Heiligenhafen. Fangquoten und neue Naturschutzgebiete machen Kutterbesitzern das Leben schwer. Ein Besuch in Heiligenhafen.
Die Sonne scheint, der Himmel strahlt in leuchtendem Blau, Möwen kreischen. Es ist schon fast eine kitschige Postkartenidylle, als die MS „Einigkeit“ nach der achtstündigen Hochseeangeltour in den Fischereihafen von Heiligenhafen einläuft. Nach dem Festmachen gehen 20 Freizeitangler von Bord. Ein Kölner Tourist bringt von dem Ostsee-Törn drei Dorsche mit an Land. „Besser wie keiner“, sagt er mit trockenem Humor.
Maximal fünf hätten es nach der gültigen EU-Regelung sein dürfen – und die stößt den Anglern sauer auf. „Es wäre schön, wenn wir die Kiste vollmachen dürften“, sagt der Tourist, der seit 20 Jahren einmal im Jahr extra zum Angeln in den Norden kommt. In seinen früheren Urlauben waren meist alle Schiffe draußen, erinnert er sich. Heute sind es drei von sechs in der ostholsteinischen Küstenstadt. Und auch der Kölner Tourist weiß: „Die Existenz der Leute ist bedroht.“
Einer dieser „Leute“ ist Thomas Deutsch. Seit 25 Jahren bietet der Kapitän auf der 20 Meter langen und 5,40 Meter breiten „Einigkeit“ Ostsee-Törns an – und durchlebt derzeit seine zweite schwere Krise. Die erste gab es zum Jahrtausendwechsel mit dem Aus für die Butterfahrten, auf denen zollfrei Waren verkauft werden konnten. Von mehr als 100.000 Passagieren pro Jahr an der deutschen Küste halbierte sich die Kundenzahl innerhalb von zehn Jahren.
Schuld an der Misere ist das sogenannte Baglimit
Dann ging es bis 2016 immerhin wieder hoch auf 65.000 Kunden, ehe erneut ein bis heute dauernder Einbruch kam. „Im vergangenen Jahr haben wir 20 Prozent weniger Umsatz gemacht“, sagt Deutsch. Bei einigen ortsansässigen Kollegen seien es 30 Prozent und mehr gewesen, von der Küste Mecklenburg-Vorpommerns höre er von bis zu 50 Prozent Einbußen.
Die Kutterflotte sei von früher einmal 15 in Heiligenhafen auf sechs zum Jahresanfang gesunken. „Vor einigen Wochen hat ein weiterer aufgegeben. Das Schiff steht nun zum Verkauf“, sagt Deutsch. „Und wir haben gehört, dass im Oktober ein weiterer aufgeben will.“
Die Schuld gibt er dem sogenannten Baglimit. Wer bei Deutsch für 40 Euro pro Erwachsenen auf Tour geht, will Dorsche fangen – doch deren Bestand sieht die Europäische Union zwischen der dänischen und deutschen Grenze gefährdet. Daher verhängte sie für den „Westdorsch“ Fangquoten für Berufsfischer und Freizeitangler.
Seit eineinhalb Jahren dürfen Angler maximal fünf Dorsche fangen, in der Laichsaison Februar und März sind es sogar nur drei, die sie in die Tasche stecken dürfen – so lautet das Baglimit. Haben die Angler die maximale Fangmenge erreicht, müssen sie die Angelei auf den Dorsch einstellen. Die Leute hören etwas von Fangverbot, sagt Deutsch: „Das schreckt einen Großteil der Touristen ab.“ Natürlich hofften seine Kunden immer auf den großen Fang, gingen im Schnitt aber mit nur ein bis zwei Exemplaren von Bord.
Statt früher 40 gibt es jetzt nur noch 14 Schiffe
Auch Jens Meyer macht das Baglimit als Ursache des Anglerrückgangs aus. „Jeder möchte den Jackpot knacken. Das ist eine psychologische Sache“, sagt der Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Ostholstein, die die Wirtschaft des Kreises fördert. Natürlich könnten die Ausfahrten auf andere Arten wie Plattfische ausgerichtet werden. Diese Form der Angelei sei aber nicht so interessant, so Meyer: „Beim Dorschangeln müssen sie aktiv sein. Der Dorsch ist ein Raubfisch, sie müssen richtig gegen den Fisch kämpfen.“
Nicht nur in Heiligenhafen, sondern auch auf Fehmarn habe ein Anbieter aufgegeben, sagt er. Statt früher 40 gibt es an der schleswig-holsteinischen Küste jetzt noch 14 Schiffe. Dabei sei das Hochseeangeln für den Norden eine wichtige Einnahmequelle. Gerade in der schlechten Jahreszeit, weil die Angler auch im Winter kommen. „In Heiligenhafen machen sie etwa zehn Prozent der touristischen Wertschöpfung aus“, sagt Meyer. Entsprechend gäbe es mit dem Rückgang der Angelfahrer Auswirkungen auf das Beherbergungsgewerbe, Gastronomie und Einzelhandel.
Insbesondere die deutsche Ostseeküste wird von den Einnahmerückgängen getroffen, weiß Harry Strehlow. Der promovierte Agrarwissenschaftler des Thünen-Instituts in Rostock untersucht seit vielen Jahren die Fischerei. In Deutschland gebe es 196.000 Meeresangler, mehr als 80 Prozent von ihnen gehen auf der Ostsee ihrem Hobby nach. „Im Schnitt geben Angler pro Jahr 677 Euro aus“, sagt Strehlow. Zusammengerechnet kommt man auf gut 130 Millionen Euro. Damit würden mehr als 2000 Vollzeitarbeitsplätze von den Freizeitfischern abhängen, ermittelte er. „Der Angeltourismus ist sehr ausgeprägt“, sagt Strehlow.
Dorschbestand nicht mehr gefährdet
Zwei Drittel der Angler kämen nicht aus den Küstenländern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Durch längere An- und Abfahrten bleiben sie häufig mehrere Tage – ein großer Unterschied zu den Anglern in Dänemark. Diese lebten maximal 30 Kilometer vom Meer entfernt. Und aus diesem Grund würden die dänischen Kutterkapitäne nicht so unter dem Baglimit leiden, weil die Wege zum Schiff kürzer seien. Die Dänen könnten im Prinzip jederzeit zum Angeln kommen.
Aber wie gefährdet ist der Dorsch? „Der Bestand ist nicht mehr gefährdet“, sagt Deutsch. Die Lage ist ein wenig komplizierter, meint dagegen Strehlow. 2016 sei festgestellt worden, dass es dem Westdorsch sehr schlecht gehe. Der Referenzwert von 27.400 Tonnen sei mit 12.000 Tonnen deutlich unterschritten worden. In der Folge seien die Fangmengen für die Angler um 44 Prozent und für die kommerzielle Fischerei, die deutlich größere Mengen fängt, um 54 Prozent reduziert worden. Ausgerechnet in dem 2016er-Jahrgang gab es aber sehr viel Nachwuchs. Woran das liege, wisse man nicht.
Das Zusammenspiel verschiedener Faktoren wie Temperatur, Futterfische und Salinität könnten eine Rolle spielen. „Der 2016er-Jahrgang führt zu einer Verdoppelung der Biomasse in diesem und nächstem Jahr“, sagt Strehlow. Der Bestand werde über den Referenzwert katapultiert. Aber: 2017 sei die Nachwuchsproduktion fast ausgefallen. Und wie es in diesem Jahr sei, wisse man erst im Herbst. „Da ist viel Risiko dabei“, sagt Strehlow. Seine Befürchtung: Wenn der 2016er-Dorsch weggefangen ist, könnte der Bestand 2020 wieder unter den Referenzwert fallen. Dennoch spricht er sich dafür aus, das Baglimit zu erhöhen.
Im Herbst steht diese Entscheidung an. Dann wird die EU über eine Erhöhung der Fangquoten beraten. Im Gespräch ist eine Verdoppelung des Baglimits. Deutsch hofft darauf: „Mit einem Baglimit von zehn müsste es bei den Buchungen einen deutlichen Sprung nach oben geben.“
Die Situation für die Kutterkapitäne verschärft sich noch durch eine weitere Regelung. Im vergangenen Herbst richtete das Bundesumweltministerium eins von sechs Naturschutzgebieten im Fehmarnbelt ein. Die damalige Ministerin Barbara Hendricks (SPD) sprach von einem wichtigen Fortschritt für den Meeresschutz in Deutschland, mit dem „wichtige Arten wie Schweinswal, Seehund und Kegelrobbe endlich wirksam geschützt“ würden. Vor Fehmarn soll der Schweinswal geschützt werden.
Grundsätzlich hat Deutsch nichts dagegen. Er halte bloß die Begründung, dass das Dorschangeln den Schweinswalbestand gefährde, für „absoluten Quatsch. Schweinswale ernähren sich von Krebsen und Kleintieren bis 15 Zentimeter. Wir entnehmen Fische ab 38 Zentimeter Länge.“ Alles darunter werde wieder ins Meer geworfen. Das Ministerium argumentiert, dass die Schutzregelung nur für 20 Prozent der Fläche gelte – für Deutsch ist das aber das Problem: „Das ist der Großteil unseres Fanggebiets.“ Er reichte gegen das Umweltbundesamt als zuständige Behörde Klage ein und möchte erreichen, dass das Sperrgebiet wieder aufgehoben wird.
Unter Deck muss das Zusatzgeschäft laufen
Zudem trat der 51-Jährige die Flucht nach vorn an. Er stellte einen zusätzlichen Steuermann ein. Ist er allein an Bord, darf er nur fünf Seemeilen rausfahren. Mit einem zweiten Schiffslenker sind es doppelt so viele. „Dadurch haben wir ein größeres Fanggebiet“, sagt Deutsch. 90 bis 120 Minuten fahren sie raus, meist gen Nordwesten Richtung Langeland. Trotzdem fällt es ihm schwerer, den Kutter mit Passagieren voll zu bekommen.
Momentan fahre er unter der Woche mit zehn bis 15 Gästen, früher waren es zehn mehr. Am Wochenende ist es mit rund 30 und mehr Anglern stabil geblieben. Immerhin: Das Geschäft ist im Vergleich zum schwachen Vorjahr konstant. „Die Talfahrt ist hoffentlich gestoppt“, sagt er und versucht, das Zusatzgeschäft anzukurbeln.
Unter Deck gibt es einen Pott Kaffee für zwei Euro, eine Flasche Cola für 1,50 Euro, Bockwurst im Brötchen kostet 2,50 Euro und eine Suppe vier Euro. Er ist froh, ein Schiff in gutem Zustand zu haben, denn in den vergangenen Jahren hat er immer wieder viel Geld in die Renovierung gesteckt. Derzeit wäre das aufgrund der wirtschaftlichen Situation nicht möglich. „Mit unserer Generation könnte das Hochseeangeln enden“, sagt Deutsch. Wenn die jungen Leute keine Perspektive sähen, sei das Geschäft tot.
Zu seiner Crew gehört auch sein Neffe Lukas. Für ihn wäre die Übernahme der „Einigkeit“ schon eine Option, sagt er: „aber nur wenn sich die politische Situation ändert“. Wirtschaftsförderer Meyer hat eine Imagekampagne „Erlebnis Meer“ gestartet. Sie soll Lust machen auf das Erlebnis Angeln, die Küste von der anderen Seite zu sehen und den Kopf freizubekommen. Schließlich gebe es auf dem Meer kein Handyempfang, sagt Meyer: „Wir müssen unsere Kutter erhalten. Die Urlauber erwarten dieses Bild in der Region. Wir brauchen dieses Image.“
Deutsch nutzt die neue Kampagne an diesem schönen Frühsommer-Tag in Heiligenhafen noch nichts. Als die Angler von Bord gehen, steht er oben auf der Brücke der „Einigkeit“ und betreibt schon wieder Kundenakquise. „Männer, schönen Dank. Kommt gut nach Hause – bis morgen vielleicht!“