Kiel. Nach dem Krieg blieb wenig von der Kieler Altstadt übrig. Umso glücklicher sind Archäologen über ihre Entdeckungen nahe des Schlosses.
Bei ihren Ausgrabungen sind Archäologen in Kiel auf weitere Überreste der Altstadt gestoßen. „Wir haben einen Backstein-Fußboden aus der frühen Neuzeit freigelegt, der aus dem 16. oder 17. Jahrhundert stammt“, sagte Grabungsleiter Marc Kühlborn. Seit Mitte März buddeln der 48-Jährige und seine Kollegen direkt in der Nähe des Kieler Schlosses und finden dabei immer wieder kleinere und größere Geheimnisse.
„Wir machen hier immer wieder erstaunliche Funde wie beispielsweise künstlich hergestellte Steine aus der Zeit um 1900“, sagte Kühlborn. „Für was diese Steine genutzt wurden, bleibt noch ein Geheimnis.“
Gebäude des „Obergerichtsadvokat“ entdeckt
Unweit des Schlosses haben die Archäologen mittlerweile gut erhaltene Mauerreste freigelegt. Kühlborns Hoffnungen, dabei könne es sich um die alte Universität handeln, die dort mehr als 100 Jahre residierte, bestätigten sich allerdings nicht. „Sicher ist aber, dass das Gebäude im 18. Jahrhundert als repräsentativer Bau in direkter Nachbarschaft zum Kieler Schloss entstand. Die alte Universität lag auf der anderen Straßenseite“, sagte Kühlborn – und somit außerhalb des Baufelds.
Inzwischen ist klar, dass im frühen 19. Jahrhundert der Kieler „Obergerichtsadvokat“ Meyer Isaak Schiff in dem aufgedeckten Gebäude gewohnt hat. Er war laut Kühlborn der erste jüdische Jurist, der eine Zulassung in Schleswig-Holstein erhalten hat. Zudem fand in seinem Haus 1833 die Gründung des Vereins für Schleswig-Holsteinische Geschichte statt. „Meyer Isaak Schiff war natürlich einer der Gründungsväter“, sagte Kühlborn.
Mitten auf dem Baugelände haben die Experten mittlerweile Reste von mindestens drei verschiedenen Häusern entlang der Schlossstraße freigelegt, die bis etwa 1900 dort existierten. „Wir wissen mittlerweile, dass diese Häuser ursprünglich mal sehr repräsentativ gewesen sind“, sagte Kühlborn.
Experten finden alte Schuhe und Bierflaschen
„Im Laufe der Zeit hat die wirtschaftliche Kaufkraft der hier lebenden Leute aber einfach abgenommen“, sagte Kühlborn. Das sei an den „Flickschustereien“ und kleineren Reparaturen ersichtlich, die an den Häusern vorgenommen wurden. „Das ist schon ziemlich gruselig, wie die da gewohnt haben, sehr beengt, sehr ärmlich.“ Eines der drei Häuser stand dort wahrscheinlich bereits seit dem 15. Jahrhundert.
Immer wieder finden die Experten bei ihren Grabungen Hinterlassenschaften der Altstadtbewohner. Dazu gehören Keramiken, Schuhe, ein Malergefäß samt eingetrockneter Farbreste, aber auch Bierflaschen, eine Spritze und eine einst für eine Wundertinktur gehaltene Flüssigkeit – die Reste eines Kräuterschnapses.
Archäologe hofft auf Gründerzeit-Funde
Noch bis mindestens Juni wollen die Forscher unweit des Kieler Hafens nach Spuren der Stadtgeschichte suchen. Kühlborn hofft noch immer auf Funde aus der Gründungszeit kurz nach 1200. Er setzt dabei vor allem auf einen freigelegten Keller. „Da ist vermutlich noch etwas darunter“, sagt der 48-Jährige.
Möglich wurden die Grabungen durch den geplanten Bau des Wohnkomplexes Schlossquartier. Dort sollen bis 2018 mehr als 200 Wohnungen entstehen. Dabei sind die Archäologen in den normalen Bauablauf integriert. Sie vermessen und dokumentieren sämtliche Befunde. Ihre Funde archivieren sie. Danach aber fallen die Mauern und auch der alte Backsteinfußboden den Baggern zum Opfer.