Westerland. Die schönsten Urlaubsorte an Nord- und Ostsee – Teil 18. Zwischen Liebe und Hass – kaum eine Insel polarisiert so stark.

Mit Sylt ist das so eine Sache. So wie mit Lakritzschnecken und Dschungelcamp, Dieter Bohlen und dem HSV. Man liebt die Insel oder hasst sie. Grautöne gibt es nicht (außer am Himmel). Kein Schwarz und kein Weiß. Keine halben Sachen! Entweder – oder. Extreme, die aufeinanderprallen. Selten gab es einen Urlaubs­ort, der so stark polarisiert wie Sylt. Die Vorurteile gegenüber der nordfriesischen Insel sind wie ihr Flächenmaß ein Superlativ: am größten.

Selbst wer noch nie da war, hat eine Meinung. Meistens keine gute. Zu exklusiv und zu exaltiert sei Sylt, die Menschen versnobt und arrogant. Heißt es. Ähnlich diskreditiert werden nur noch Hamburgs Eppendorfer oder Blankeneser, denen je nach Stadtteil der Beiname „Schnepfendorfer“ sowie „Deppendorfer“ oder „Blankekneter“ anhängt. Vielleicht sogar zu Recht. Schließlich gibt es sie wirklich in Eppendorf und Blankenese. Und auf Sylt. So wie überall. In jedem Land, jeder Stadt, jedem noch so kleinen Dorf.

Sylt ist mehr als High Society und Sansibar

Höchste Zeit, die Sache in die Hand zu nehmen. Schließlich ist Sylt mehr als Kampen und Knete, High Society und Sansibar, Porsche und Prosecco. Sylt ist ein Gefühl. So unbeschreiblich wie die Liebe. Klingt pathetisch, aber vielleicht ist genau das die Emotion, mit der sich Sylt am ehesten fassen lässt. Liebe! Total irrational. Mit dem Verstand kaum zu erklären! Denn jedes Argument, das für Sylt spricht, das trifft auch auf Dutzende von anderen Urlaubsorten zu. Jedem Vorteil stehen mindestens genauso viele Nachteile gegenüber. Auch wenn es absurd erscheint: Wer Sylt verstehen will, kann das nicht mit dem Verstand. Sondern mit dem Herzen. Nur so kommt man der Sache näher.

Was kann es schöneres geben als den Sonnenuntergang am Wasser im Strandkorb zu genießen.
Was kann es schöneres geben als den Sonnenuntergang am Wasser im Strandkorb zu genießen. © Getty Images/iStockphoto | Getty Images/iStockphoto

Der Weg ins Herz führt über die Ohren. Der Song „Westerland“ ist so etwas wie die in­offizielle Hymne der Insel – auch wenn die Punkband Die Ärzte das nie vorhatte. Im Gegenteil: Westerland sollte keine Hommage sein – sondern eine ironische Abrechnung mit den typischen Sylt-Touristen (Zitat der Band: „Teilweise ekelhafte Besucher“.) Trotzdem – oder gerade deswegen: Das Lied löst bei vielen genau das aus, was so spöttisch besungen wird: „Oh, ich hab solche Sehnsucht. Ich verliere den Verstand. Ich will wieder an die Nordsee. Ich will zurück nach Westerland.“ Einmal gehört, nie wieder vergessen. Ein Zusammenspiel von Musik und Emotionen.

Sylt ist so etwas wie ein Virus

Das Gefühl, das Westerland entfesselt, ist stärker als bei jedem Foto oder jedem Film von der Insel. Das muss nicht jedermanns Sache sein. Meine schon! Ich muss 13 gewesen sein, als ich das erste Mal auf Sylt war. Auf Klassenreise, in Puan Klent natürlich. Ob das allein gereicht hätte, sich in die Insel zu verlieben? Fraglich. Vermutlich nicht. Schließlich war es vollkommen egal, in welcher Jugendherberge man spätabends in die Zimmer der Jungs huschte oder an welchem Strand man Skulpturen aus Sand und Muscheln baute. Egal, wo man das erste Mal mit klammen Fingern Händchen hielt und bis nachts heimlich Musik aus dem Kassettenrekorder hörte. Die Liebe zu Sylt allein damit zu erklären – das wird der Sache nicht gerecht.

Drei Tipps:

  1. Der Name sagt schon alles. Erleben! Im Erlebniszentrum Naturgewalten gibt es unendlich viele Möglichkeiten zum Mitmachen, Experimentieren, Spielen und Staunen. Einfach grandios – nicht nur für Kinder. Erlebniszentrum Naturgewalten in List, Hafenstraße 37. www.naturgewalten-sylt.de
  2. Wer beim Thema Essen nur an Gosch und Sansibar denkt, der war noch nie in der Beach Box. Im kultigen kleinen Strandkiosk gibt es die wahrscheinlich leckersten Burger der Insel. Da die Beach Box am Strandzugang liegt, kann man die Burger barfuß essen, wenn man vom Strand kommt – oder dorthin mitnehmen. Käpt’n-Christiansen-Straße 40, Westerland.
  3. Dieses Buch sollte in keinem Koffer fehlen – egal, wohin es an Nord- oder Ostsee geht. Denn „Julius forscht. Am Meer“ ist eine Schatzkiste an Ideen für den Urlaub mit Kindern am Meer. In dem Buch gibt es viele spannende Informationen rund um die Themen Wasser, Wind und Watt, die kindgerecht erklärt werden. Was das Buch aber besonders macht, sind die vielen Experimente und Entdeckertipps. Michael König: Julius forscht. Am Meer. Olivia Verlag. 96 Seiten. 15 Euro.

Denn es dauerte mehr als 20 Jahre bis zur nächsten Reise. Eine Reise, die sich wie eine Rückkehr anfühlte. Denn plötzlich war da eine Vertrautheit, fast schon Verliebtheit, wie ich sie noch nirgendwo­ anders empfunden hatte. Ich frage mich dann und wann, ob Sylt so etwas wie ein Virus ist. Später weiß man nicht mehr, wo man sich angesteckt hat – und warum es einen selbst so schwer erwischt hat, während andere scheinbar immun sind. Wer sich einmal infiziert hat, wird es meist sein Leben lang nicht mehr los. Ein Heilmittel gibt es nicht.

„Manchmal schließe ich die Augen. Stell mir vor, ich sitz am Meer. Dann denk ich an diese Insel. Und mein Herz, das wird so schwer. Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehen. Wann werd ich sie wiedersehen?“ Selbst Die Ärzte haben sich inzwischen mit der Insel ausgesöhnt und ihren Frieden mit Sylt gemacht. Zitat: „Da die Insel ja schön ist.“

Im Westen langer Sandstrand – im Osten Wattenmeer

Ein Freestyler surft vor Westerland bei Sonnenuntergang. Surfer und Kiter lieben das Revier.
Ein Freestyler surft vor Westerland bei Sonnenuntergang. Surfer und Kiter lieben das Revier. © picture alliance / Fotostand | dpa Picture-Alliance / Fotostand / Ellerbrake

Damit kommen wir der Sache schon näher. Sylt ist schön. Großartig. Vielfältig und facettenreich. Sylt ist voller Kontraste. Gegensätze schließen sich hier nicht aus, sondern ergänzen sich. Die Strände sind so ein Beispiel dafür. Im Westen und Nordwesten langer Sandstrand, oft mit Wind, Wogen, Wucht – im Osten Wattenmeer, still und glatt. Eine Schatzkiste aus Tang, Holz und Muscheln. Auf der einen Seite durchgeweht werden und die Sorgen vom Wind forttragen lassen – auf der anderen Seite zur Ruhe kommen und innehalten. Eins mit der Natur ist man überall.

Die Sache ist klar! Sylt ist nicht gleich Sylt. Sondern überall anders. Typisch Sylt gibt es nicht. Westerland ist nicht Rantum, Kampen nicht Keitum. Was in dem einen Ort charakteristisch für die Insel erscheint, ist es in einem anderen noch lange nicht. Einzig die malerischen Friesenwälle voll mit prächtigen Blumen und reetgedeckten Häusern sind bezeichnend für die Nordfriesen-Insel.

So kommen Sie nach Sylt:

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© HA Grafik, HA Infografik, F. Hasse | Frank Hasse
  • Mit dem Auto: In Niebüll erreichen Sie den Sylt-Shuttle der DB oder den RDC-Autozug. Sie verkehren im Wechsel – achten Sie darauf, welcher Zug als nächstes startet und Plätze frei hat. Fahrzeit: ca. 35 Minuten.
  • Mit der Bahn: Von vielen Städten kann man direkt mit der DB Regio oder mit dem IC anreisen. Die Bahn hält auf der Insel in Morsum, Keitum und Westerland.
  • Mit der Fähre: Von Rømø verkehrt die Rømø-Sylt Linie (Pkw-Mitnahme möglich). Wer ohne Auto anreist, kann das mit der Fähre ab Cuxhaven, Nordstrand und Dagebüll.

Wer Sylt kennen- und lieben lernen will, kann das nicht nur an einem Platz. Dafür sind die verschiedenen Orte zu facettenreich – und die Wege einfach zu schön. „Der Weg ist das Ziel“, heißt es manchmal, und zwischen Westerland und Morsum, Hörnum und List scheint sich dieser Kalenderspruch zu bewahrheiten. Straßen und Wege sind auf Sylt nicht nur Verbindungen zwischen zwei Orten, sie sind Teil des Ankommens.

Einer der schönsten Wege führt von Kampen nach Braderup

Auch wenn es absurd klingt: Wer innehalten will, muss nicht anhalten. Er muss sich auf den Weg machen. Auf den Weg durch hügelige Dünenlandschaften und lila blühende Heide, vorbei an üppigen grünen Pferdekoppeln, mit Schafen getupften Landstrichen und weißen Sandstränden, die sich vom blauen (oder manchmal grauen) Himmel abheben.

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Einer der schönsten Wege führt von Kampen nach Braderup durch die Braderuper Heide, von der man einen fantastischen Blick auf den Nationalpark Wattenmeer hat. Ein anderer Weg von Westerland nach List, wo fern der Siedlungsgebiete der Ellenbogen liegt, Deutschlands nördlichster Punkt. Die 330 Meter schmale und 1200 Meter lange Halbinsel ist ein einziges Vogel- und Naturschutzgebiet. Wichtige Sache: Wer mit dem Auto reinfahren möchte, muss eine Maut-Gebühr zahlen. Davon aber nicht abschrecken lassen. Es lohnt sich!

Jetzt liegt es an Ihnen! Ob Sie Sylt lieben oder hassen werden. Obwohl Hass angeblich ja nichts anderes sein soll als enttäuschte Liebe. Aber das ist eine ganz andere Sache.

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„Nord? Ost? See!“ Das neue Abendblatt-Magazin zum Urlaub an Nord- und Ostsee gibt es in der Geschäftsstelle, unter www.abendblatt.de/magazine sowie unter Telefon 040/ 333 66 999. Preis: 9 Euro, Treuepreis: 7 Euro (zzgl. Versandkosten)

Buch-Tipp: Sylt für Klugscheißer

Schon der Titel ist einfach klasse und macht klar: Dieses Buch ist kein typischer Reiseführer, sondern eine Sammlung kleiner, oft lustiger Fakten über die Insel. Zum Beispiel, warum die Heide ab und zu brennt (und damit meist einen Fehlalarm bei der Feuerwehr auslöst), was es mit dem "farblosen" Leuchtturm in Kampen und den Strandleichen auf sich hat, was die RALF Regel besagt und warum Rumpelstilzchen etwas mit Sylt zu tun hat. Selbst für eingefleischte Fans gibt es noch viel zu entdecken.

Sylt für Klugscheißer. Klartext, 104 Seiten. 14,95 Euro.