Kaltenkirchen/Kiel. Prozessauftakt: Nach einer jahrelangen Fehde soll ein 42-Jähriger einen Anschlag auf einen Mann in Auftrag gegeben haben.
Hass, Rache und eine Frau haben die beiden Männer wieder einmal zusammengeführt. In einem schmucklosen Saal des Landgerichts Kiel sitzen sie, kaum fünf Meter voneinander entfernt. Von Kindesbeinen an kennen sie sich. Dennis F., 42, kantiger Schädel, mächtiger, dem Platzen naher Brustkorb, an allen sichtbaren Körperteilen tätowiert, ist diesmal der Angeklagte – und wirkt, als ginge ihn das alles gar nichts an. Andre D., 40,, Haupthaar und Bart kurz geschoren, weiche Gesichtszüge, grün-weiß kariertes Hemd, das von einem ansehnlichen Bauch in Spannung gebracht wird, ist das Opfer. Am 29. Januar 2009 schossen zwei bis heute Unbekannte fünfmal auf D.. Drei Schüsse trafen ihn in den Oberschenkel und machten ihn zum Schwerbehinderten. Dennis F. soll diesen Anschlag veranlasst haben. Verdacht der schweren Körperverletzung – so lautet der Vorwurf des Staatsanwalts Achim Hackethal.
Vor Gericht entfaltet sich eine Geschichte jahrelanger Aggressionen – wenn man den Erzählungen von D. folgen will. Denn F. schweigt. Die beiden Männer gehörten verfeindeten Rockerclubs an, die mittlerweile verboten sind. F. war Mitglied der Hells Angels, D. wohl Mitglied der Bandidos, was er allerdings bestreitet. In der „Traumfabrik“, einer Kieler Diskothek, habe alles angefangen, sagt D. Dort sei er mit einem gewissen P. in Streit geraten, der sei daraufhin von der Polizei festgenommen worden. P. aber habe als „Drogenläufer“ für Dennis F. gearbeitet, und der habe „2000 Mark Kaution“ zahlen müssen, damit P. wieder freikomme. „Diese 2000 Mark wollte er von mir zurückhaben“, erzählt D.
D. will dieser doch recht überschaubaren Geldforderung nicht nachkommen. Stattdessen bittet er einen „Vermittler“ um Hilfe – „um da wieder Frieden reinzubringen“. Ohne Erfolg.
Dann schaltet sich angeblich sogar die Kieler Polizei ein. „Der Kriminaloberkommissar Deutschendorf wollte die Geldübergabe machen“, sagt D. Auch daraus wurde nichts. D. sagt, er sei dann immer wieder erpresst worden. „F. wusste, dass das Haus meiner verstorbenen Mutter verkauft werden sollte. Der hat Geld gewittert.“
In der „Mausefalle“, einer Diskothek im Kieler Rotlichtviertel, folgt der nächste Akt. F. schlägt D. – vierfacher Kieferbruch. Ralf, der Bruder von D., sticht auf F. ein – und trifft die Leber.
All diese Streitereien sind in einen Rockerkrieg eingebettet, der in jenen Jahren für Schlagzeilen sorgt. 2008 prügeln die verfeindeten Gangs sogar vor dem Landgericht Kiel aufeinander ein. Mit dabei: Dennis F., Andre D. und Ralf D.
F. wird dabei erneut verletzt. Vielleicht bringt ihn dieses Erlebnis auf die Idee, dass es auch noch andere Methoden als die der direkten Auseinandersetzung gibt. Ende 2008 nimmt jedenfalls Beatrice F. Kontakt zu Andre D. auf – ausgerechnet über studiVZ, dem Netzwerk für Studenten. Sie ist 19 Jahre alt. Studentin ist F. nicht. „Es hat sich relativ schnell Schriftverkehr entwickelt“, sagt D. Recht schnell sendet sie auch freizügige Fotos und ein Badewannen-Video. Andere, weitaus wichtigere Dinge bleiben allerdings verhüllt: die Blondine mit dem studiVZ-Namen „Tinkywinky“ ist mit D.s Erzfeind F. verlobt. D. geht in die Falle. Sie wird im Januar 2009 auf dem Parkplatz der Holstentherme in Kaltenkirchen aufgebaut.
Beatrice F. schlägt D. einen Saunabesuch vor. D. willigt freudig ein. „Nach den Bildern und dem Video hatte ich mir einiges erhofft“, sagt er. Mit ihrem Opel Corsa fahren sie abends nach Kaltenkirchen. Auf dem Parkplatz steuert sie die hinterste Ecke an, obwohl es Parkplätze nahe am Eingang gibt. „Ich habe gedacht, das ist ein junges Mädel, das ist nicht so bewandert, was das Parken angeht.“
Beide steigen aus. D. schultert seine Sporttasche und sieht zwei maskierte Männer, die auf ihn zukommen. D. lässt die Tasche fallen und rennt los. Dann fallen Schüsse. D. denkt: „Scheiße, ich bin in einen Hinterhalt gelockt worden.“ Einer der Schüsse reißt ihm die Beine weg. Die Männer kommen näher. D. sagt: „Ich dachte, jetzt schlägt mein letztes Stündlein.“ Aber ein Auto nähert sich. Die Männer verschwinden, ebenso Beatrice F.
2011 wird sie wegen Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung zu 150 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Ein mildes Urteil, aber sie kommt aus gutem Hause und hatte bis dahin eine weiße Weste.
Dennis F., der mittlerweile im schönen Thailand lebt, hat am Mittwoch, dem ersten Prozesstag, einen ruhigen Vormittag gehabt. Michael Gubitz, sein Verteidiger, machte immer wieder auf Widersprüche in D.s Aussagen aufmerksam. Morgen soll der Prozess fortgesetzt werden. Es wird ein erneutes Treffen der alten Feinde.