Bad Segeberg. Von der NS-Kultstätte bis zu den Karl-May-Spielen. Eine NDR-Doku zeigt die wechselvolle Geschichte rund um den Kalkberg.

Der rund 90 Meter hohe Kalkberg von Bad Segeberg bietet jedes Jahr die Kulisse für ein fabelhaftes Indianerspektakel. Seit 65 Jahren dreht sich rund um den Berg, in dem 20.000 Fledermäuse und der seltene Segeberger Höhlenkäfer leben, alles um Winnetou, Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi.

Mit der wechselvollen Geschichte des Kalkbergs, der eigentlich aus Gips und Anhydrit besteht, und den Karl-May-Spielen befasst sich eine 90-minütige Dokumentation im NDR Fernsehen (Mittwoch, 20.15 bis 21.45 Uhr). Der Film „Als Winnetou in den Norden kam“ begibt sich mit seltenen Archivaufnahmen, aufwendigen Animationen und prominenten Zeitzeugen auf Spurensuche – von den Anfängen der Karl-May-Spiele vor 65 Jahren bis in die Gegenwart.

Der Kalkberg sollte germanischer Mythos werden

Am 250 Millionen Jahre alten Kalkberg schlugen einst Kaiser Lothar und sogar Joseph Goebbels ihre Schlachten. Im Mittelalter stand auf dem Kalkberg Kaiser Lothars Siegesburg, Namensgeber des heutigen Bad Segebergs. 1935 wurde der Kalkberg durch einen Pakt mit den Nazis zur „Nordmark-Feierstätte“. Am 10. Oktober 1937 kam es zum Aufmarsch der Massen am Kalkberg, der nach dem Willen der NS-Propaganda zum germanischen Mythos werden sollte. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels weihte mit markigen Worten die Arena als NS-Heiligtum ein: „Die Nordmark-Feierstätte soll eine politische Kirche des Nationalsozialismus sein“, rief er vor 20.000 Anhängern ins Mikrofon.

Wie die Spiele zum Publikumserfolg wurden

Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft kurbelten die Karl-May-Spiele den Wirtschaftsmotor in der Region an. Seit der Premiere mit „Winnetou“ im Jahr 1952 herrschte so etwas wie Goldgräberstimmung auf dem Hügel von Bad Segeberg. Wie die Spiele zum dauerhaften Publikumserfolg werden konnten, hat das Fernsehteam akribisch recherchiert. Ein Team der Hamburger Firma „jumpmedientv“ begleitete die Darsteller in der 65. Saison ein halbes Jahr lang und blickte mit Susan Sideropoulos, Till Demtrøder und Jan Sosniok hinter die Kulissen der „Traumfabrik“, die seit den Anfängen bis heute insgesamt 11,5 Millionen Besucher angelockt hat.

„Der Kalkberg steht für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer ganzen Region“, sagte Marc Brasse, Leiter der Geschichte im NDR Fernsehen, dem Abendblatt. „Während Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg den Marshallplan für den Wiederaufbau brauchte, hatte Bad Segeberg seine Festspiele.“ Die Geschichten von Karl May sorgten für kulturellen, finanziellen und mentalen Aufschwung. „Das ist eine einmalige Erfolgsgeschichte, made in Norddeutschland.“

Die ganze Stadt spielte Indianer

Während die Karl-May-Spiele heute ein millionenschweres Event sind, waren die Anfänge vor 65 Jahren eher bescheiden. Die Fernseh-Doku arbeitet heraus, dass ohne den Enthusiasmus und die Mitarbeit der lokalen Bevölkerung der Erfolg kaum denkbar gewesen wäre. „Eine Stadt spielt Indianer“ – dieser Satz war kein Werbemotto, sondern Realität. In den Anfangsjahren agierten viele Bad Segeberger selbst als Apachen, nähten Frauen in ihrer Freizeit Federschmuck oder blondierten Jugendliche ihre Pferde für die Schlachten am Kalkberg. Standen damals nur 25.000 Mark (etwa 12.500 Euro) Budget zur Verfügung, sind es heute rund viereinhalb Millionen Euro pro Spielzeit, heißt es in dem Filmbeitrag. Winnetou übt bis heute bei Jung und Alt eine Faszination aus: 2016 meldeten die Karl-May-Spiele mit rund 366.000 Gästen einen neuen Besucherrekord.

Das Fernsehteam mit Autor und Regisseur Timo Gramer stand bei den Dreharbeiten vor etlichen Herausforderungen. „Die größte überhaupt war das Wetter“, sagte Gramer. „Es goss bei mindestens 15 unserer mehr als 20 Drehtage wie aus Eimern, stundenlang.“

Schreiadler Mali ging auf die Kamera los

Die Open-Air-Kulisse am Kalkberg mit einzigartiger Flora und Fauna hatte für das Filmteam so ihre Tücken: Auf dem Kalkberg brütende Uhus machten den Termin für eine Drohnenaufnahme vorläufig zunichte. Denn die Naturschützer vom Nabu hatten per Telefon ihre Bedenken mitgeteilt. Gramer: „Wir konnten das aber nachholen.“

Außerdem zeigte sich Schreiadler Mali neugierig auf eine Kamera und hätte diese beinahe mit dem Schnabel traktiert. „Und die mehr als 20.000 Fledermäuse in den Kalkberg-Höhlen ließen die Knie unseres Teams vor Dreh kurz zittern.“

Sendetermin: NDR, 5. Juli, 20.15 Uhr