Schleswig-Holstein. Reinhard Sager, Präsident des Landkreistags, spricht über erschöpfte Geduld mit Ungeimpften und benennt kaum umsetzbare Corona-Regeln.
Er ist seit 20 Jahren Landrat von Ostholstein – und damit einer der dienstältesten Landräte überhaupt. Als Präsident des Deutschen Landkreistages ist Reinhard Sager (CDU) zudem der Sprecher der Kommunen. Das hat er gerade in der Pandemie immer wieder genutzt. Sager warnt im Gespräch mit dem Abendblatt vor neuen Corona-Regeln, die nicht umsetzbar und kontrollierbar sind.
Herr Sager, heute wird eine Bund-Länder-Konferenz vermutlich eine 3G-Pflicht am Arbeitsplatz beschließen, eine Homeofficepflicht und eine 3G-Pflicht in Bus und Bahn. Was halten Sie von der 3G-Pflicht im Job?
Reinhard Sager: Das wäre – zeitlich befristet auf die Pandemie – vernünftig, einhergehend mit dem Recht des Arbeitgebers, den Impfstatus zu erfahren.
... von der Homeofficepflicht?
Reinhard Sager: Überall dort, wo es sinnvoll möglich ist, wird dies wie zuvor einen gewissen Beitrag leisten. Die Folge dessen sind nicht nur weniger Kontakte im Büro, sondern vor allem auf dem Arbeitsweg mit mehr Abstand in Bussen und Bahnen.
... von der 3G-Pflicht in Bus und Bahn?
Reinhard Sager: Das muss man differenziert betrachten: In Zügen, deren Ticket man im Netz bucht, zum Beispiel für eine Bahnfahrt von Hamburg nach München, könnte man den entsprechenden Nachweis online verlangen. In Bussen und Bahnen des Nahverkehrs, erst recht im Berufsverkehr, funktioniert das nicht. Der Staat muss aufpassen, dass er nicht Regeln aufstellt, die nicht umsetzbar und kontrollierbar sind.
Wälzen Bund und Länder zu viel Verantwortung beim Umgang mit der Pandemie auf Kommunen und Unternehmen ab?
Reinhard Sager: Das ist Praxis seit März 2020. Eine Hauptlast der Pandemie liegt bei den Kommunen, weil sie die öffentliche Gesundheit verantworten.
Die Corona-Inzidenzen steigen dramatisch, die Belastung der Kliniken nimmt stark zu. Ist es nicht Zeit für eine generelle Impfpflicht?
Reinhard Sager: Die Stimmen dafür mehren sich. Ich denke aber, an dem Punkt sind wir noch nicht. Aber ich fordere unverzüglich eine Impfpflicht in Pflegeeinrichtungen, die wir auf Schulen und Kindergärten erweitern könnten.
Das heißt, Sie schließen die generelle Impfpflicht als letztes Mittel nicht aus?
Reinhard Sager: Als Ultima Ratio sollten wir sie nicht ausschließen. Wir müssen die vierte Welle brechen.
Ministerpräsident Daniel Günther hat vergangene Woche gesagt, sein Geduldsfaden mit den Menschen, die sich bewusst nicht impfen ließen, sei gerissen. Wie ist es denn mit Ihrem Geduldsfaden bestellt?
Reinhard Sager: Das sehe ich ziemlich ähnlich. Es gibt keine besseren Argumente als impfen, impfen, impfen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass man dadurch zumindest die Gefahr einer schweren Erkrankung erheblich reduziert. Es gibt für die meisten Menschen keinen vernünftigen Grund, sich nicht impfen zu lassen.
Hamburg und Schleswig-Holstein haben eine Ausweitung von 2G beschlossen, sodass Menschen, die nicht geimpft oder genesen sind, nahezu vom öffentlichen Leben ausgeschlossen sind. Halten Sie das für richtig?
Reinhard Sager: Wir müssen unterscheiden: Lebensmitteleinkäufe, Behördengänge, Arztbesuche – das muss weiter für alle möglich sein. In allen anderen Bereichen, die nicht zwingend besucht werden müssen, halte ich die 2G-Lösung für ein geeignetes Mittel. Dazu gehören zum Beispiel Sportveranstaltungen, Konzerte, Restaurantbesuche.
Das wäre de facto ein Lockdown für Ungeimpfte?
Reinhard Sager: Ich halte den Begriff für völlig falsch. Die Ungeimpften haben alle Chancen und Freiheiten, am Leben teilzunehmen. Es gibt dafür aber Voraussetzungen, die Hürden sind leicht überspringbar. Der Staat hat Wort gehalten und für alle ausreichend Impfstoff besorgt.
Jetzt wird es wieder kostenlose Bürgertests und auch neue Impfzentren geben. War deren Schließung / Abschaffung ein Fehler?
Reinhard Sager: Die Schließung der Impfzentren kann man aus heutiger Perspektive sicher kritisieren. Wir haben früh dafür plädiert, eine Basisinfrastruktur aufrechtzuerhalten, auf die man nun zurückgreifen kann.
In wenigen Wochen beginnt der Landtagswahlkampf. Ein Thema wird das Leben auf dem Land sein und gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land, ein Thema, das Sie umtreibt. Wie weit sind wir von gleichwertigen Lebensverhältnissen noch entfernt?
Reinhard Sager: Noch ein ganzes Stück. Oft wird die deutsche Politik zu sehr mit der Großstadtbrille betrachtet. Gleichwertige Lebensverhältnisse haben wir erst dann, wenn der Bürger auch auf dem Land alles vorfindet, was er zum Leben braucht. Was fehlt, ist nach wie vor eine vernünftige Breitband-Glasfaserversorgung. Das ist in Zukunft das A und O für das Leben auf dem Land. Es fehlt an Mobilitätsangeboten, an Ärzten und an Kliniken. Da ist noch viel zu tun.
Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Reinhard Sager: Ich fordere, dass sie das Thema gleichwertige Lebensverhältnisse zu ihrem Thema macht. Meine Sorge ist aber, dass das nicht hinreichend passieren wird und dass das Geld dafür nicht zur Verfügung gestellt wird.
Sie haben in einem Interview gesagt, dass die Kommunen rund 25 Prozent der staatlichen Maßnahmen finanzierten, aber nur 14 Prozent der Steuereinnahmen kassierten. Auf Dauer kann das nicht funktionieren ...
Reinhard Sager: Das ist das augenfälligste Beispiel für die Fehlleitung öffentlicher Steuereinnahmen. Die Umsatzsteuer muss anders, und zwar gerechter verteilt werden, sodass auch die ländlichen Räume davon profitieren.