List. Wie das 100-Millionen-Euro-Projekt eines Österreichers die kleine Gemeinde List auf Sylt verändern soll.

Liebe auf den ersten Blick war es nicht. Aus der Sicht des Österreichers, der viele Sommer auf der für ihn „heilsamen“ Insel verbracht hatte, vielleicht schon, aber die Nordfriesen, die sind skeptisch, wenn einer „Hoppla, hier bin ich!“ ruft und große Versprechungen macht: Arbeitsplätze, Infrastruktur, eine Ausdehnung der Saison in die schwachen Wintermonate hinein, ein internationaleres Publikum.

Klingt gut, doch viele gescheiterte Großbauprojekte auf Sylt haben ihre Narben hinterlassen. Also rollte niemand Dr. Christian Harisch, Hotelier des Jahres 2017 und mit Preisen für seinen Lanserhof am Tegernsee überschüttet, den roten Teppich aus, als dieser verkündete, in der nördlichsten Gemeinde Deutschlands ein weiteres Medical Spa errichten zu wollen. Die Bauarbeiten beginnen in der nächsten Woche.

Ein Österreicher auf Sylt

„Die Skepsis hat mich nicht verwundert, bislang sieht man ja nur ein Loch im Boden, und die Nordfriesen sind sehr vielschichtige Menschen ­– List ist kein Mädchenpensionat,“ sagt der 52-Jährige, der eigentlich das Gegenteil seines Produktes darstellt. Im Lanserhof soll man zur Ruhe kommen und entschleunigen, Harisch hingegen ist ein Beschleuniger, immer am Antreiben, immer am Anpacken.

Der Hotelier Christian Harsich auf Sylt.
Der Hotelier Christian Harsich auf Sylt. © Simone Steinhardt

Schon als Kind machte er am Wochenende in den Hotels der Eltern in Kitzbühel den Abwasch, später kellnerte er: „Als Koch bin ich schlecht, aber im Service war ich immer der Beste.“ Der geschulte Blick auf den Kunden half ihm dabei, langsam, aber sicher das Vertrauen der Einheimischen aufzubauen. Inzwischen scheint sogar der Bürgermeister von List, Ronald Benck, ein Fan des Investors zu sein, und wir sprechen hier immerhin von dem Mann, der sich mit Harisch so harte Duelle lieferte, dass sie vom ehemaligen Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, Reinhard Meyer, geschlichtet werden mussten. Da saßen drei Männer in einem Büro, vor den Türen die Anwälte, und diskutierten über die Zukunft des kleinen Nordseebades.

Lists Bürgermeister hat sich überzeugen lassen

„Ich bin hier geboren, meine Eltern würden sich im Grab umdrehen, wenn ich etwas zulasse, was unserem Ort nicht guttut“, sagt Benck und fügt sehr zügig hinzu: „Aber bislang hat sich Dr. Harisch an alles gehalten, was er zugesagt hat. Inzwischen bin ich fest davon überzeugt, dass List vom neuen Lanserhof sehr profitieren wird.“

Da wäre zum einen die Zahl der Einwohner. List hat 1536, das sind nach der Standortschließung der Bundeswehr zu wenig. Die letzten Soldaten gingen 2007, das tat dem Haushalt nicht gut. Ausgleichszahlungen, die vom Land zugesagt worden waren, sind nie geflossen. „So sind unsere Erfahrungen mit Versprechungen“, sagt Benck. Mindestens 100 neue Bewohner könnte der Lanserhof bringen.

Lanserhof „erhöht die Strahlkraft der Marke“

Läuft es richtig gut mit dem Gesundheitshotel, dessen Konzept auf der Kombination von Naturheilkunde und innovativer Medizin beruht, dann würden perspektivisch sogar mehr Mitarbeiter nötig sein. Und die wären auch in dunklen Monaten wie jetzt vor Ort, wenn List ein bisschen zu ausgestorben wirkt. Medical Wellness funktioniert problemlos außerhalb der Hauptsaison, dafür braucht man kein Strandwetter. „Wir erweitern dadurch unser Angebot, erschließen uns neue Zielgruppen“, sagt Moritz Luft.

Bei dieser Architektur muss man schon fast schwindelfrei sein
Bei dieser Architektur muss man schon fast schwindelfrei sein © Lanserhof GmbH | Lanserhof GmbH

Der Geschäftsführer der Sylt Marketing GmbH glaubt, der Lanserhof passe mit seiner besonderen Ausrichtung auf First-Class-Wellness gut zu Sylt: „Das erhöht die Strahlkraft unserer Marke“. Luft gefällt die Vorstellung, mehr internationale Gäste auf der Insel begrüßen zu dürfen, doch die von Dr. Harisch angepeilten Zahlen (65 Prozent seiner Gäste sollen perspektivisch aus dem Ausland kommen), weichen deutlich von der bisherigen Statistik ab: 97 Prozent aller Sylt-Urlauber sind Deutsche.

Mit dem Privatjet von London nach Sylt

Aber Macher Harisch baut keine Luftschlösser, sondern Hotels, insofern hat er natürlich eine Idee, wie er Gäste aus London, Rom, Paris oder Madrid nach List bekommt: mit einem Privatflugzeug. Der Lanserhof (Zimmer ab 500 Euro) wird seine Gäste nicht nur vom Bahnhof abholen, sondern aus anderen Ländern einfliegen lassen. 3000 Euro könnte so ein Service hin und zurück kosten. Wenn sich mehrere Londonerinnen zusammen tun und sich den Flieger teilen, erscheint die Idee gar nicht so abwegig.

Darf sie auch nicht, denn bei einem Nischenprodukt wäre es fatal, nur von einem Markt abhängig zu sein. Internationalisierung ist also überlebensnotwendig für den Lanserhof, dessen Bau 100 Millionen Euro kosten wird. Die Gesellschafter sind neben Harisch sein langjähriger Geschäftspartner Stefan Rutter und der Kommerzialrat Anton Pletzer; an der Immobilie ist auch Harischs Freund Johannes B. Kerner beteiligt. Prominenz und ausländisches Flair – List strebt nach Höherem. Man sieht die New Yorker quasi schon vor Gosch stehen und mit Google-Translator-Hilfe bestellen: „One Fischbrötchen and one Blubberwasser, please!“

Fasten im Lanserhof? „Irgendwann haben sie Hunger“

Die heimische Gastronomie freut sich jedenfalls schon auf zusätzliche Gäste, was verwundert, weil im Lanserhof ja meistens gefastet wird. „Na klar,“ sagt der Bürgermeister lachend, „aber irgendwann haben sie Hunger und kommen raus.“

Am Feuer auf die Dünen blicken und entspannen.
Am Feuer auf die Dünen blicken und entspannen. © Lanserhof GmbH | Lanserhof GmbH

List hat sich in der Hinsicht neu aufgestellt. Der Edeka wurde ins Zen­trum verlegt und so groß und einladend gebaut, dass inzwischen Menschen aus Westerland bis nach List fahren, um dort ihren Frischkäse einzukaufen. Bislang dachte man ja, Feinkost Meyer in Wenningstedt sei der schönste Verbrauchermarkt der Welt, aber List hat sich zum ernsthaften Konkurrenten entwickelt.

List hat gute Chancen auf Platz zwei – hinter Kampen

Auch bei den Immobilienpreisen. Früher galt List als Randgebiet, als „ab vom Schuss“, doch seit der Eröffnung des Arosa, dem Bau des Lister Marktes sowie der geplanten Umgestaltung des Ortskerns (die Hafenstraße soll zum Boulevard werden) steigen die Preise. „List ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht“, sagt Torsten Paulsen, Vertriebsleiter von Grossmann & Berger auf Sylt. Es gäbe immer mehr Nachfragen. „Kampen wird die Nr.1 bleiben, aber List hat gute Chancen, auf Platz 2 vorzurücken.“

Eine Neubaudoppelhaushälfte mit 160 Quadratmetern kostet aktuell zwischen 2 und 2,5 Millionen Euro, vor fünf Jahren hätte man die noch für 1,2 – 1,6 Millionen bekommen. „Der Lanserhof wird das Interesse an Objekten in List weiter ankurbeln. Entgegen der landläufigen Meinung gibt es auf Sylt nämlich nicht nur Luxushotels“, sagt Paulsen.

Ein Kindergarten, der sogar am Wochenende geöffnet ist

Neben dem Lanserhof steht ein weiteres Großbauprojekt in den Startlöchern: Auf dem 18 Hektar großen Gelände der ehemaligen Marineversorgungsschule wird der Dünenpark List errichtet mit Ferienunterkünften, Wohnungen für Einheimische und einem Kindergarten. Hier kommt wieder Dr. Harisch ins Spiel. Er will sich an dem Kindergarten beteiligen, um seinen Mitarbeitern eine Rund-um-die Uhr-Betreuung auch am Wochenende zu ermöglichen. „Wir möchten der beste Arbeitgeber der Welt sein“, sagt Harisch, dessen siebenjährige Tochter Übernachtungspartys liebe, und die solle es dort am besten auch geben.

„Wenn in List alles so umgesetzt wird, wie es jetzt geplant ist, dann rückt der Ort in eine andere Dimension vor“, glaubt der Investor. Der Bürgermeister, sein fast neuer Freund, wagt einen Blick in die Zukunft: „List wird zum Hotspot“.

Ob er denn selbst auch mal eine Kur im Lanserhof machen werde, wenn das Hotel Ende 2020 eröffnet sei? Nein, so weit geht die Liebe dann doch nicht, gibt Ronald Benck zu: „Ich habe den Lanserhof-Tee schon getrunken, das halte ich keine ganze Woche aus.“