Neumünster. Überraschende Kehrtwende: Union zieht mit Forderung nach G9 in den Wahlkampf. Auf dem Landesparteitag finden das nicht alle gut.

Auf den schmalen Schultern des Daniel Güntherlastet in diesen Tagen Einiges. Der Mann arbeitet für vier: Er ist Oppositionsführer, Fraktionschef, Landesvorsitzender und nun auch Spitzenkandidat der Christdemokraten in Schleswig-Holstein für die Landtagswahl am 7. Mai. Seit Uwe Barschel ist er der jüngste CDU-Bewerber für das Ministerpräsidentenamt im Norden. Man sieht es ihm auch an. Der 43-jährige Eckernförder hat das schon längst als Manko erkannt. Er hat öffentlich gesagt, er würde gern älter wirken. Mag sein, dass es bald so weit ist.

Schulz sorgt für hohe Umfragewerte bei der SPD

Denn der Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein nimmt gerade ordentlich an Fahrt auf. Da ist einiges im Fluss, und dieser Fluss strömt bisweilen so schnell, dass er jede Gewissheit, sobald sie sich gebildet hat, gleich wieder wegreißt. Günther erfährt das gerade am eigenen Leib. Das plötzliche Auftauchen eines gewissen Martin Schulz treibt die Umfragewerte der SPD bundesweit in die Höhe. Günther, dessen CDU eben noch in einer Umfrage vorn lag, sieht seine Felle davonschwimmen.

Und dann hat die CDU ein paar Stromschnellen der jüngeren Landesgeschichte ja durchaus auch selbst erschaffen. Im Oktober war der CDU-Spitzenkandidat Ingbert Liebing völlig überraschend zurückgetreten. Günther ersetzte ihn. Für die allerjüngste Tempoverschärfung sorgte er dann höchstpersönlich.

Festhalten an G8 steht in den Broschüren

Am vergangenen Donnerstag, zwei Tage vor dem Parteitag am Sonnabend, der seine Nominierung zum Spitzenkandidaten bestätigen sollte, warf der 43-Jährige mal eben eine der Grundüberzeugungen der Christdemokraten im Norden über Bord - und versprach den Wählern, dass die Gymnasien im Land mit der CDU wieder zum Abitur nach neun Jahren (G9) zurückkehren würden. Für den Entwurf des Wahlprogramms war das zu spät. In der bereits gedruckten und auf dem Parteitag verteilten Broschüre steht noch das genaue Gegenteil: Festhalten an G8 – am Turboabitur nach acht Jahren.

Mehrheit segnet Kurswechsel ab

Kein Wunder, dass dieser Alleingang am Sonnabend in der Holstenhalle in Neumünster für Diskussionen sorgt. „Im Januar bist du bei uns gewesen und hast gesagt, im Wahlkampf werde es keine Debatten über die Schulstruktur geben“, nimmt Joachim Wagner, seit 20 Jahren Fraktionschef im Stormarner Kreistag, seinen Parteivorsitzenden ins Gebet. „Und jetzt erfahren wir aus der Zeitung, dass du zurück zu G9 willst. So geht es nicht!“ Weitere Redner springen Wagner bei. Aber den Christdemokraten liegt derzeit nichts daran, ihren neuen Chef zur Ordnung zu rufen. Die Parteitags-Mehrheit segnet den abrupten Kurswechsel in der Schulpolitik ab - und wählt Günter dann mit ordentlichen 89,68 Prozent zum Spitzenkandidaten.

Auffallen um jeden Preis

Zuvor hatte der Eckernförder die Grundzüge des Wahlprogramms beschrieben. Die CDU will die Elternbeiträge für Kindergärten senken, den Unterrichtsausfall bekämpfen, den hohen Krankenstand bei den Lehrern verringern, das Ansehen der Landwirtschaft verbessern, Straßen bauen und Krankenhäuser sanieren. Vieles davon wollen auch die Sozialdemokraten, die derzeit noch gemeinsam mit Grünen und SSW die hauchdünne Mehrheit im Kieler Landtag haben. Nur die Abkehr von G8 – die wollen sie nicht. Insofern hat Günther mit seiner schulpolitischen Kehrtwende ein Wahlkampfthema gefunden. Man gewinne Wahlen nicht, indem man möglichst wenig auffalle, hat er dazu verlauten lassen. Das Thema G9 werde der CDU helfen. Und außerdem: „Wir brauchen keine Abiturienten, die im Schnelldurchlauf lernen müssen.“

Aus der Bildung hält sich Merkel raus

Vor Günther war Bundeskanzlerin Angela Merkel ans Rednerpult getreten. Zur Abkehr vom Turboabitur will sie nichts sagen: „Da halte ich mich einfach mal raus - aus Respekt vor der Bildungskompetenz der Länder.“ Ein Raunen geht durch den Saal.

Aus dem Wahlkampf in Schleswig-Holstein will sich die CDU-Bundesvorsitzende aber nicht heraushalten. Ihre Rede enthält überraschend viele landespolitische Elemente. Sie erwähnt die Probleme beim Weiterbau der A 20, sie lobt die Landes-CDU für ihren Plan, den Abstand von Windflügeln zu Wohnhäusern auf 1200 Meter zu erhöhen, sie kritisiert die Regierungskoalition in Kiel, weil die derzeit keine Menschen nach Afghanistan abschiebt: „Da stimmt etwas nicht mit der Landesregierung!“ Sie spornt die Christdemokraten an, einen engagierten Wahlkampf zu führen. „Daniel Günther muss Ministerpräsident werden, dabei will ich helfen. Ich komme wieder!“, sagt sie.

Alles ist ungewiss

Aber kann Merkel Günther helfen? Vor ein paar Wochen noch wäre die Frage albern und die Antwort klar gewesen. Nun, mit dem Rückenwind von Martin Schulz, ist alles unklar. Wo steht die CDU in der Wählergunst? Es ist ungewiss. Wie reagieren die Wähler auf Merkels Einsatz in Schleswig-Holstein? Es ist ungewiss. Die Last auf Daniel Günthers schmalen Schultern ist gerade noch etwas größer geworden.