Travemünde. Wer draußen auf dem Meer in einem Windpark arbeiten will, egal ob als Servicetechniker oder Koch, muss sich entsprechend vorbereiten.

Etwas ungelenk sieht es aus, wie die sieben Männer in den orangen Überlebensanzügen über das Gelände watscheln. Außer dem Gesicht steckt der ganze Körper in einer dicken Neoprenhülle, innen rinnt der Schweiß. Im Wasser offenbart der Anzug seine Vorteile: Man kann nicht untergehen, bleibt trocken und vor allem warm. Fast eine Stunde werden die Männer für die Praxis des Sea-Survival-Trainings (übersetzt: Überlebenstraining im Meer) in der Ostsee bleiben. Normales Schwimmen ist in den Anzügen kaum möglich, man liegt auf dem Rücken und paddelt sich mit den Armen nach hinten.

Die Rettung ist nur 50 Meter entfernt – gemeinsam schafft man es

„Bewegt euch so wenig wie möglich“, ruft Trainerin Michaela Mayer, die seit zehn Jahren mit ihrer Firma Inasea Sicherheits- und Notfalltrainings anbietet. Aus dem Motorboot begleitet sie die Übungen, auf die sie die Männer zuvor theoretisch vorbereitet hat. „Ihr müsst mit eurer Körperwärme sparsam umgehen, weil ihr nicht wisst, wann Rettung kommt.“ Bis alle Mann beisammen sind, haken sie sich mit den Armen unter. Niemals bleibt einer allein. Mit dem Letzten schließen sie den Kreis, Füße nach innen. „Wenn die Retter zu sehen sind, strampelt ihr mit den Beinen.“ Die Männer schäumen das Wasser zu weit sichtbarer Gischt auf.

Nun bilden sie eine lange Raupe, indem jeder seine Füße unter die Achseln des Nächsten klemmt. Gemeinsam rudern sie mit den Armen rückwärts zu der selbstaufblasenden Rettungsinsel, die 50 Meter entfernt schwimmt – leider auf dem Kopf. Unter geschicktem Einsatz des Körpergewichts des schwersten Mannes drehen sie die Insel erfolgreich um. Das Klettern über die wackelige Bordkante ist über­raschend mühsam, weil die Füße keinen Halt zum Abstoßen finden. In der rettenden Insel klatschen die Männer sich ab.

Das Training bei Inasea ist breit gefächert

Als Nächstes steht die Bergung Schiffbrüchiger auf dem Lehrplan: Mit dem Jason's Cradle, einer Bergeplattform, lässt sich jeder einmal passiv wie ein Bewusstloser liegend in ein Rettungsboot hieven, was durchaus schmerzhaft ist. „Retten tut oftmals weh“, lernen die Teilnehmer. Mit anderen Rettungsmitteln werden sie liegend, sitzend und stehend in große Höhen gehievt.

„Die Inhalte meiner Kurse decken alle Industriestandards ab“, so Micha­ela Mayer. „Damit könnt ihr international auf allen Offshore-Anlagen arbeiten.“ Das ist insbesondere für kleine Spezialbetriebe vorteilhaft, die von der Windbranche ebenso angeheuert werden wie von der Öl- und Gasbranche. Genau diese Betriebe schicken ihre Mitarbeiter zu Inasea, weil sie dort sehr breit gefächert trainiert werden.

Michaela Mayer hatte sogar schon einen gestandenen Kapitän als Teilnehmer bei dem Trainingsmodul Sea Survival. Er war beruflich als Techniker auf eine Windfarm gewechselt, doch der Betreiber hatte sein Sea-Survival-Training nicht anerkannt, obwohl es dem Standard der International Maritime Organisation (IMO) entsprach, der für alle Seeleute weltweit anerkannt ist.

Nach eineinhalb Tagen Training, zu dem auch Alarme und Notsignale gehören, folgt am Nachmittag des zweiten Tages das Modul Fire Awareness (Brandschutz). Die Männer schließen einen Feuerwehrschlauch an den Hydranten an und lernen, den starken Rückstoß eines Wasserstrahls zu beherrschen. Mit Schaum löschen sie einen brennenden Motor und öffnen vorsichtig einen brennenden Container, um den unbekannten Brandherd zu ersticken. Zum Abschluss krabbelt jeder durch die verwinkelten Schächte und Leitern eines stockdunklen Containers, um zu erfahren, was es heißt, sich bei Generalalarm und Stromausfall aus einer unbekannten Industrieanlage zu befreien.

Auch das Szenario eines ins Wasser gestürzten Helikopters wird trainiert

Insgesamt bieten rund zwei Dutzend Betriebe in Deutschland solche Sicherheitstrainings an, darunter die dänisch-norwegische Firma Falck Safety Services in Bremerhaven, mit der Inasea bei einer Trainingseinheit ko­operiert, bei dem das Aussteigen aus einem ins Wasser gestürzten Hubschrauber trainiert wird. „Unfälle mit Helikoptern passieren“, sagt Georg Wölk, der Geschäftsführer: „Hier lernen Sie, wie Sie aus solch einer kritischen Situation möglichst gut herauskommen.“

Zwölf Männer sind zu diesem Eintageskursus gekommen. Sie tragen spezielle Überlebensanzüge für Flieger, als sie in die hinten offene Kapsel steigen, die dem Inneren eines Helikopters ähnelt. Aufgehängt ist sie an einem Flaschenzug über einem Hallenschwimmbecken. Die Kapsel senkt sich auf das Wasser, die Vier-Mann-Besatzung klettert durch die Tür in die Rettungsinsel.

Bei den kommenden drei Durchgängen senkt sich die Kapsel komplett unter Wasser. Während der Wasser­pegel schnell an den Beinen hochsteigt, atmet jeder noch einmal tief ein, aktiviert das Notfall-Atemsystem und atmet die Luft aus seiner Lunge über einen Schnorchel in den leeren Beutel vor seiner Brust. Diese Luft kann er nun bis zu zwei Minuten lang ein- und ausatmen, ehe sie verbraucht ist.

Der Helikopter ist inzwischen ganz unter Wasser. Jetzt heißt es schnell und beherzt, aber nicht hektisch die Liste im Kopf Schritt für Schritt abarbeiten: Das Fenster neben dem Sitz mit dem Ellenbogen nach außen drücken, bis es abfällt, mit einer Hand an den leeren Fensterrahmen greifen, mit der anderen das Schloss des Gurtes öffnen, sich vorbeugen, mit dem Rücken zum Fenster drehen, die zweite Hand greift über Kopf auch an die obere Fensterkante, dann kann man sich wie schwerelos rückwärts aus dem Fensterloch schieben. Klingt kompliziert. Ist es auch.

In einem Sicherheitslogbuch wird das erfolgreiche Training quittiert

Für die meisten Männer ist der erste Versuch mit viel Durcheinander verbunden. Zur Sicherheit hat jeder seinen persönlichen Trainer in der Kapsel. Vor jedem Absturz gehen die Zweierteams alle Handgriffe Schritt für Schritt durch, von Mal zu Mal wird der Ausstieg stressfreier. Verschärfter werden die letzten drei Durchgänge, dann dreht sich die Kapsel beim Eintreten ins Wasser über Kopf. Oben ist jetzt unten und unten oben. Das erfordert ein räumliches Umdenken. Um nicht von der Schwerkraft an die Decke der Kapsel gedrückt zu werden – wo gefühlt immer noch oben ist –, muss man sich bis zum Rausgleiten aus dem Fenster am Sitz festkrallen.

Am Ende des Tages erhält jeder Teilnehmer den entsprechenden Eintrag in seinem orangen Sicherheitslogbuch, das er bei jedem Offshore-Einsatz vorzeigen muss.