Nirgendwo in der Region lassen sich so viele Paare trauen wie in Lüneburg. Die Standesbeamtin Susanne Twesten trifft den richtigen Ton.

Susanne Twesten macht kleine Anspielungen. Sie spricht von missglückten Heiratsanträgen an der Fleischtheke. Oder von einer vorgetäuschten Panne, damit der Heiratsantrag am Ende doch so wird, wie die Braut ihn sich gewünscht hat. Die 53 Jahre alte Standesbeamtin walzt die kleinen Anekdoten nicht aus. Sie reißt sie nur an. Das reicht auch schon. Die Gäste im Wasserturm in Lüneburg lachen an den richtigen Stellen. Und sie weinen an den richtigen Stellen. Susanne Twesten ist Routinier. Seit 2000 arbeitet sie als Standesbeamtin. Nicht nur deshalb hat sie einen wahren Erfahrungsschatz angesammelt. Sie arbeitet in der Hochzeitshochburg Lüneburg. Die Hansestadt ist besonders beliebt als Trauungsort.

2011 heirateten 692 Paare im Lüneburger Standesamt. Zum Vergleich: Im selben Jahr schlossen in Stade 237 Frauen und Männer eine Ehe, in Buchholz gab es 164 Trauungen. Das Standesamt in Lüneburg hat im vergangenen Jahr seine Rekordzahlen aus 2010 (641) noch mal getoppt. Drei Standesbeamte trauen in der Stadt. Wenn besonders viel Betrieb ist, kommen noch zwei weitere hinzu.

42 Prozent der Paare, die in der Vergangenheit in Lüneburg den Bund fürs Leben eingingen, sind nicht in der Stadt zu Hause. Der Trend setzt sich in diesem Jahr offenbar fort. Dafür sprechen zumindest die aktuellsten Daten. Demnach liegt der Anteil auswärtiger Brautpaare 2011 aktuell bei 53 Prozent.

Auch Priska Eberhard, 34, Kundenberaterin, und Michael Dessau, 40, IT-Administrator, die im Wasserturm in Lüneburg heiraten, wohnen nicht in Lüneburg, sondern in Stöckte, Winsen. Warum haben sie sich ausgerechnet Lüneburg für ihre Hochzeit ausgesucht? "Eine kirchliche Trauung war nicht möglich, weil wir nicht mehr der Kirche angehören", sagt Michael Dessau. Die Hochzeitskulisse sollte also schon etwas hergeben, da ja der Gang vor den Altar ausbleiben müsse. Die Suche nach dem richtigen Ort führte das Paar über die nordfriesischen Inseln irgendwann nach Lüneburg mit seinen hübschen Giebelhäusern und romantischen Hinterhöfen. "Wir finden die Altstadt einfach toll", sagt Michael Dessau.

Bei der Wahl des Trauungsortes entschieden sie sich gegen den Huldigungssaal im Rathaus, gegen das Heinrich-Heine-Haus und für den Wasserturm. Da beide im Chor singen - Priska Eberhard in "Lochormotion" und Michael Dessau im A-cappella-Ensemble "Hartchor" - legen sie großen Wert auf die richtige Akustik. "Und der Wasserturm hat eine Wahnsinnsakustik", sagt Michael Dessau.

Die Standesbeamtin Susanne Twesten war alles andere als überrascht von der Wahl. "Die Paare, die dort heiraten, haben meistens ihren eigenen Kopf, machen ihr eigenes Ding, lassen sich nicht von Konventionen leiten", sagt sie. Nein, das Paar führt kein Leben, das sich in einen Rahmen pferchen lässt. Vor 18 Jahren lernten sich Michael Dessau und Priska Eberhard nicht auf die übliche Art und Weise - in der Disco zum Beispiel - kennen. Eine Art Mutprobe stand am Anfang der Beziehung. Michael Dessau arbeitete in einer Tankstelle und sagte zu seinem Kumpel, dass er die nächste Frau, die an seine Kasse trete, ins Kino einladen werde. Und so trat Priska Eberhard in sein Leben.

Ein etwas ungewöhnlicher Beginn. Und eine unterhaltsame Geschichte - geradezu ideal, um sie in die Trauungsansprache einzubauen. Nur: Von so etwas muss die Standesbeamtin Susanne Twesten wissen. Deshalb nimmt sie sich Zeit für jedes einzelne Paar, setzt sich mit ihm zusammen, lässt sich seine persönliche Geschichte erzählen. "Es macht ganz viel aus, das angehende Ehepaar vor der Trauung schon mal gesehen und gesprochen zu haben", sagt Susanne Twesten.

Auch für die Brautleute ist es ein schöneres Gefühl, den Menschen, der sie beim wohl wichtigsten Schritt in ihrem Leben begleitet, vorab schon mal kennengelernt zu haben. "Wir fühlten uns gut beraten", sagt Michael Dessau. "Susanne Twesten scheint ein gutes Händchen für Menschen zu haben und sich gut in andere Leute einfühlen zu können. Und das ist es, was einen Standesbeamten auszeichnet." Bei ihren halbstündigen Gesprächen macht sich Susanne Twesten Notizen. Sie schreibt keine Rede. Sie hat ihre Notizen und ihren Eindruck. Der Rest ergibt sich vor Ort.

Es ist 14.15 Uhr, kurz vor der Trauung. Ein etwas ruhigerer Tag: Nur neun Paare heiraten in Lüneburg, in der Vergangenheit waren es schon mal 26 an einem Tag. Die Standesbeamtin trägt einen eleganten, schwarzen Hosenanzug. Sie klappt eine dicke, schwarze Mappe auf. Darin sind alle nötigen Unterlagen und auch die wichtigen Notizen. Sie wirft einen letzten Blick auf die handgeschriebenen anderthalb Seiten.

Es ist alles hergerichtet für die Romantik: Kerzenlicht flackert an den Wänden des Wasserturms. Rosafarbene und weiße Rosen zieren den Tisch. Die Trauringe sind an einer rosafarbenen Schleife aufgefädelt. Susanne Twesten vergewissert sich, dass alle Gäste Platz genommen haben. Kurze Zeit später läuft sie zur Tür und flüstert: "Sie kommen."

Jetzt kommt es darauf an, dem Brautpaar die Nervosität zu nehmen, zugleich den richtigen Ton zu treffen, aber auch die romantische Stimmung nicht zu zerstören. Nicht zu vergessen: die Gäste. Auch sie müssen sich richtig angenommen fühlen.

Das Paar erwartet eine "gute Story". "Ich glaube nicht, dass Frau Twesten eine trockene Amtsschimmelgeschichte erzählt", hat der Bräutigam vorher gesagt. Nachdem die Trauzeugin Nina Langer, 31, Erzieherin aus Reppenstedt, "Time to Wonder" von Fury in the Slaughterhouse gesungen hat und die ersten Tränen fließen, übernimmt Susanne Twesten.

Zunächst sagt sie, wer sie nicht sei. Sie sei weder Günther Jauch noch Jürgen Fliege. Sie ist Susanne Twesten, und bei diesem Paar zeigt sie sich von ihrer lockeren Seite. Sie spricht mit einem Augenzwinkern. Der Trauzeuge Malte Bohlen, 38, aus Bargteheide bekommt eine Hochzeitsbroschüre. Denn er hat sich bislang noch nicht getraut. Und die Standesbeamtin holt sogar eine Tüte Gummibärchen hervor, die sie eine halbe Stunde zuvor aus dem Automaten unten im Wasserturm gezogen hat. Denn Gummibärchen hatte auch der Bräutigam bei jenem legendären Kinobesuch vor 18 Jahren dabei.

Spätestens jetzt bekommen die Gäste eine Ahnung davon, dass die Trauung kein staatstragender Akt wird. Es darf auch gelacht werden. Und das Paar darf sich zweimal küssen. Einmal vor der obligatorischen und offiziellen Frage nach der Eheschließung, und einmal danach.

Es ist eine gelungene Mischung aus Witz und Romantik. Die rührenden Momente kommen, als Susanne Twesten die Geschichte vom kleinen Prinzen einflicht, weil sie "auf so schöne Weise zeigt, was es heißt, einander anvertraut zu sein". Als sie dem Paar wünscht, den anderen so sein zu lassen, wie er ist. Und als sie ihnen Liebe wünscht - "nicht obwohl, nicht deshalb und nicht weil, sondern Liebe, ohne Wenn und Aber."

Am Ende überreicht sie dem Ehepaar eine Hochzeitskerze als Wegbegleiter für schwierige Momente. "Wir wissen ja, dass Frauen und Männer ganz unterschiedlich sein können. So ein Licht kann manchmal Wunder bewirken. Nutzen Sie es!" Susanne Twesten hat die richtigen Worte gefunden. Zwei Tage nach der Hochzeit sagt Priska Dessau: "Es hat einfach gepasst. Es war sehr auf uns zugeschnitten und keine Nullachtfünfzehn-Trauung."

Und deshalb ist auch jede Trauung in Lüneburg anders - zugeschnitten auf das Paar. "Jedes hat ja seine eigene Geschichte", sagt Susanne Twesten. Und: Jedes hat seinen ganz eigenen Stil. Deshalb fügt Susanne Twesten hinzu, was gar nicht nach einer Drohung klingt und auch nicht so klingen soll: Ich kann auch ganz offiziell."