Timmendorfer Strand. Schönste Urlaubsorte im Norden, Teil 19. Der Platzhirsch an der Ostsee zählt 1,5 Millionen Übernachtungen im Jahr. Tendenz steigend.

Die idealtypische Annäherung an Timmendorf? Am besten so: An Sommersonntagen spätestens um 8 Uhr (immer diese Staus!) mit dem Porsche um den Horner Kreisel rum, dann über die A1 in 50 Minuten bis zur Abfahrt Ratekau, über die Landstraße bis zum Dörfchen Hemmelsdorf, rechts ran und das Verdeck runterklappen, kurz den perfekten Sitz der Ray-Ban-Brille kontrollieren – und los geht’s hinein ins Vergnügen: zum Timmendorfer Platz mitten im Ort.

Hier den Porsche gut sichtbar vor dem Alten Rathaus im Parkverbot abstellen, schließlich wollen ihn alle bewundern, schnell an den Strand, wo Udo Lindenberg als Stahlplastik edel vor sich hinrostet, ein Blick nach oben zum 10. Stock des Maritim Hotels, wo der Panik-Philosoph 1986 beim Blick auf die glitzernde See die Ortshymne „Hinterm Horizont geht’s weiter“ komponierte, dann ins „Engels Eck“, vulgo „Café Wichtig“, den Haustee mit Rote-Grütze-Geschmack bestellen und in aller Ruhe zusehen, wenn fleißige Gemeindebedienstete die Boliden im Parkverbot abzetteln. Ein bisschen Spaß muss sein. Wir sind ja nicht in Scharbeutz.

Typisch Timmendorf eben. Weite Blicke, tiefe Einsichten, große Gefühle – und jede Menge Halligalli. Das gehört für den Platzhirsch an der Lübecker Bucht seit jeher zum Geschäftsmodell. Und es rechnet sich: 1,5 Millionen Übernachtungen im Jahr wurden zuletzt gezählt, Tendenz steigend.

Timmendorfer Strand: Kein anderer deutscher Badeort polarisiert so

Generell gilt: Wer einmal hier war, kommt immer wieder (die große Mehrheit) oder nie-nie-nie mehr (die kleine Minderheit). Kein anderer deutscher Badeort, vielleicht abgesehen von der Insel Sylt, polarisiert so wie Timmendorfer Strand. Wo sonst muss man als Schauspieler/Model/Fernsehmoderator/Bundesligaprofi unbedingt eine Sonnenbrille aufsetzen, um bitte-bitte nicht (oder bitte-bitte doch) erkannt zu werden? Wo sonst gehen manche Strandbesucher mal eben in Shorts und Badelatschen einen Armani-Blazer oder eine Cartier-Uhr kaufen?

Denkmal für einen Hit: Udo Lindenberg und „Hinterm Horizont geht’s weiter“ –  in Timmendorf komponier
Denkmal für einen Hit: Udo Lindenberg und „Hinterm Horizont geht’s weiter“ – in Timmendorf komponier © picture alliance / Bildagentur-o | dpa Picture-Alliance / Bildagentur-online/Ohde

Und wo sonst zuckeln Ferrari-Fahrer, wenn die Porsches alle freien Parkverbotsplätze blockieren, mit 15 km/h durch den Ortskern und lassen dabei den Motor aufröhren, als rasten sie gerade über den Nürburgring? Ist das degoutant? Natürlich! Aber auch ein bisschen amüsant? Na klar!

Drei Tipps:

  • Heute mal nicht Sonne, Strand und Meer? Dann piept’s wohl bei Ihnen: Willkommen im Vogelpark Niendorf! Hier kommt man 1000 Vögeln aus 250 Arten ganz nah – auch dem riesigen Andenkondor. Und wer sich mal wieder nett unterhalten will: Im Park leben jede Menge redselige Papageien.
  • Für Timmendorfer ist es einer der Höhepunkte des Jahres: das legendäre Sommerfest der freiwilligen Feuerwehr auf der Wiese von Bauer Fick über dem Hemmelsdorfer See. Unvergesslich, wenn sich die untergehende Sonne tief unten im Wasser spiegelt!
  • Ja, Currywurst hat er auch im Programm, aber was für eine: Jens Häberle ist der König der Timmendorfer Strandkiosk-Köche. Seine „Bude 8“ wird von Gourmets umlagert. Unbedingt die Niendorfer Fischsuppe probieren!

Neben Sonnenmilch gehört unbedingt Augenzwinkern ins Gepäck für Timmendorf. Dann lässt sich auch eine andere lokale Spezialität angemessen würdigen: die Erfindung des Ganzjahresweihnachten. Abends blinkt und funkelt es an allen Ecken und Enden, das Alte Rathaus ist wie ein Lutschbonbon in blau-rot-grüne Farben getaucht, und von den Kiefern kullern Lichttropfen digital gesteuert wie Tränen herab. Kein Wunder, dass es dann selbst in trüben Märznächten den eingemummelten Café-Besuchern unter den Heizstrahlern ganz warm ums Herz wird.

Eingeschworene Timmendorf-Fans lieben vor allem die heißen Sommerwochenenden

Andere Liebhaber der Nebensaison schätzen dagegen Besuche in aller Diskretion. So kann es passieren, dass beim Edel-Italiener „Portobello“ ein Bundespräsident a. D. mit Familie und Freunden zu Abend tafelt und am Nebentisch überraschte Pärchen sich kaum noch auf die Pizza Rustica konzentrieren können.

Eingeschworene Timmendorf-Fans aber lieben vor allem die heißen Sommerwochenenden, wenn gefühlt halb Hamburg an den 6,5 Kilometer langen Strand umzieht. Auf Fotos per Teleobjektiv sieht es dann rund um die alte Seebrücke aus wie an asiatischen Großstadtstränden am Nationalfeiertag. In Wahrheit aber geht es ganz entspannt zu. Platz ist genug für alle da, selbst in Corona-Zeiten kann man Abstand halten, und was ist schöner, als überraschend Freunde zu sehen? Vor allem der Bereich um „Strandkorb Bade“ wird regelmäßig zu Eimsbütt-sur-Mer. Überall ist dort dieselbe Frage zu hören: Ach, ihr auch hier?

Man kennt sich, man trifft sich: So war es in Timmendorf schon immer, seit in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts im Brachland am Ostseesaum die ersten Hotels und Ferienhäuser entstanden. Schnell wurde es vor allem bei Hamburger Reeder- und Bankiersfamilien Mode, in Timmendorf den Sommer zu verbringen. Nach dem Ersten Weltkrieg entdeckten dann auch Künstler Timmendorf für sich. Regelmäßig erholte sich etwa Bauhaus-Gründer Walter Gropius im Zuckerbäcker-Bau der Villa Grisebach (heute das Hotel Villa Röhl) von der eigenen Klötzchen-Architektur, gerne in Gesellschaft von Malern wie Lyonel Feininger oder Wassily Kandinsky.

Beach-Polo, Beach-Volleyball und Open-Air-Konzerte

Auch viele Schriftsteller und andere Intellektuelle kamen. Nur Albert Einstein urlaubte hartnäckig Jahr für Jahr lieber in Scharbeutz – aber gut, Geschmack ist eben relativ.

Literaturkritiker Marcel Reich-Ra­nicki kam dagegen fast jeden Sommer nach Timmendorf und genoss es, mit Gattin Teofila über die von Hunderten Kiefern gesäumte elegante Strandpromenade zu bummeln. Größte Attraktion ist hier ein extravaganter Bau mit riesigen Glasfronten und jeder Menge Buddhas innen und außen, den fernöstliche Touristen begeistert fotografieren, weil sie ihn offenkundig für den Sommerpalast des thailändischen Königshauses halten.

Hier in der früheren Lesehalle verkauft Ex-HSV-Präsident Jürgen Hunke Buddhas und Bücher.
Hier in der früheren Lesehalle verkauft Ex-HSV-Präsident Jürgen Hunke Buddhas und Bücher. © picture alliance | dpa Picture-Alliance / Bildagentur-online/Ohde

Tatsächlich aber handelt es sich um das Anwesen des Hamburger Multi-Unternehmers, Autors, Theaterbesitzers und Ex-HSV-Präsidenten Jürgen Hunke. Gleich in der Nachbarschaft, in der früheren reetgedeckten „Lesehalle“, verkauft er neben Asiatica auch die eigenen Bücher, etwa „Du wirst 70 – freu Dich drauf!“ Und schräg gegenüber guckt Hunke auf das von ihm geplante spektakuläre „Teehaus“ auf der neuen Seebrücke, das nach langem Streit mit der Gemeinde nun doch ein „normales“ Restaurant geworden ist.

Man kann also auch in Timmendorf nicht alles haben. Die Hauptsache ist doch: fast alles. Zum Beispiel Beach Polo. Jedes Jahr reisen viele Teams, manche sogar aus Argentinien, an den Ostseestrand, um dort mit ihren Pferden die Deutschen Meisterschaften auszukämpfen. Andere lieben das Beachvolleyball-Turnier in einer riesigen Pop-up-Arena oder die vielen Open-Air-Konzerte mit Meerblick, wenn Stars wie H.P. Baxxter oder Nena ihre Auftritte umjubelt in den weichen Sand setzen. Oder das hochkarätige Festival JazzBaltica, das regelmäßig Tausende Fans aus ganz Deutschland nach Timmendorf zieht.

Am schönsten ist es in Timmendorf immer noch am Strand

Und wer es etwas ruhiger mag? Für den gibt es nebenan Timmendorfs siamesische Schwester Niendorf mit dem Alternativprogramm: Fischkutter gucken im Hafen! Matjesbrötchen bei „Klüvers“ genießen! Und sensationelle 13-lagige Schokotorten im „Café Strandvilla“!

Vor allem aber lockt ein Paradies, das gerade mal einen Kilometer entfernt im Hinterland liegt: die Aalbeek-Niederung. Am Vogelpark vorbei und dann geradeaus: Schon gibt es nur noch Natur pur. Von einem Holzturm, benannt nach Hermann Löns, hat man einen prachtvollen Blick auf den Hemmelsdorfer See, über den immer mal wieder ein Seeadler majestätisch hinwegschwebt.

So kommen Sie nach Timmendorf:

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  • Mit dem Auto geht es natürlich am schnellsten nach Timmendorfer Strand – es muss nicht einmal ein Porsche sein. Ohne Stau dauert die Fahrt von Hamburg aus etwa eine gute Stunde, an Sommer-Wochenenden aber auch gerne mal doppelt so lang. Im Ort selbst gibt es strandnah große kostenlose Parkplätze – eindeutig ein Vorteil gegenüber Scharbeutz, dem Rivalen nebenan.
  • Mit der Bahn kommt man ebenfalls nach Timmendorf, allerdings müssen Hamburger in Lübeck umsteigen.
  • Alle Infos über Urlaub in Timmendorfer Strand gibt es bei der Tourismuszentrale: Telefon 04503-35 77-0

Ob freilich Heidedichter Löns, der einst gerne in Niendorf Urlaub machte, tatsächlich einmal an dieser Stelle war? Manche behaupten, dass der bekannte Frauenfreund eher anmutige Anblicke rund um die Badekarren gesucht habe.

Am schönsten ist es in Timmendorf eben immer noch am Strand, mit den Füßen im warmen Sand und dem weiten Blick ins Blaue. Hinterm Horizont geht’s weiter? Ja, mag sein. Aber da liegt Großenbrode. Wir bleiben einfach hier.

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