Kappeln. Nur eine Stunde von Hamburg entfernt und doch im Schatten von Sylt und St. Peter-Ording. Eine Reise in ein kleines Paradies.

Es gibt diese Geschichte eines bekannten Hamburger Kaufmanns, der seit Jahren nahezu jedes freie Wochenende und fast alle Urlaube an der Schlei verbringt. Und der sich jetzt, wenn er diese Seiten liest, ärgern wird. Weil er nämlich nichts weniger mag als Berichte über ­seinen geliebten zweiten Lebensmittelpunkt rund um den 42 Kilometer langen Meeresarm der Ostsee: „Je weniger über die Schlei berichtet wird, umso besser“, sagt er. „Dann habe ich das Paradies weiter für mich.“

Tatsächlich steht die Region trotz ihrer Nähe zu Hamburg nach wie vor im Schatten von Sylt, St. Peter-Ording oder den Osteebädern an der Lübecker Bucht. Die Menschen, die wie unser Kaufmann die Schlei entdeckt haben, sind froh, dass die Gegend über den Status eines Geheimtipps bei vielen Touristen nicht hinausgekommen ist – und dass bisher kein Hotelkonzern die Idee hatte, hier ein Haus zu eröffnen – in einem Teil Schleswig-Holsteins, der mindestens so schön ist wie die genannten, aber nicht halb so überlaufen.

Zuletzt sorgte die Schlei wegen des neuen Weltkulturerbes, des Wikingerdorfs Haithabu ganz in der Nähe, für Schlagzeilen. Und wegen ihrer Verschmutzung mit Plastik, woraus unser Kaufmann sich eine abschreckende Wirkung erhoffen mag. Das aber hat der Landstrich, der nur eine gute Autostunde von Hamburg entfernt liegt, nicht verdient. Im Gegenteil: Kommen Sie mit auf eine Reise, immer die Schlei entlang.

1. Die Fischer der Familie Ross (Schleswig)

Am Yachthafen von Schleswig, direkt an der Wasserkante, hat sich eine Ansammlung von Menschen gebildet. Einige haben Eimer dabei, andere Tüten. Wieder andere stehen einfach nur da und schauen zu. Vor ihnen im Wasser liegen drei kleine Boote im Päckchen, in jedem ein Mann mit Mütze und Fischerhose. Es ist Donnerstagvormittag, Jörn Ross und seine Söhne Nils und Christian verkaufen ihre Fische. Im Sommer liegen sie hier immer von Mittwoch bis Sonnabend mit ihren kleinen Kuttern und bieten den Fang der letzten Nacht an. Heute im Angebot: Steinbutt, Hecht, Flunder, Scholle, Aal, Dorsch, Barsch und Brasse. „Soll ich gleich die Köpfe abschneiden?“, fragt Christian Ross seinen Kunden, dem er gerade sechs Schollen abgewogen hat. Dann geht es ruckzuck. Ein letztes Bad gibt es noch zur Reinigung in der Schlei, bevor die Tiere in den mitgebrachten Eimer wandern. „Zehn Euro“, sagt Ross. „Bitte geben sie das Geld dort hinten meiner Mutter. Die kassiert.“ Und schon ist der nächste Kunde dran.

Hier kann man noch günstig fangfrischen Fisch kaufen: bei Fischer Joern Ross am Schleswiger Hafen
Hier kann man noch günstig fangfrischen Fisch kaufen: bei Fischer Joern Ross am Schleswiger Hafen © Andreas Laible | Andreas Laible

Jeden Tag fährt einer der drei Männer raus. Mal am späten Nachmittag, meistens in der Nacht. Nils Ross und sein Vater Jörn sind heute Morgen um fünf zurückgekommen. Drei Stunden Schlaf müssen reichen, dann geht es wieder an die Arbeit. Aber nicht nur aus Schleswig fahren die Männer auf der Suche nach Fischen auf die Schlei und legen Stellnetze aus. Auch in Kappeln liegt ein kleines Boot. „Und dann haben wir noch einen elf Meter langen Kutter in Maasholm, mit dem es auf die Ostsee hinausgeht“, sagt Ross, ein fröhlicher junger Mann, der für jeden Kunden einen netten Satz parat hat.

Zum Schluss zeigt er noch den Beifang der Nacht. Drei zerbeulte Bierdosen. Einige undefinierbare Plastik- und Metallteile. „Und ein Regenschirm“, ruft sein Vater von hinten. Den Müll entsorgen die Fischer zu Hause. Schließlich wollen sie ihre Fanggründe möglichst sauber halten. Und auch für die kritischen Beobachter, die die letzten dramatischen Meldungen über die Verschmutzung des Meeresarmes durch Plastikteilchen aus dem Klärwerk gelesen haben, hat Ross noch die passenden Informationen parat: „Dieser Vorfall hat dafür gesorgt, dass die Schlei so sauber ist wie lange nicht“, sagt er. „Denn endlich wurden auch die Ufer einmal gereinigt. In dem Schilf hatte sich die vergangenen Jahre so viel Dreck verfangen. Der ist nun glücklicherweise weg.“ Die Fische habe er untersuchen lassen. „In keinem Tier wurde bisher Plastik gefunden.“ Dennoch werden er und seine Familie auch weiterhin jeden Müll, den sie finden, aus der Schlei angeln. Damit sie auch in den kommenden Jahren noch viele Schollen, Aale und Hechte herausziehen können.

2. Die Burgermeisterin (Schleswig)

Da sind sie ja, die zwei Damen vom Grill: Katrin Sindram und Katrin Siepel betreiben seit März im Yachthafen von Schleswig das Bistro Burgermeisterin und werden von Kundschaft überrannt. „Das hätten wir nie erwartet“, sagt Siepel. „Das Wetter sorgt hier mittlerweile aber auch monatelang schon für grandiose Stimmung.“ Seit eineinhalb Jahren unterhalten die Frauen einen kleinen Wagen, aus dem heraus sie auf Märkten, Großveranstaltungen, aber auch bei privaten Feiern Burger verkaufen. „Es war eigentlich nur die logische Konsequenz, dass wir das irgendwann an einem festen Standort versuchen.“ Am Yachthafen gibt es nicht nur Burger in den verschiedensten Geschmacksrichtungen, sondern auch Salate, Flammkuchen oder andere Snacks. Der Favorit der Gäste: der Wikinger mit Zwiebeln, Käse, Salat, Bacon, Barbecue-Sauce für sieben Euro. Vorn vor der Tür des Lokals stehen zehn große Strandkörbe, aber auch Liegestühle, aus denen die Gäste beim Essen direkt aufs Wasser blicken können und auf Schiffe, Urlauber und Einheimische, die ablegen oder festmachen. Dahinter beginnt die Schlei, sich langsam durch das Land zu winden. Hinter dem kleinen gläsernen Haus direkt am Wasser stehen seit einigen Wochen zwei kleine Container. Hier werden Getränke und andere Waren aufbewahrt und gekühlt. „Drinnen war für die Mengen, die wir benötigen, einfach kein Platz mehr“, sagt Sindram. Und dann muss sie wieder hinter den Tresen. Es ist 11.45 Uhr, die ersten Gäste stehen an.

3. Fährhaus Missunde (Brodersby)

Einer der schönsten Orte an der Schlei, an der es so viele schöne Orte gibt, ist Missunde. Hier an einer der engsten Stellen, wo eine kleine Fähre Autos und Radfahrer über den Meeresarm schippert (für Fußgänger kostet die Überfahrt 60 Cent, für Radfahrer 1,20 Euro, ein Auto 2,20 Euro), steht direkt am Wasser das Fährhaus Missunde. 2012 wurde es von Birgit und Andreas Albert übernommen, seitdem ist hier viel passiert. Das Haus wurde innen umgebaut und modernisiert, inklusive eines neuen, großen Saals für Feiern. Und viel wichtiger: Direkt an der Schlei liegt eine Terrasse mit unverstelltem Blick auf das Wasser.

„Viele Gäste kommen hierher und fragen nach Tischen zur Schlei“, sagt Sarah Ewel, die Assistentin der beiden Eigentümer. Der Laden läuft, besonders beliebt sind unter anderem Kalbsleber und Matjes nach Hausfrauenart. Nur ein kleines Problem gebe es, sagt Ewel: „Wir suchen händeringend Mitarbeiter.“ Mittlerweile habe das Haus einen Shuttlebus eingerichtet, mit dem die Angestellten aus Flensburg oder Schleswig abgeholt werden. „Das spart Zeit, Nerven und vor allem Benzin“, sagt Ewel, die selbst in Flensburg wohnt.

Zum Fährhaus Missunde gehört auch ein Mini-Gästehaus mit vier verschieden großen Suiten, die im Stil eines Designhotels eingerichtet sind. In der Hauptsaison kosten sie 180 Euro pro Nacht, am Wochenende 200 Euro (inklusive Frühstück). Viel Geld für die Region, und trotzdem sind die Betten in den Sommermonaten ausgebucht. Der Hafen vor dem Fährhaus hat mehr als 100 Liegeplätze für Boote in verschiedenen Größen. Alle legen direkt auf der Schlei mit dem Bug zum Land an, schauen entweder auf das Haus oder ein Stückchen weiter direkt in die Natur.

4. Café Lindauhof – (Boren, nahe der Brücke Lindaunis)

Viele Menschen werden das Haus aus der ZDF-Vorabendserie „Der Landarzt“ mit Christian Quadflieg, Walter Plathe und Wayne Carpendale kennen. Diese Zeiten sind lange vorbei. Das historische Herrenhaus, das quasi direkt an der Schlei liegt, gibt es aber noch immer. Und heute ist es sogar für jedermann zugänglich. Hier betreibt die Eigentümerfamilie Karberg seit 2013 ein kleines Lokal, das Café Lindauhof.


Cafe Lindauhof  in Boren. Zwei Jahrzente wurde das Haus vom ZDF für die Serie
Cafe Lindauhof in Boren. Zwei Jahrzente wurde das Haus vom ZDF für die Serie "Der Landarzt" genutzt © Andreas Laible | Andreas Laible

„Herzlich willkommen“, begrüßt Inken Marcussen jeden Gast mit einem freundlichen Lächeln. Viele bleiben nämlich kurz hinter der schweren Eingangstür stehen, sehen sich beinahe ehrfürchtig um. Einige beginnen sofort damit, die große Halle zu fotografieren. „Ja, hier wurde alles gedreht“, erzählt Marcussen dann. „Hier vorn, wo wir jetzt den Kuchen ausstellen, war der Empfangstresen der Landarztpraxis. Dort das Wartezimmer. Und da hinten Sprech- und Behandlungszimmer.“ An den Wänden zeugen Bilder von den Zeiten, als das Haus vor allem Kulisse war. Von 1986 bis 2012 wurde hier gedreht: „Das ZDF hatte alle Räume hier unten angemietet.“

Nachdem die Serie eingestellt wurde, habe sich die Eigentümerfamilie Karberg überlegen müssen, was sie mit dem historischen Gebäude, dessen vorderer Bereich aus dem 15. Jahrhundert stammt und eigentlich einmal als Burg geplant war, geschehen soll. „Dann hat Sonja Karberg die Idee mit dem Café gehabt“, sagt Marcussen. Hier werden nun frische Kuchen und Torten jeden Tag selbst gebacken, besonders beliebt ist die Gewittertorte aus Sahnebaiser und Stachelbeeren (das Baiser bricht beim Backen und sieht aus, als habe ein Blitz eingeschlagen). Ein paar Snacks wie Milchreis, Suppen oder belegte Brote gibt es auch. Und am Wochenende Frühstück. Im ehemaligen Behandlungszimmer werden zudem einmal im Monat Trauungen abgehalten – wie passend.

Sonja Karberg trägt seit 2014 in sechster Generation die Verantwortung für das Areal. Die junge Frau erwartet im Herbst ihr erstes Kind und hat sich deshalb ein wenig aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Sie wird würdig vertreten. Ihre Mitarbeiterin Inken Marcussen ist mit großer Leidenschaft dabei. Doch am Ende flüstert sie: „Ich kannte die Serie nicht, bis ich hier angefangen habe.“ So habe sie zu Beginn auch immer wieder vom Bergdoktor gesprochen. „Aber die meisten Gäste haben mich ganz geduldig korrigiert. Und mittlerweile passiert mir das nicht mehr.“

5. Brücke Lindaunis

Wer die Schlei entlangfährt, sollte immer wieder hier und da am Wegesrand Halt machen. Zu schön sind die kleinen Dörfer. Zu romantisch die geschlungenen Straßen, die kreuz und quer durch die Landschaft führen. Auf den Feldern läuft die Kornernte. Einer der Orte, an dem sich ein kurzer Stopp lohnt, ist Lindaunis. Die historische Klappbrücke, die über eine der engsten Stellen der Schlei führt und die beiden Halbinseln Angeln und Schwansen verbindet, ist wunderschön. Majestätisch hebt sich das riesige dunkelgraue Gestell jede Stunde einmal in die Höhe und ist dann schon von weit her zu sehen. Auf der einen Seite führen Schienen hinüber, die andere Seite kann mit dem Auto befahren werden. Allerdings nur einspurig, weshalb nicht selten lange Staus an den Ampeln auf beiden Seiten entstehen. In letzter Zeit wurde die Brücke etwas anfälliger. In diesem Frühjahr musste das 1924 errichtete Bauwerk wieder einmal geschlossen werden, das heißt: Weder Autos und Bahnen konnten oben die Schlei passieren, noch die Schiffe unten.

Früher oder später wird es an dieser Stelle eine neue Brücke geben. Die Planungen laufen bereits, heißt es bei der Bahn. Vermutlich wird mit den Bauarbeiten im Frühjahr 2019 begonnen. Spätestens 2021 soll die neue Brücke quasi direkt nebenan fertig gestellt sein. Also: schnell noch die alte ansehen!

6. Das Dorf Sieseby

Nicht nur Sylt hat seine Reetdachdörfer. Auch an der Schlei gibt es sie. Sieseby heißt der kleine Ort, an dessen Hauptstraße links und rechts verschieden große Katen stehen. Und vermutlich nicht ohne Grund befindet sich zu Beginn dieser Straße ein großer Parkplatz, auf dem Besucher ihre Autos nach Möglichkeit stehen lassen sollen. Gleich dahinter liegt der Gasthof Alt Sieseby von 1867. Dem majestätischen Gebäude, übrigens einem der wenigen ohne Reetdach, sieht man die frische Renovierung an. Die Gastronomin Maria von Randow hat es 2016 gekauft und aufwendig umgebaut. „Das Haus steht unter Denkmalschutz, deshalb mussten wir uns an viele Vorgaben halten“, sagt sie. Aber umso schöner sei es schließlich auch geworden. Heute bleiben viele Menschen im Eingang stehen und bewundern erst einmal das Innere.“

Der Gasthof Alt Sieseby von 1867
Der Gasthof Alt Sieseby von 1867 © Andreas Laible | Andreas Laible

Seit 2007 kocht die freundliche Frau bereits in der Region, bis zum vergangenen Jahr allerdings nebenan im Rieseby Krog. Mit Erfolg: In den vergangenen vier Jahren war von Randow im „Guide Michelin“ aufgeführt. Und auch in ihrem ersten Jahr im Gasthof Alt Sieseby waren die Restaurantkritiker schon da. „Wir werden wieder eine Erwähnung bekommen, das weiß ich schon“, sagt von Randow. Für einen Stern hat es bisher nicht gereicht, soll es auch gar nicht, wenn es nach ihr geht. „Wir wollen einfache genussvolle Küche anbieten, mehr nicht. Und mit einem Stern müssen wir uns an so viele Regeln halten.“

Das Haus hat zudem sechs Zimmer und eine Familiensuite für Übernachtungsgäste (ab 145 Euro pro Nacht für zwei Personen mit Frühstück). Der Schlie Krog, ein weit über die Grenzen Schleswig-Holsteins bekanntes Restaurant, musste im vergangenen Jahr schließen.

7. Event Nature (Sundsacker, gegenüber von Arnis)

Über die Schlei gehen? Das kann in Sundsacker, direkt gegenüber des kleinen Örtchens Arnis, eigentlich jeder. Denn das Camp Event Nature bietet sogenannte Aqua-boots zum Verleih. Das sind riesige Schuhe aus Plastik in Form von Mini-Kajaks. Dazu ein paar Stöcke, die Auftrieb geben, und schon kann sie losgehen, die Wanderung auf dem Wasser. Zumindest theoretisch. Denn so leicht, wie es hier klingt, ist die außergewöhnliche Fortbewegung nicht. „Es ist unheimlich schwer, die Füße neben einanderzuhalten und nicht abdriften zu lassen“, sagt Meike Hoffmann, die mit ihrem Mann Günther das Unternehmen am Wasser betreibt. „Denn wenn das erste Bein sich selbstständig macht, hat man eigentlich schon verloren.“ Vielleicht leihen auch deshalb besonders gern Männer für Junggesellenabschiede die Wasserschuhe aus. „Da geht es dann eher darum, wer zuerst im Wasser liegt, und nicht, wer zuletzt.“ Hoffmann selbst hat es mit den Schuhen natürlich schon trocken auf die andere Seite geschafft.

Camp Sundsacker: Hier kann man in Zelten und Hütten übernachten
Camp Sundsacker: Hier kann man in Zelten und Hütten übernachten © Andreas Laible | Andreas Laible

Wer es nicht ganz so nass mag, findet bei Event Nature jede Menge andere Möglichkeiten, sich auf dem Wasser fortzubewegen. Kanus in allen Formen und Größen werden angeboten. Wanderkutter liegen an dem kleinen Steg vor der Tür. Und gegenüber in Arnis haben die Hoffmanns einen Traditionssegler liegen, mit dem es auch auf die Ostsee hinausgehen kann. Zum Camp gehören zudem sieben einfache Hütten (ab 16 Euro pro Nacht pro Person). Hier übernachten vor allem Schulklassen oder andere Jugendgruppen, in den Sommerferien auch Familien. „Die kleinen Holzhütten sind nach dem skandinavischen Prinzip aufgebaut. Doppelstockbetten und ein Tisch, mehr gibt es nicht“, sagt Hoffmann. Und zeigt dann noch stolz auf ein riesiges weißes Zelt unter Bäumen. Eine Treppe führt ins Innere. „Unser erstes Glamping-Zelt mit einem richtigen Doppelbett.“ Ein bisschen Luxus an der Schlei. Die Übernachtung kostet hier 55 Euro für zwei Personen.

8. Arnis

Die kleinste Stadt Deutschlands liegt direkt an der Schlei auf einer kleinen Halbinsel. Und ist nicht nur deshalb weithin bekannt. Gerade einmal 300 Einwohner leben in dem kleinen Ort mit seinen Miniaturhäusern. Einige von ihnen stammen aus dem 17. Jahrhundert, sind mithin so alt wie die Stadt. Die Lange Straße, ein wirklich passender Name, führt vom einen Ende der kleinen Stadt bis zum anderen. Die einzelnen Grundstücke daran sind auffallend schmal, dafür reichen sie bis an die Schlei. Ein Spaziergang ist dieses außergewöhnliche Örtchen immer wert.

Bekannt ist Arnis aber über die Landesgrenzen hinaus vor allem für seine Werften. Nirgends sonst gibt es so viele auf einem so kleinen Fleck. Eine von ihnen ist gerade frisch dazu gekommen. Der gebürtige Hamburger Jan Brügge hat sich vor zwei Jahren an der Schlei selbstständig gemacht. Und ist bereits nach kurzer Zeit richtig gut im Geschäft. „Ich hätte nie für möglich gehalten, dass sich das so schnell so gut entwickelt“, sagt er.

Der 31-Jährige hat sich ein junges Team von zehn Männern und einer Frau zusammengestellt. In zwei Hallen werden jetzt Boote, besonders solche aus Holz, repariert und gepflegt. Aber auch ein großer Neubau ist in Arbeit: Brügge und sein Team fertigen eine 14,50 Meter lange Yacht für einen Hamburger Un­ternehmer. Im kommenden Jahr soll das Rennboot zu Wasser gehen. „Ein ­unheimlich spannendes Projekt“, schwärmt Brügge, der sich in der kleinsten Stadt Deutschlands schon nach kurzer Zeit richtig zu Hause fühlt. „Ich habe zwei kleine Kinder, drei Jahre und acht Wochen sind sie alt. Schöner könnten sie nicht aufwachsen.“

Ein Tipp für Besucher: Am Ende der Ortschaft steht die historische Schifferkirche aus dem Jahr 1673. Ein ganz besonderes kleines Gotteshaus. Der Innenraum ist mit nautischen Gegenständen und Mini-Segelschiffen dekoriert. Das und die weißen Bänke machen die Kirche so einladend wie wenige andere.

9. Kappeln

„Moin, moin“, ruft eine freundliche Stimme durch die Sprechanlage. „Kommen sie rein.“ Leichter gesagt als getan, wenn man vor der falschen Tür steht und wartet. Aber dann zeigt sich ein großer kräftiger Mann hinter der Scheibe und lässt uns herein. In sein zweites Zuhause, hoch über der Schlei. Bernd-Uwe Hansen ist einer der Wärter der Schleibrücke in Kappeln. Jeden Tag sorgt er dafür, dass pünktlich um ein Viertel vor der vollen Stunde sich die vier großen Klappen anheben, um die Schiffe passieren zu lassen. „1500 Tonnen werden jedes Mal bewegt“, sagt Hansen.

Der Mann ist lange im Geschäft. Seit 28 Jahren arbeitet er an Kappelns Nadelöhr. Hat selbst die alte Drehbrücke bedient, die bis 2002 direkt nebenan stand. Doch die war irgendwann zu störungsanfällig. Und vor allem zu klein. „Heute fahren hier am Tag 23.000 Autos entlang. Das wäre mit der alten Brücke gar nicht möglich gewesen“, sagt Hansen. Der freundliche Mann mit den kurzen grauen Haaren muss aber noch viel mehr tun, als jede Stunde die Klappen zu öffnen. Er sorgt dafür, dass der Verkehr auf der Brücke reibungslos verläuft. Dass alles ordentlich und technisch einwandfrei ist. Und bevor er dann auf den Knopf drückt und die Öffnungsphase beginnt, muss er sich immer noch einmal vergewissern, dass sich wirklich kein Auto, kein Mensch und kein Tier vorn an der Kante befindet. „An den Schranken waren schon Räder angeschlossen“, sagt Hansen. „Oder verträumte Touristen waren so mit Fotografieren beschäftigt, dass sie alle Signale übersehen haben.“

Hansen hat sicherlich einen der schönsten Arbeitsplätze der Stadt. Denn von seinem Fenster im Turm des kleinen Häuschens hat er den unverstellten Blick über und auf Kappeln. Vor seinen Füßen starten auch die Ausflugsschiffe zu ihren Touren schleiauf- und abwärts. Geht man eine der Gassen im Hafen hinauf, kommt man zu der kleinen bezaubernden Kirche. Von oben kann man bis nach Schleimünde schauen.

Nebenan befindet sich übrigens die Palette, die Kultkneipe der Stadt. Hans Peter Scholz, der Mann mit dem Strohhut und eigentlich Berliner, eröffnete den Laden vor 34 Jahren. Seitdem gehen nicht nur die Touristen ein und aus. Auch viele Schauspieler wie Walter Pla­the und Heinz Reincke zählten zu seinen Stammkunden. Denn die Palette ist mehr als eine einfache Kneipe. Das beginnt mit der Einrichtung, mit Schuhen und Zylindern an der Wand. Und geht weiter mit den Veranstaltungen, die Scholz – den alle nur Hansi nennen – in der Palette organisiert. Theater, Lesungen, zuletzt ein Philosophisches Café.

Was außerdem einen Besuch in Kappeln wert ist? Zum Beispiel das kleine Geschäft Hathi am Ende der Hauptstraße (Schmiedestraße 20), in dem ausgefallene Mitbringsel, Einrichtungsgegenstände und Kleidung aus Indien, Nepal oder Bali angeboten werden. Oder Prinz, einen für eine Kleinstadt außergewöhnlich gut sortieren Bioladen, der schon seit 1985 von Hans-Georg Prinz geführt wird. Und wer noch ein Buch braucht: Gosch steht in Kappeln für Literatur und nicht, wie anderswo, für Fisch …

10. Maasholm

Wenn man ganz großes Glück hat, dann steht in der Schlange vor einem nur eine Handvoll Menschen. Denn normalerweise muss man mit langen Wartezeiten rechnen, wenn man sich an einem der beliebtesten Imbisse an der Schlei das holen will, was sich hier alle holen. Nein, keine Fischbrötchen, sondern eine Currywurst mit einer gelben (!) Spezialsoße. Nur dafür kämen die Gäste von weit her, erzählen die Bedienungen den wenigen, die auf die verrückte Idee kommen, die Currywurst doch nur mit herkömmlichem Ketchup zu nehmen. Die Imbissbude am Hafen gehört Udo Petersen, genauso wie die beiden Fischläden des Dorfes. Wer, um im Bild zu bleiben, richtig Glück hat, wird vom Chef persönlich bedient. Man erkennt ihn an dem besonderen Aufdruck auf dem Poloshirt, das hier alle Männer tragen. Während bei den anderen Mitarbeitern am Revers schlicht „Petersen“ steht, heißt es beim Chef: „Petersen himself.“

Nun wäre es nicht seriös, einen Abstecher nach Maasholm nur wegen eines Imbisses zu empfehlen. Der Hafen ist genauso sehenswert wie die wenigen, pittoresken Häuser und Straßen und die kleine Kirche, aus der man quasi hinaus an die Schlei tritt. Außerdem ist Maasholm die letzte Chance, um mit einem Schiff wie der „Stadt Kappeln“ oder der „Nordlicht“ nach Schleimünde zu kommen. Und dort muss man bei einer Schleitour unbedingt hin.

11. Schleimünde

Unter den Wassersportlern der Region ist sie Kult, andere werden noch nie von ihr gehört haben – die Giftbude von Schleimünde. Das liegt vor allem an ihrer Lage. Der kleine Imbiss, in dem es leckeren Fisch oder auch Currywurst mit Pommes gibt, steht auf einer Insel, besser gesagt einer Halbinsel am Ende der Schlei – oder am Anfang, wie auch immer man es betrachtet. Dort, wo Schlei und Ostsee ineinander übergehen und der charakteristische grün-weiße Leuchtturm aufragt, liegt ein kleines Naturschutzgebiet. Und ein Nothafen. Einige wenige Boxen stehen Seglern und Motorbootfahrern zur Verfügung. Es gibt weder Frischwasser an den Stegen noch richtig ausgebaute Sanitäranlagen. Doch der romantische Ort ist zumindest im Sommer eine der Hauptattraktionen für Wassersportler der Region.

Lotseninsel Schleimümde mit der berühmten Giftbude und dem Schleimünder Leuchtturm von 1871
Lotseninsel Schleimümde mit der berühmten Giftbude und dem Schleimünder Leuchtturm von 1871 © Andreas Laible | Andreas Laible

Nicht selten blockieren dicht nebeneinanderliegende Boote die kleine Hafeneinfahrt. Nur wer früh kommt, hat zumindest in den Ferien überhaupt eine Chance auf einen richtigen Liegeplatz. Aber das scheint hier niemanden zu stören. Zu schön ist die Stimmung an Land. „Wie im letzten Jahrhundert“, sagt ein älterer Herr, als er an Land geht. Und hat damit recht. Ein paar Bänke, ein Holzschiff zum Klettern, viel mehr gibt es hier erst einmal nicht. Vorn am Wasser einen Kiosk und eben die Giftbude. Seit diesem Sommer in neuer Hand. Das Hotel Alter Kreisbahnhof aus Schleswig hat die Bewirtschaftung übernommen. Der Inklusionsbetrieb, der Menschen mit und ohne Behinderung beschäftigt, schickt täglich einige Kollegen ans andere Ende der Schlei. Unterstützt werden sie von den Schleswiger Werkstätten, die nebenan den Kiosk betreiben und ebenfalls Personal zur Verfügung stellen.

„Die ersten Wochen sind wirklich ausgesprochen gut gelaufen“, sagt Hoteldirektorin Dagmar Dominke. „Die Reaktionen der Menschen sind einfach nur schön.“ Und ihre Mitarbeiter hätten so einmal die Chance, an einem der schönsten Arbeitsplätze der Region mitzuhelfen. „Aber es ist auch eine logistische Herausforderung.“ Vor allem der Transport der Waren und der Mitarbeiter erfordere viel Organisation. Deshalb werde die Giftbude auch erst einmal nur bis zum 19. August, dem Ende der Sommerferien in Schleswig-Holstein, in dieser Form betrieben. „Danach setzen wir uns dann zusammen, machen eine Manöverkritik und schauen, wie es weitergeht.“

Gepachtet hat Dominke die Giftbude von der Lighthouse Foundation. Der gehört bis auf den Hafen die gesamte Halbinsel seit zehn Jahren. Stück für Stück hat die Stiftung seitdem die Gebäude saniert, unter anderem das alte Lotsenhaus, das heute ein kleines Tagungsgebäude ist. Der Rest des Areals ist Naturschutzgebiet. Und damit von Land aus unerreichbar. Es ist diese Lage, die Schleimünde so einmalig macht.