Scharbeutz. Für Zweitwohnungen wird 2020 die volle Steuer erhoben – obwohl sie im Lockdown nicht genutzt werden durften.

Im März vergangenen Jahres war die Stimmung schlecht im Norden – sehr schlecht. Einige Kreise in Schleswig-Holstein hatten den Ferienhausbesitzer verboten, ihre Immobilien zu nutzen. Mitten im Lockdown sollte diese zusätzliche Maßnahme vor den Corona-Virus schützen. Viele Hamburger konnten ihre Ferienhäuser am Meer nicht beziehen – obwohl sie es gern getan hätten.

Erst nach rund vier Wochen hoben die Kreise, darunter Nordfriesland und Ostholstein, die Verfügung auf. Schleswig-Holsteins Tourismusminister Bernd Buchholz (FDP) entschuldigte sich hinterher für den harten Kurs. Es gebe „ein seit Jahrzehnten praktiziertes gutes Miteinander mit den Zweitwohnungsbesitzern“, beteuerte er.

Scharbeutz hat Zweitwohnungssteuerbescheide für das Coronajahr 2020 versendet

Ob das in ganz Schleswig-Holstein so gesehen wird, muss zumindest bezweifelt werden. Die Gemeinde Scharbeutz hat jetzt jedenfalls Zweitwohnungssteuerbescheide für das Coronajahr 2020 versendet und verlangt darin den vollen Steuerbetrag – also ohne eine Reduzierung für den Zeitraum des Nutzungsverbots. Frank Fischer aus Hamburg ist verärgert. „Das ist nicht in Ordnung“, sagt er.

Fischer besitzt seit 1999 ein kleines Mittelreihenhaus in dem Badeort. Im Frühjahr vergangenen Jahres wäre er gern dort gewesen, durfte es aber nicht. Nun flatterte ihm ein Steuerbescheid ins Haus. 973,29 Euro Zweitwohnungssteuer soll er für 2020 bezahlen, ebenso für 2021. „Verfügbarkeit: 100 Prozent“ ist in dem Bescheid zu lesen – so, als hätte es nie ein Nutzungsverbot gegeben. Fischer findet das unmöglich. „Ich hatte erwartet, dass die Steuer für mein Reihenhaus um den Zeitraum des Nutzungsverbots vermindert wird“, sagt er.

Scharbeutz in einer Außenseiterrolle

In der Scharbeutzer Verwaltung verweist Kämmerer Volker Bensch auf die nagelneue Zweitwohnungssteuersatzung der Gemeinde. Demnach haben Nutzungsbeschränkungen von bis zu 100 Tagen im Jahr keinen Einfluss auf die Höhe der Steuer. „Erst ab 101 Tagen gilt ein reduzierter Steuersatz von 70 Prozent“, sagt Bensch.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Mit dieser Regelung scheint sich Scharbeutz derzeit in einer Außenseiterrolle an Ost- und Nordsee zu befinden. Eine Recherche ergibt: In Grömitz werden den Zweitwohnungseigentümern für 2020 nur zehn (statt zwölf) Steuer-Monate berechnet, in der Gemeinde Timmendorfer Strand ist es ebenso.

In kommunalen Kreisen ist von einem „Scharbeutzer Alleingang“ die Rede

In St. Peter-Ording sind sich die Verantwortlichen noch nicht ganz einig, wie die Steuer für 2020 zu berechnen ist. In kommunalen Kreisen ist hinter vorgehaltener Hand von einem „Scharbeutzer Alleingang“ die Rede. Heinz Bäker, Bürgervorsteher in Grömitz, sagt: „Ich glaube nicht, dass das vor Gericht standhält.“ Frank Fischer vermutet Ähnliches – und hat bereits Widerspruch gegen seinen Bescheid eingelegt.

In den Badeorten ist man damals nicht sonderlich glücklich gewesen über den Zweitwohnungsstreit. Das Nutzungsverbot hatten die Kreise erlassen. Die Gemeinden sahen sich gezwungen, auf die Umsetzung zu achten – und waren verärgert. „Wir sind Hamburgs Strand, und das ist auch gut so“, sagt etwa Boy Jöns, Bürgervorsteher in St. Peter-Ording. „Die Zweitwohnungsbesitzer gehören doch zu uns, die sind hier unheimlich wichtig.“

Klare Rechtslage

In vielen Badeorten sind sie nicht nur eine wichtige, sondern auch eine große Gruppe. 4500 Zweitwohnungssteuerbescheide hat Scharbeutz jetzt verschickt. Rund 6000 Erstwohnsitze gibt es in dem Ort. Der kann – so viel ist sicher – weder ohne die eine, noch ohne die andere Gruppierung leben.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Rechtlich ist die Sache mit dem Nutzungsverbot immerhin einigermaßen klar. Das schleswig-holsteinische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat bislang alle Klagen abschlägig beschieden. „Es besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Anreise von Personen zur Nutzung einer Nebenwohnung, von denen es im Gebiet des Antragsgegners eine nicht unerhebliche Anzahl gibt, die Infektionsausbreitung verstärken könnte“, heißt es etwa in einem Urteil vom 23. April vergangenen Jahres.

Anzahl der Intensivbetten erhöhen

In dem Verfahren ging es um eine Zweitwohnung im Kreis Schleswig-Flensburg. Das OVG hielt es laut Urteilsbegründung für wichtig, „für die Bevölkerung eine ausreichende Anzahl von Intensivbetten und Beatmungsgeräten vorzuhalten“. Gegenwärtig werde versucht, die Anzahl der Intensivbetten und insbesondere auch die Anzahl der Behandlungsplätze so zu erhöhen, dass auch bei einem exponentiellen Anstieg der Erkrankungen nach Möglichkeit eine Versorgung der Kranken möglich bleibt.

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Im Urteil heißt es weiter: „Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die zusätzliche Versorgung von Bewohnern von Nebenwohnungen in Schleswig-Holstein, von denen es insbesondere an den Küsten des Landes mehrere 10.000 gibt, geeignet wäre, die Behandlungskapazitäten für die allgemeine Versorgung, aber auch die Versorgung im Intensivbereich und bei Beatmungsplätzen zu erschöpfen und dadurch konkret Menschenleben zu gefährden.“