Sylt. Dunker ist die erste hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte auf der Insel: Seit zehn Jahren kämpft sie für Gerechtigkeit.

Es war eine Zeitungsannonce, die Andrea Dunker 2012 zum Amt der Gleichstellungsbeauftragten auf Sylt führte. Seit zwölf Jahren lebte die gebürtige Göttingerin zu diesem Zeitpunkt auf der Insel, war selbstständig. Doch die Stellenausschreibung ließ ihr keine Ruhe. „Ich hatte schon immer einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und habe mich dafür eingesetzt, dass alle Menschen gleich behandelt werden“, sagt die 52-Jährige. Also bewarb sie sich – und bekam die Stelle.

Sylt: Andrea Dunker, die erste Gleichstellungsbeauftragte der Insel

Benachteiligung, weil sie eine Frau ist, hat sie nämlich schon als Kind am eigenen Leib erfahren. „Meine Oma hat immer meinen Bruder bevorzugt. Er war der König und mit mir hatte sie nichts am Hut“, sagt sie. Vielleicht trieb sie das an, Ungerechtigkeiten, besonders die zwischen Männern und Frauen, zu bekämpfen. Heute ist das ihr täglich Brot. 2012 war Dunker die erste hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte auf Sylt, feiert in diesem Jahr zehnjähriges Bestehen. Zuvor war die Stelle ehrenamtlich besetzt gewesen. Was zunächst als halbe Stelle begann, macht die Wahlsylterin seit einigen Jahren in Vollzeit.

Und: Die Insel ist ein besonderes Pflaster, wenn es um die Arbeit einer Gleichstellungsbeauftragten geht. „Das Leben als Frau auf Sylt bedeutet, dass wir uns auf besondere Bedingungen einlassen müssen“, schreibt Dunker auf ihrer Webseite. Eine fehlende Geburtenstation, Saisonbeschäftigungen, Wohnungsnot, viele geringfügige Beschäftigungen im Niedriglohnsegment und dem hohen Mietspiegel geschuldete Abhängigkeitsverhältnisse sind Stichpunkte, die die Gleichstellungsbeauftragte aufzählt.

Welche besonderen Herausforderung die Arbeit auf Sylt mit sich bringt

23 Prozent weniger Gehalt bekommen Frauen hierzulande bei gleicher Qualifikation für ihre Arbeit. Mit 65 Prozent sind Frauen die größte Gruppe im Niedriglohnsektor. Nur ein Prozent in den Vorständen der 100 größten Unternehmen sind weiblich. Diese systematische Ungleichbehandlung möchte Andrea Dunker auch auf ihrer Heimatinsel angehen.

„Sehr präsent ist hier auf Sylt das Wohnungsproblem“, so die Gleichstellungsbeauftragte. Weil die Mieten so hoch sind, stecken Frauen oft in Abhängigkeitsverhältnissen, haben nach Trennung oder Scheidung große Probleme, fürchten die Insel verlassen zu müssen. Aber auch abgesehen davon: „Die Vielfalt an Menschen und Themen ist hier sehr groß“, sagt Dunker. Wie ein typischer Arbeitstag der Sylter Gleichstellungsbeauftragten aussieht? „Ich arbeite intern und extern“, sagt sie. Zum Beispiel nimmt sie an allen Vorstellungsgesprächen der Gemeinde teil. „Da passe ich darauf auf, dass alles gerecht abläuft, dass alle die gleichen Fragen und die gleiche Zeit bekommen“, so Dunker.

Die Gleichstellungsbeauftragte hilft auch Männern

Ungefähr zehn Mal im Monat komme es vor, dass Frauen sich mit einem Problem bei ihr melden. Dann berät die Gleichstellungsbeauftragte sie, vermittelt manchmal schon am Telefon weiter oder trifft ihre Klienten in ihrem Büro im Sozialzentrum und spricht mit ihnen. „Es geht zum Beispiel um den Wiedereinstieg in den Beruf oder finanzielle Sorgen. Auch Frauen mit Gewalterfahrung kommen zu mir, das leite ich dann direkt an Experten weiter“, sagt Dunker.

Obgleich benachteiligte Frauen der Schwerpunkt ihrer Arbeit sind – auch Männer berät sie manchmal, zum Beispiel nach Trennung oder Scheidung, wenn die Mutter den Umgang mit dem gemeinsamen Kind verweigert. Dunker: „Ich sehe mich als Gleichstellungsbeauftragte und nicht als Frauenbeauftragte.“

Viele Sylterinnen und Sylter kommen mit ihren Anliegen zur Gleichstellungsbeauftragten

Auch an Projekten arbeitet die Gleichstellungsbeauftragte. „Erst im August dieses Jahres haben wir einen Förderzuschlag für das Projekt „Demokratie leben!“ bekommen“, sagt sie. Ziel des Projektes ist es, sich gegen Rechtsextremismus, Gewalt und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einzusetzen. Jährlich werden 125.000 Euro vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Demokratieförderung bereitgestellt. Die Förderperiode für Sylt reicht vorerst bis Ende 2024.

In den vergangenen Jahren hat sie auf der Insel so einiges erreicht, hat sich durch ihre Präsenz in der Presse oder auf Veranstaltungen einen Ruf erarbeitet. „Viele Sylterinnen und Sylter wissen, wer ich bin und kommen bei Problemen zu mir“, sagt sie. Als Gleichstellungsbeauftragte brauche man ein Händchen für Menschen, muss empathisch sein. „Mir gelingt es, dass Menschen sich mir öffnen“, sagt Dunker. Nur, wenn das passiert, kann sie auch helfen. Und: „Ich finde es schön, dass Politik und Verwaltung mittlerweile verstanden haben, dass es gut ist, eine Gleichstellungsbeauftragte auf der Insel zu haben.“

Auch in der Sprache "die Frauen nicht vergessen"

Doch trotz allem gebe es auch noch eine Menge Baustellen in der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, sagt die Mutter einer Tochter: „Gerade seit Corona erlebe ich auch wieder eine Art Rückschritt. Frauen sind wieder oft in der Rolle als Mutter und Familienplanerin.“ Auch in der Sprache darf sich noch etwas tun, Stichwort gendern. „Ich höre immer noch von vielen, oft sogar von Frauen, dass sie gendern ganz schrecklich finden“, so die Gleichstellungsbeauftragte.

Doch Sprache habe eine wahnsinnige Macht: „Es macht einen Unterschied, ob man auf einem riesigen Kongress nur von Zahnärzten oder von Zahnärztinnen und Zahnärzten spricht, wenn die Hälfte von ihnen Frauen sind. Da hat man schon andere Bilder vor Augen. Ich finde wichtig, dass da hingeschaut wird und dass wir auch in der Sprache die Frauen nicht vergessen.“

Sylt – Dunkers Appell: "Frauen dürfen groß denken"

Auch in Sachen Gender-Pay-Gap muss sich noch etwas tun, findet sie. „In Vorstellungsgesprächen lebe ich auch oft, wie gravierend die Unterschiede dann doch sind: Männer gehen oft wie selbstverständlich davon aus, dass sie den Job schon haben und verlangen auch mehr Geld, wohingegen Frauen oft ganz viel Fachwissen haben und sich sehr gut vorbereitet haben, beim Gehalt dann aber doch den Kopf einziehen“, so Dunker. Das liege aber keineswegs an den Frauen selbst. „Das ist uns von klein auf so beigebracht worden: Bescheidenheit.“

Daran müsse sich etwas ändern. Das hat sie auch sich als Gleichstellungsbeauftragte auf die Fahne geschrieben: „Frauen dürfen groß denken.“