. Laut Klaus Baumgarten singen deshalb Rotkehlchen, Amsel, Singdrossel oder Zaunkönig hier ihre Lieder. Kleinspecht, Kleiber und Baumläufer brüten in den Wipfeln. Fledermäuse nutzen diesen, im 17. Jahrhundert angelegten Teil des Friedhofs, als Nahrungsrevier.

Selbst ungebetene Gäste wie Rehe und Kaninchen, die Gräber unterhöhlen oder zarte Triebe anfressen, finden hier einen Unterschlupf. Denn sie müssen auf Friedhöfen weder streunende Hunde, noch menschliche Jäger fürchten. Schießen ist auf deutschen Friedhöfen untersagt. Zu hoch ist die Gefahr von Querschlägern, mal davon abgesehen, dass es auch noch die zu wahrende Totenruhe gibt.

Klaus Baumgarten bückt sich am Fuß eines Baumriesen und findet einen wilden Milchstern. "Veredelt kommt er in deutschen Gärten häufig vor, aber die Wildform ist recht selten." Ähnlich verhält es sich mit Hainsimse, dem unscheinbaren Gelbstern oder dem zweiblättrigen Goldstern. Genau wie der Lerchsporn sind allesamt sehr selten, mitunter sogar "botanische Besonderheiten", wie Klaus Baumgarten einschätzt.

Aber was macht den Friedhof zum Rückzugsort für bedrohte Tiere und Pflanzen? "Auf dem Garnisonsfriedhof ist der alte Baumbestand, den viele Frühblüher brauchen, ausschlaggebend. Ungestörter, lockerer Boden, Licht - das reicht schon", so der gelernte Gärtnermeister. Zudem liege die letzte Bestattung weit über 50 Jahre zurück - da holt sich die Natur zurück, was ihr gehört.

Ohnehin kennt die Natur keine nutzlosen Flächen. Überall dort, wo der Mensch seine Ordnungswut zügelt, wird er mit sprießenden Wildblumen und bunten Faltern belohnt. Beispielsweise werden auf dem Horstfriedhof nicht genutzte Grabstellen sofort zurückerobert: "Es bildet sich Spontanvegetation", sagt Klaus Baumgarten und findet - ebenso spontan - den besten Beweis: "Das ist Portulak, eine relativ seltene Pflanze."

Beim Gang über einen Friedhof muss der Fokus demnach nicht immer auf die farbenfrohen Bepflanzungen oder den allgegenwärtigen Efeu, dem immergrünen Gewächs, das auf Friedhöfen traditionell Auferstehung und ewiges Leben symbolisiert, gelegt werden. Es lohnt auch ein Blick in die Nischen. So krallen sich zahlreiche Farnarten in alte Grabsteine, Moose bedecken verwittertes Gestein, Wurzeln umschlingen vermeintlich ungepflegte Gräber. Das hat durchaus seinen Reiz - nicht nur für Tiere.