Neustadt/Pelzerhaken. Die Ostseebäder sind kaum wieder zu erkennen, es weht ein stramm frischer Wind. Teil 7 der Abendblatt-Serie.

Winfried Menne (67) steht auf dem Balkon der Wachstation der Deutschen LebensRettungs-Gesellschaft (DLRG). Ein Filetgrundstück, direkt am 1000 Meter langen Ostseestrand in Pelzerhaken. Menne, ehemals Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Bad Wünneberg, kennt die Region seit fast 40 Jahren. Schließlich arbeitet er stets in der Badesaison als Lebensretter, inzwischen Teil der „Oldie-Wache“. Der Pensionär ist von den Orten, die sich wie eine Perlenkette an die Lübecker Bucht schmiegen, begeistert.

Kitesurfer am Strand von Pelzerhaken bei Neustadt in Holstein an der Ostsee
Kitesurfer am Strand von Pelzerhaken bei Neustadt in Holstein an der Ostsee © imago stock&people | imago stock

Einer davon ist Pelzerhaken mit dem früheren Fischerort Rettin, die beide zu Neustadt (Holstein) gehören. „Für mich ist das der schönste Platz an der Ostsee“, schwärmt Menne und blickt vom DLRG-Neubau auf das azurblaue Meer. „Vor allem freue ich mich über die neuen Freizeitangebote. Das war früher nicht so.“

Ostseebäder kaum wieder zu erkennen

Pelzerhaken? Wer zuletzt vor 20 Jahren statt in Timmendorf in Neustadt (Holstein), Rettin und Pelzerhaken landete, wird die Ostseebäder kaum wiedererkennen. Ein frischer Wind weht im Surferparadies Pelzerhaken und in Neustadt mit seinen 15.000 Einwohnern. Hotels mit modernen Konzepten locken junge Familien an, drei Yachthäfen und die Fünf-Sterne-Ancora-Marina mit ihren 1400 Liegeplätzen prägen das maritime Antlitz der Hafenstadt, die einst auf Fischerei, Schifffahrt und Güterumschlag setzte.

André Rosinski ist Vorstand der Tourismus-Agentur Lübecker Bucht und radelt gerade vom „Haus des Gastes“ zur DLRG-Wachstation, die in der Hauptsaison mit 23 Einsatzkräften besetzt ist. Der Touristiker und der Lebensretter aus NRW plaudern darüber, welchen Aufschwung Neustadt, Rettin und Pelzerhaken genommen haben. „Die Zahl der Übernachtungsgäste stieg von 45.000 im Jahr 2012 auf 70.000 im vergangenen Jahr“, sagt Rosinski. Die Übernachtungszahlen entwickelten sich im gleichen Zeitraum von 270.000 auf den bisherigen Höchststand von 490.000.

"Haben unsere Hausaufgaben gemacht"

„Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Es gab und gibt eine Investitionsoffensive“, sagt Tourismus-Vorstand Rosinski über die Gründe für den Gästeboom. So sind das neue hawaiianisches Feriendorf Kailua Lodge (Pelzerhaken) und das Hotel Strandkind (Neustadt) entstanden. Gegenwärtig werden die Strandhäuser am Leuchtturm (Pelzerhaken) erweitert. Mitte Juli eröffnet in der Marina in Neustadt das Arborea Hotel.

Jens Lassen (54) ist Direktor des Hotels, dem gerade eine Reihe von Malern und Tischlern seinen letzten Schliff verleihen. Gemeinsame Aktivitäten der Gäste des „Duz-Hotels“ sollen von Radtouren über Segeltörns reichen. Es wird Kräuterführungen geben und Reparaturkurse in der Werkstatt im Souterrain. „Hier können die Leute ihr Mountainbike auf Vordermann bringen oder mit unserem Tischler ein eigenes Projekt verwirklichen“, sagte Lassen über das „Docks“.

Der Yachthafen Ancora Marina In Neustadt in Holstein
Der Yachthafen Ancora Marina In Neustadt in Holstein © Klaus Bodig / HA

Seine Philosophie: Gemeinsam etwas erleben, in einer Zeit, in der viele Menschen in Städten als Singles leben und häufig nur noch auf Facebook ihre Kontakte pflegen. Mit dem Arborea Neustadt entsteht das erste Haus einer neuen Kette, die weitere Ableger im Harz und im Montafon bekommen soll. Insgesamt plant die holländische Holding 20 Hotels der neuen Marke.

Zielgruppe sind Besserverdienende, Motto „reich und sexy“, an einem Ort, wie Lassen mit Blick auf die Yachtszene in Neustadt amüsiert sagt, „an dem ein Maybach schon fast lächerlich wirkt“. Das Zimmer kostet je nach Saison und Auslastung etwa 200 Euro, die Preise werden wie bei vielen Flugtickets nach Angebot und Nachfrage angepasst, so- dass sich der Chef auf Nachfrage etwas schwertut mit den Tarifen.

Zahlreiche neue Arbeitsplätze sind entstanden

Neue Hotels, aber auch Geschäfte gegenüber der DLRG-Wache in Pelzerhaken schaffen Arbeitsplätze. Allein in Neustadt mit seinen 15.000 Einwohnern arbeiten 1800 Vollzeitkräfte im Tourismus. „Rund 15 Prozent des erwirtschafteten Primäreinkommens in der Stadt kommen aus dem Tourismus“, sagt André Rosinski.

Zum Vergleich: In ganz Deutschland sind es durchschnittlich nur fünf Prozent. Jobs bieten Restaurants, Surf-Stationen und sieben Camping- sowie zwölf Golfplätze im Umkreis von 50 Kilometern. Mehr noch: Die bis maximal 13 Meter tiefe Ostsee bietet Gelegenheit für eine „Unterwassersafari“ und den Tauchplatz Steinwall in Neustadt. Dabei können Seegraswiesen, Schwarzgrundeln und Stichlinge bewundert werden.

So stark sich die Region durch öffentliche und private Investitionen touristisch entwickelt hat, so maßvoll sind die Veränderungen. Rettin und Pelzerhaken würden auch künftig für einen naturnahen und aktiven Urlaub stehen, versprechen die Touristiker. Die Gäste sind im Durchschnitt 40 bis 60 Jahre alt und bleiben bis zu sechs Tage.

Jeder zweite Gast fährt Rad

In der Hauptsaison kommen die meisten von ihnen aus Nordrhein-Westfalen, in der ebenfalls boomenden Nebensaison sind es die Norddeutschen. Jeder zweite Gast fährt Rad – und das am liebsten auf der neuen und mit Kunstwerken ausgestatteten neuen Promenade zwischen Rettin und Pelzerhaken. Dafür wurden 2,2 Millionen Euro investiert.

DLRG-Retter Menne ist nicht nur von der Promenade begeistert, sondern neuerdings auch von einem Wellness-Angebot, das es in seiner Heimatstadt gar nicht gibt. Nicht weit von der Wachstation gibt es „Fische für die Füße“, sagt er und lacht. „Habe ich schon ausprobiert.“ Im Aquasia Fisch Spa kümmern sich Fische knabbernd um das Wohlbefinden der Menschen. „Nur ein richtiges Nachtleben gibt es hier nicht“, sagt Menne. „Da muss man nach Lübeck oder Hamburg fahren.“

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