Flensburg/Berlin. Partei der dänischen und friesischen Minderheit erringt erstmals seit fast 70 Jahren wieder ein Mandat bei einer Bundestagswahl.
Zum ersten Mal seit fast 70 Jahren hat es der SSW wieder in den Bundestag geschafft. Die Partei der nationalen Minderheiten der Dänen und Friesen errang bei der Bundestagswahl am Sonntag laut vorläufigem Ergebnis ein Mandat.
Im Parlament will der in Schleswig-Holstein beheimatete Südschleswigsche Wählerverband (SSW) nach eigenen Angaben als regional ausgerichtete politische Kraft für minderheitenfreundliche und proeuropäische Politik wirken.
Wie hat der SSW das geschafft?
Den Erfolg ermöglicht haben der Partei aus dem äußersten Norden der Republik Sonderregeln im Wahlgesetz: Parteien anerkannter nationaler Minderheiten sind bei Bundestagswahlen von der Fünfprozenthürde ausgenommen, um ihnen Chancen auf eine politische Repräsentation zu verschaffen. Neben den Dänen und Friesen gehören dazu auch noch die Sorben sowie die Sinti und Roma. Sie haben bislang aber nicht den Weg gewählt, Parteien für eigene Anliegen zu gründen.
Dem lediglich in Schleswig-Holstein mit einer Landesliste angetretenen SSW reichten am Sonntag 55.330 Zweitstimmen (3,2 Prozent), um bei der Sitzverteilung im neuen Bundestag berücksichtigt zu werden. Als parlamentarischer Einzelkämpfer wird dort nun künftig Spitzenkandidat Stefan Seidler für die Belange seiner Partei streiten.
Wieso kandidierte der SSW gerade jetzt?
Bereits in der Anfangszeit der Bundesrepublik war der SSW von 1949 bis 1953 mit einem Abgeordneten im Bundestag vertreten. Im nördlichen Schleswig-Holstein erhielt der Wählerverband in der Nachkriegszeit starken Wählerzuspruch, der später aber abflaute.
Obwohl die Partei seit 1955 aufgrund eines deutsch-dänischen Minderheitenschutzabkommens bei Wahlen von der Fünfprozenthürde befreit ist, gelang ihr später kein neuerlicher Einzug in den Bundestag. Nach 1961 stellte sie ihre Bemühungen mangels Erfolgs ein und konzentrierte sich auf die Kommunal- und Landespolitik.
In der jüngeren Vergangenheit kam der SSW bei Landtagswahlen auf Ergebnisse, die einen Bundestagseinzug wieder als realistischer erscheinen ließen. Im September 2020 gab ein Parteitag grünes Licht für eine neue „Mission Bundestag“. Der SSW entschied sich über die Landesliste in Schleswig-Holstein an der Wahl teilzunehmen und stellte dort auch Direktkandidatinnen und Direktkandidaten auf.
Wofür steht der Wählerverband?
In der schleswig-holsteinischen Landespolitik ist der SSW eine etablierte Kraft mit entsprechenden Strukturen. Derzeit ist er mit drei Abgeordneten im Landtag vertreten, von 2012 bis 2017 bildete er im nördlichsten Bundesland eine Koalition mit SPD und Grünen und stellte die Justizministerin.
Lange Zeit konzentrierte sich die Partei fast ausschließlich auf die Belange der dänischen und friesischen Minderheit, etwa die Ausstattung dänischsprachiger Schulen. Seit den 70er Jahren positioniert sie sich auch zu allgemeinen gesellschaftlichen Themen. So trat sie damals vehement gegen die Atomkraft ein.
Der SSW orientiert sich allgemein an politischen und sozialen Entwicklungen in Skandinavien. Programmatisch besteht dabei traditionell die größte Nähe zu Parteien links der Mitte, etwa den Grünen und der SPD. Weiterhin jedoch sieht sich der SSW primär als Fürsprecher regionaler und minderheitenspezifischer Interessen sowie grenzüberschreitender Kooperation mit Dänemark.
Welche Themen sind für den SSW aktuell?
Das Wahlprogramm legte einen Schwerpunkt auf die Förderung von Minderheiten und Infrastrukturprojekte im deutsch-dänischen Grenzgebiet. Dabei positionierte sich die Partei auch als Anwalt der anderen beiden in Deutschland anerkannten nationalen Minderheiten. So wirbt sie für die Schaffung eines Bundesbeauftragten gegen Antiziganismus.
Darüber hinaus tritt der SSW für eine konsequente Klimaschutzpolitik mitsamt Kohleausstieg vor dem Zieljahr 2038 ein. In der Bildungspolitik möchte er die Betreuungsquote für die unter Dreijährigen „nach skandinavischem Vorbild“ auf mehr als 90 Prozent steigern, in der Steuerpolitik plädiert er für eine Vermögensteuer zur Finanzierung der hohen Corona-Lasten.