Kiel. Robert Habeck und Monika Heinold im Exklusivinterview über die Wahl in Schleswig-Holstein, ehrliche Politiker und den Krieg.
Er ist – auch wegen seiner Rolle als Wirtschaftsminister in Zeiten von Putins Krieg – einer der beliebtesten deutschen Politiker überhaupt. Sie steht unmittelbar vor einer weichenstellenden Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Monika Heinold will Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein werden, dem Heimatland von Robert Habeck. Beide Grüne sind Regierungsmitglieder – sie ist seit zehn Jahren Landesfinanzministerin, er seit nicht einmal einem halben Jahr Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz in der Ampelkoalition von Olaf Scholz.
Im Doppelinterview sprechen Heinold und Habeck gut eine Woche vor der Landtagswahl über grüne Grundsatzpositionen in der Krise, enger werdende finanzielle Handlungsspielräume und sinkende Umfragewerte. Da Habeck sich diese Woche mit dem Coronavirus infiziert hat (er ist symptomfrei), wurde das Gespräch am Freitag in einer Telefonkonferenz geführt.
Frau Heinold, die „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt, Habeck kann Krise, Scholz kann nur Scholz. Trifft die Analyse zu?
Monika Heinold: Auf jeden Fall kann Habeck Krise. Wir haben in Schleswig-Holstein lange zusammenregiert und Politik gestaltet. Robert hat alle Herausforderungen immer volley genommen, er lässt sich durch nichts abschrecken. Deshalb kann er auch Krise. Bei Olaf Scholz erstaunt mich, dass Führung nicht richtig spürbar ist. Als Bürgerin wünsche ich mir einen Kanzler, der präsent ist. Das würde auch ein Stück Sicherheit geben.
Ist es ein Problem fehlender Präsenz oder nicht viel mehr ein Problem nicht wahrnehmbarer Emotionalität?
Heinold: Möglicherweise beides. Die Situation ist dramatisch mit einem Angriffskrieg in Europa. Ich würde den Bundeskanzler gern öfter und auch emotionaler in der Vermittlung des Spannungsfeldes erleben, in dem wir uns befinden.
Noch ein Blick in die „NZZ“. Die schreibt: „Der Minister für Wirtschaft und Klimaschutz hat im Gegensatz zum Kanzler verinnerlicht, dass er eine neue Rolle übernommen und diese rollengemäß auszufüllen hat. Nicht mehr der schnoddrige Bauchpolitiker aus dem Wahlkampf und auch nicht der kumpelhafte Regionalpolitiker von der Küste spricht aus ihm, sondern der gesamtdeutsche Verantwortungsträger.“ Wie sehr hat sich Ihre Rolle durch Putins Krieg in der Ukraine gewandelt, Herr Habeck?
Robert Habeck: Die Beschreibung ist falsch. Auch als Parteivorsitzender im Wahlkampf habe ich versucht, aus der Verantwortungsperspektive der Regierung heraus zu argumentieren. Das Einzige, was sich geändert hat, ist also mein Beruf. Ich stehe nicht mehr einer Partei vor, sondern einem Ministerium, wodurch sich Verantwortung anders organisiert. Und für Olaf Scholz ist die Beschreibung erst recht falsch. Er war die vergangenen Jahre Vizekanzler und Finanzminister, hat während der Corona-Krise und der Überschwemmung im Ahrtal regiert. Krise hat seinen Alltag bestimmt. Deutschland wusste bei der Bundestagswahl, wie Olaf Scholz ist: ruhig, besonnen, rational agierend. Aus der internen Regierungsarbeit heraus muss ich sagen, dass der Kanzler natürlich führt. Er prägt diese Regierung mit seinen großen Erfahrungen.
Frau Heinold, hätten Sie sich vor Kurzem vorstellen können, dass ein grüner Wirtschaftsminister Robert Habeck in Katar fossile Energie einkauft für die nächsten Jahre?
Heinold: Nein, natürlich nicht. Wir Grüne kämpfen seit Jahrzehnten für regenerative Energie, wollen damit wegkommen von fossilen Energien. Wir hatten mit dem Start der „Ampel“ und dem guten Koalitionsvertrag vor, durchzustarten in Richtung Erneuerbare. Auch deshalb ist es bitter, was gerade passiert. CDU, SPD und FDP haben viel zu lange an fossilen Energien und einer verfehlten Energiepolitik festgehalten. Ein Beispiel ist North Stream 2. Also: Nein, ich hätte mir das nicht vorstellen können, aber ich sehe, dass es jetzt notwendig ist.
Habeck: Das hat die Grünen stark gemacht
Wie sehr bringt Putins Krieg in der Ukraine grüne Grundsatzpositionen ins Wanken?
Habeck: Was die Grünen so stark gemacht hat, ist, die Wirklichkeit zu gestalten. Wir haben über Regierungstätigkeit konkrete Verantwortung in Ländern und Kommunen übernommen. Die Verankerung der Grünen in der Gesellschaft ist massiv gewachsen, unsere Regierungsbeteiligungen auf Landesebene sind Standard. Es fehlte „nur“ die Beteiligung an der Bundesregierung. Also: Wir müssen als Grüne Regierungsalltag nicht üben. Was die aktuelle Situation anbetrifft: Unsere Energiekrisenpolitik – etwa der Bau von LNG-Terminals – verzahnt sich mit der großen Gestaltungsaufgabe: dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Das Weggehen von Putins Öl und Gas ist nur der erste Schritt für das Aus von Öl und Gas überhaupt. Beides treiben wir mit Hochdruck voran. Es gibt jetzt eine Entschlossenheit, sich aus der Klammer der russischen Energieimporte zu lösen, und eine Erkenntnis, dass die Erneuerbaren eine Frage der Sicherheit sind.
Heinold: Ich glaube nicht, dass grüne Grundsatzpositionen ins Wanken geraten sind. Ich bin ein pragmatischer Mensch, der die Dinge macht, die getan werden müssen. Das Parteiprogramm ist die Grundlage, auf die unser Regierungshandeln aufsetzt. Ich war immer dafür, dass wir Grüne unser Handeln an der Realität orientieren.
Heinold: Schwarz-Gelb hat Land lahmgelegt
Frau Heinold, diese Realität bedeutet für Sie als Finanzministerin in Schleswig-Holstein, seit zehn Jahren Löcher zu stopfen: HSH-Krise, Corona und jetzt die Folgen des Kriegs. Wie groß ist der Gestaltungsspielraum für grüne Politik noch?
Heinold: Unser Anspruch ist, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zu verbinden. Und da können wir nach wie vor gestalten. Wir können die Klimawende voranbringen, aber wir müssen priorisieren. Ein Beispiel: Der Bund hat die Finanzierung des LNG-Terminals zugesagt. Die frei gewordenen 50 Millionen Landesmittel wollen wir für ein Sofortprogramm für eine Mobilitäts- und Wärmewende in Schleswig-Holstein, ein Förderprogramm für Wallboxen, Batteriespeicher und Heizungsumbau in privaten Haushalten nutzen. Zu gestalten, muss der Anspruch sein, die schwarz-gelbe Rotstiftpolitik bis 2012 hat allen geschadet und das Land in der Entwicklung lahmgelegt.
„Wir sind quasi Wirtschaftskriegspartei. Wir zahlen einen hohen Preis. Wir werden ärmer werden.“ Herr Habeck, das sind sehr klare, ungeschönte Aussagen von Ihnen. Wie viel Ehrlichkeit und Wahrheit ertragen die Menschen – in der Krise wie im Wahlkampf?
Habeck: In der Politik gibt es zwei Gefahren: seinen eigenen Alltag, der bestimmt ist durch Spiegelfechtereien und strategische Überlegungen zu überschätzen und dadurch zu unterstellen, dass die Menschen außerhalb der politischen Arena das auch so sehen müssten. Die noch größere Gefahr besteht darin, dass die Profis unterschätzen, was die Menschen wirklich umtreibt, und das ist eine Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit, die müssen wir uns zumuten. Die Menschen wollen nicht in Watte eingepackt werden, sondern wissen, wie es um die Dinge steht. Dann sind sie bereit, ihren Beitrag zu leisten.
Offensichtlich werden Ehrlichkeit und Gradlinigkeit honoriert: Seit Wochen landen Sie auf den vordersten Plätzen im Ranking der Bundespolitiker, Herr Habeck …
Habeck: Auf diese Persönlichkeitswerte darf man sich nichts einbilden. Die steigen und fallen. Als Parteivorsitzender ist die einzige Währung die öffentliche Meinung. Als Minister ist es anders, im Grunde darf das dann gar keine Rolle spielen. Stattdessen muss man nach dem entscheiden, was man für richtig hält.
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Heinold: Menschen stimmen für eine Regierung, bei der sie das Gefühl haben, dass diese gut arbeitet. Gute Politik für die Bevölkerung – das ist auch der Ansatz unserer Jamaika-Koalition. Intern haben wir hart um Themen gerungen, aber nach außen sind wir harmonisch und positiv aufgetreten. Das führt zu einer extrem hohen Zustimmung zu „Jamaika“, aber auch zu einer sehr hohen Zustimmung zum Ministerpräsidenten Günther. Nur: Eine Stimme für ihn ist eine konservative Stimme und keine grüne.
Habeck: Etwas zugespitzter formuliert: Daniel Günther ist ein guter Ministerpräsident geworden, weil die Grünen geholfen haben, dass er es werden kann. Im Grunde ist er zum modernen Gegenentwurf zu Friedrich Merz geworden, weil er Personen wie Monika Heinold im Kabinett hatte, die ihm einen Kompass gegeben haben. Weil die Grünen seit Jahren in Schleswig-Holsteins Regierung Anker und Treiber sind. Daniel Günther und ich sind befreundet, aber politisch kann er nur der bleiben, der er ist, wenn er – vielleicht auch gegen seine eigene Partei – ein progressives, ökologisches, soziales Gegengewicht in der Regierung hat.
Trotzdem sind die Grünen in Umfragen von 20 Prozent im Januar auf 16 gesunken.
Habeck: Es sieht sehr gut aus für Schleswig-Holstein. Die Grünen werden am 8. Mai das beste Ergebnis in Schleswig-Holstein erzielen, das wir jemals hatten. Aber theoretisch sind dann auch andere Mehrheiten möglich. Ich würde wetten: Nach zwei Monaten würde man die Politik des Landes nicht mehr wiedererkennen.
Daniel Günther lobt, wie Frau Heinold, die Jamaika-Koalition als harmonisch und konstruktiv. Kann es nicht doch eine Fortsetzung geben, auch wenn es für ein Zweierbündnis reichen sollte?
Heinold: Bei einer Mehrheit für ein Zweierbündnis wird es ein Zweierbündnis geben. Das Land steht jetzt vor einer Richtungsentscheidung. Die Menschen müssen sich entscheiden, ob die Grünen weiter in Verantwortung sein werden. Dieses Land hat mit Schwarz-Gelb bittere Erfahrungen gemacht.
Habeck: Schleswig-Holstein war viele Jahre lang polarisiert, die Gräben zwischen konservativen und progressiven Parteien waren tief, die politische Kultur verhunzt, wenn man an die Barschel-Affäre, an den „Heide-Mord“ denkt. Aber in den letzten zehn Jahren, in denen die Grünen in der Regierung waren, ist ein neues Gemeinschaftsgefühl gewachsen, eine neue politische Kultur hat sich etabliert. Und das Land, das ursprünglich konservativ geprägt war, hat sich verändert: Ein Geist des Bewahrens geht mit Fortschritt einher. Hier schaffen die erneuerbaren Energien Prosperität, getragen von Bürgerinnen und Bürgern. Unternehmen siedeln sich an. Gemeinsamkeit und Weltoffenheit prägen Schleswig-Holstein. Das ist gerade in dieser krisengebeutelten Zeit unsere Stärke, und die wollen wir bewahren.
Laut Umfragen könnten CDU und FDP eine eigene Mehrheit erzielen. Politisch stehen sich die beiden Parteien nahe. Die Grünen würden dann nicht mehr gebraucht …
Heinold: Die Gefahr von Schwarz-Gelb steht im Raum. Die FDP argumentiert im Wahlkampf maximal marktradikal gegen Mietpreisbremse und Tariftreuegesetz. Und die CDU steht da und applaudiert.
Habeck: Parteien funktionieren anders als die Gesellschaft. Sie suchen die Bindekräfte zum engsten eigenen Milieu. Schwarz-Gelb wird deshalb schneller zusammenfinden als „Jamaika“ oder eine „Ampel“ – weil Gleichheit dann den Ton angibt. Was das Land im Moment aber nicht braucht, ist eine Regierung, die nur für einen Teil der Gesellschaft spricht. Wir brauchen eine Brückenschlag-Koalition. Energiekrise, Klimakrise, Ukraine-Krieg das alles fordert uns als Bürgerinnen und Bürger enorm. Und unter diesem Druck droht sich die Gesellschaft permanent zu spalten. Das sehen wir auch in den anderen europäischen Ländern zur Genüge. In Frankreich ist es gerade noch mal gut gegangen. Die politische Antwort darauf kann nicht sein, dass heute die einen 51 Prozent regieren und morgen die anderen. Wir brauchen eine Regierung, die über das eigene Lager hinausgreift, in der Politiker gezwungen sind, sich mit den Positionen der anderen auseinanderzusetzen. Schwarz-Gelb wäre dafür das falsche Bündnis.