Westerland. Viele Reisende klagen über uralte Bahnen. Bürgermeister schreiben Protestbrief – Besserung nicht in Sicht.

Der Hindenburgdamm ist fast 90 Jahre alt – Infrastruktur aus dem vorigen Jahrhundert. Museal wirkt derzeit auch das, was auf dem Damm unterwegs ist: bis zu 40 Jahre alte Waggons, aus ganz Deutschland zusammengesucht. Eisenbahnnostalgiker sind begeistert, Pendler sind entnervt. Denn die Probleme auf der Bahnstrecke Westerland–Niebüll sind auch nach dem Betreiberwechsel von der Nord-Ostsee-Bahn (NOB) zur Deutschen Bahn (DB) offenbar nicht geringer geworden.

Die Inselbürgermeister und die Sylter Unternehmer üben jetzt in einem offenen Brief massive Kritik an dem staatseigenen Bahnriesen DB. „Die Grenze des Zumutbaren ist erreicht“, heißt es in dem Schreiben. „Jede Fahrt auf die Insel stellt sich als eine Art Abenteuer mit offenem Ausgang dar.“

Pendlern reißt der Geduldsfaden

Die Gründe für die täglichen „Abenteuer-Tours“ zwischen Westerland auf Sylt und Niebüll auf dem Festland sind bekannt. Im November mussten alle 90 Waggons, die eigentlich auf der Strecke Hamburg–Westerland verkehren, aus dem Verkehr gezogen werden. An Kupplungen waren Risse entdeckt worden. Die Überprüfung der Waggons dauert an. Ursprünglich sollten wenigstens einige von ihnen ab Ende März wieder einsatzbereit sein. Ob daraus etwas wird, ist derzeit unklar.

Den täglich 4500 Pendlern und den Bürgermeistern reißt angesichts der neuerlichen Verzögerungen der Geduldsfaden. In dem offenen Brief heißt es, das Erscheinungsbild der Toiletten und Türen des „historischen“ Wagenmaterials sei „grenzwertig“. Verspätungen, Zugausfälle und geänderte Abfahrtsgleise würden nicht kommuniziert.

Schlechtes Krisenmanagement?

Insgesamt sei das Krisenmanagement der Bahn nach anfänglichen Verbesserungen „wieder abhandengekommen“. Die größte Sorge sei aber, dass sich die Probleme mit den defekten Kupplungen noch deutlich über den März hinausziehen könnten. Das aber würde bedeuten, „dass wir alle Pro­bleme in die aufkommende Hochsaison mitnehmen werden“. Die Sylter Kommunalpolitiker fordern, die „unhaltbaren Zustände“ endlich zu verbessern. „Das Maß ist voll“, heißt es in dem Brief, der unter anderem an die Deutsche Bahn und an die landeseigene Verkehrsgesellschaft nah.sh gerichtet ist, die den öffentlichen Personennahverkehr in Schleswig-Holstein organisiert.

Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, haben die Politiker ihrem Brief die Zustandsbeschreibung einer erfahrenen Pendlerin beigelegt: Frauke Wehrhahn aus Niebüll, seit 16 Jahren Stammgast auf dem Hindenburgdamm. „Verspätungen, Zugausfälle, überfüllte, dreckige, kalte oder überhitzte Züge, ganze Waggons, die verschlossen sind“, schildert die 49-Jährige. „Es ist eine Zumutung für jeden einzelnen Pendler, es ist unerträglich, und es ist unverantwortlich in Bezug auf die erforderliche Sicherheit im Personennahverkehr.“

Weder bei der Deutschen Bahn noch bei nah.sh leugnet man, dass es Probleme gibt. DB-Sprecher Egbert Meyer-Lovis sagt: „Die alten Fahrzeuge sind sehr anfällig. Fahrzeugstörungen treten häufig auf.“ Dennoch: „Wir bieten unseren Kunden wesentlich mehr Züge und mehr Kapazität, als im NOB-Ersatzkonzept angeboten worden ist.“ Die Bahn hat die Zahl der Ersatzwaggons mittlerweile von 84 auf 108 aufgestockt. Ein verlässlicher Betrieb auf bundesweit üblichem Niveau ist aber, das sagt auch Meyer-Lovis, erst möglich, wenn die defekten Waggons wieder einsatzbereit sind.

Und das kann dauern. „Noch ist keine der defekten Kupplungen repariert worden“, sagt Dennis Fiedel, Sprecher von nah.sh. Gutachter müssten zunächst das Material der Kupplungen untersuchen und die Schadensursache ermitteln. Danach müsse das Eisenbahnbundesamt die Schlussfolgerungen der Gutachter prüfen und absegnen. Erst dann wisse man, wie aufwendig die Arbeiten an den Waggons seien. Fiedel findet, dass die Pünktlichkeit der Züge momentan „okay“ sei, aber die Kapazität nicht immer ausreiche. „Manchmal müssen Menschen am Bahnsteig stehen bleiben.“

Tourismus leidet

Nikolaus Häckel, der Bürgermeister der Gemeinde Sylt, will das nicht mehr. „Die ganze Insel ist frustriert", sagt er. „Die ganze Lebenswelt dreht sich hier nur noch um die Bahn. Fährt sie? Fährt sie nicht? Wann sind die Waggons, wann sind die Kupplungen endlich repariert?“ Auch der Tourismus leide: „Die Gäste steigen hier in Gammelzüge ein.“