Albersdorf. In Dithmarschen wagen 50 Archäologen den Selbstversuch. Sie leben und arbeiten wie unsere Vorfahren vor 7000 Jahren.

Als die Sonne ihren Zenit erreicht, kommen die Hamburger Studenten zum Lagerfeuer. Sie tragen mit Muscheln geschmückte Leinenkleider und greifen zu einer Holzschale, in der ein praller Dinkelkloß liegt – beste Steinzeitkost wie vor 6000 Jahren. Ein paar Meter weiter sitzt Werner Pfeifer (52) vor der selbst gebauten Reethütte und begrüßt gerade einen Rucksack­reisenden aus Tirol. Der muss sich nur noch umziehen, sein Handy ausschalten und ins gegerbte Hirschleder schlüpfen.

Mitten in Schleswig-Holstein kehrt das Mesolithikum zurück: Im Steinzeitpark Albersdorf (Kreis Dithmarschen) machen gerade rund 50 Archäologen, Studenten und Archäo-Techniker im Selbstversuch eine Zeitreise: An einem Teich rekonstruiert Werner Pfeifer mit seinem Team das wahre Leben der letzten Jäger und Sammler vor 7000 Jahren in Schleswig-Holstein. Gut 200 Meter entfernt spielen rund um einen Dorfplatz Hamburger Archäologiestudenten den Alltag der sesshaften Ackerbauern wie vor 6000 Jahren nach. Und das nicht nur aus lauter Jux und Tollerei, sondern für wissenschaftliche Zwecke.

Außerdem lernen die Nachwuchsarchäologen der Universität Hamburg steinzeitliche Techniken. „Wir leisten damit einen Beitrag zur experimentellen Archäologie“, sagt Tosca Friedrich vom Archäologischen Institut. Insgesamt zwei Wochen lang soll die lebendige Steinzeit in Albersdorf auch für Besucher zu besichtigen sein.

Dozentin
Dozentin © Edgar Hasse | Edgar Hasse

Zwischen den beiden Camps liegen Welten – und 1000 Jahre. Bei den Studenten, die in den Alltag der Ackerbauern der Jungsteinzeit eintauchen, gibt es bereits Lehmhäuser. Außerdem dürfen sie die Nacht in der Albersdorfer Schule verbringen. Für Werner Pfeifer, die Schamanin Ina Graf und die Experten aus England, Dänemark und Italien dagegen stehen Reethütten mit Schafsfellen und ein paar Zelte bereit. Pfeifer, der in Namibia geboren wurde, trägt Lederkluft und stellt gerade Pfeil und Bogen her, die effektivste Waffe dieser Epoche. Hauptberuflich sei er „Steinzeitmensch“, sagt seine Partnerin Ina Graf, die über das Wissen einer Schamanin verfügt. „Ja“, strahlt Werner Pfeifer, er hätte sehr gern damals gelebt. „In einer Zeit, in der es keine Kriege gab.“ Der Kampf zwischen den Menschen sei erst mit der Sesshaftigkeit gekommen. „Die Bauern“, da ist sich Pfeifer ganz sicher, „haben das kaputt gemacht.“

Die Experten, darunter Wissenschaftler der Uni Exeter in Großbritannien, werden Kernbeile, Pfeile und Bögen herstellen und die Abnutzung der steinzeitlichen Werkzeuge mit realen Funden aus der Vergangenheit vergleichen. Natürlich stehe auch Freizeit auf dem Programm, sagt Pfeifer und zeigt auf die kleine Erdsauna vor dem Teich.

Das 40 Hektar große Freigelände des Steinzeitdorfes dient den Akteuren als Nahrungsquelle. Minze und Kamille wachsen derzeit um die Wette, werden gesammelt und später als Tee genossen. Während vor 7000 Jahren zahlreiche Elche, Hirsche, Wisente und Auerochsen im Norden lebten, springen heute höchstens Rehe über die Felder. „Das Fleisch kaufen wir im Supermarkt“, sagt Pfeifer, der gerade aus seinem Urlaub zurückgekommen ist. In einem skandinavischen Steinzeitdorf habe er ihn verbracht, wo sonst. Mit Austern satt.

Eine kleine Erinnerung an die Neuzeit: das WC-Schild an den Toiletten
Eine kleine Erinnerung an die Neuzeit: das WC-Schild an den Toiletten © Edgar Hasse | Edgar Hasse

Derweil wird am Lagerfeuer der Hamburger Studenten die Nachspeise serviert. Quark mit leckerem Löwenzahn und Spitzwegerich. Für Tosca Friedrich, Lehrbeauftragte an der Uni Hamburg, ist es bereits das zwölfte Praktikum mit ihren Studenten in Albersdorf. Mit dabei ist auch ein Doktorand, der die Gebrauchsspuren an steinzeitlichen Flintwerkzeugen mit archäologischen Funden vergleichen wird. Die Studentinnen Annika Benke, Melanie Jühlen und Antonia Rönicke-Runger sehen in dem Praktikum eine Abwechslung zum Büffeln an der Uni. „Wir lernen, wie die Menschen in der Jungsteinzeit gearbeitet haben.“ Ihre Leinenkleidung haben sie selbst genäht. Grün, sagen die Viertsemester, sei der Steinzeit-Modetrend 2016.

So essen Sie wie in der Steinzeit

 

Leckeres Frühstück: Für den Museumsführer „Steinzeit er­fahren“ aus dem Steinzeitpark Dithmarschen wurde dieses „Kraftfrühstück“ kreiert, das den Rezepten der Steinzeitmenschen nachempfunden wurde

 

Zutaten: Sieben Esslöffel Weizengetreidekörner, 100 ml Wasser, bis zu zehn Haselnüsse, 125 g Obst der Saison, drei Esslöffel Sahne oder Naturjoghurt.

 

Die Hälfte der Getreidekörner grob mahlen und zusammen mit den anderen Körnern mit Wasser vermischen.

 

Fünf bis zehn Stunden am Vortag einweichen. Nach dem Einweichen das klein geschnittene Obst wie Äpfel, Birnen, Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren dazugeben und mit ganzen Haselnüssen vermischen. esh Guten Appetit!

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Der Steinzeitpark ist außer montags von 11–17 Uhr geöffnet. Anschrift: Süderstraße 47, 25767 Albersdorf. Der Eintritt für Erwachsene beträgt 6 Euro. Weitere Informationen unter Tel. 04832-959 73 33 oder im Internet unter www.neues.aoeza.de