Kiel. In Kiel können Reisende an einer offiziellen Haltebucht auf eine Mitfahrgelegenheit warten. Die Idee dafür kommt von zwei Studenten.

Ein junges Pärchen steht mit erhobenen Daumen am Kieler Westring kurz vor der Auffahrt zur Autobahn 215. Auf die Rückseite eines Kartons haben die beiden mit einem schwarzen Filzstift in großen Druckbuchstaben „Kassel“ geschrieben. Zwei vollbepackte Rucksäcke und eine Isomatte stehen neben ihnen am Straßenrand. Eigentlich kein ungewöhnliches Bild – zwei typische Tramper eben. Doch mit einem Unterschied: Carole, 27, und Jasper, 28, stehen nicht irgendwo an einer Bundesstraße, sondern an der ersten offiziellen Tramphaltestelle Deutschlands.

Zwei blaue Straßenschilder, bedruckt mit einem großen, ausgestreckten Daumen, markieren die gesonderte Haltemöglichkeit in einer Parkbucht, an der Autofahrer die Tramper einsteigen lassen können. Es ist eine kostengünstige Installation, die einige Verkehrsrisiken abwenden soll. Denn vor der Einweihung der Haltestelle am 11. Juni standen Tramper oftmals auf der Verkehrsinsel unmittelbar vor der Autobahnauffahrt. „Dort blockierten die anhaltenden Fahrzeuge den Verkehr“, sagt Niklas Hubert, Mobilitätsbeauftragter der Stadt Kiel.

Trampen ist nicht nur nostalgisch, sondern auch umweltschonend

Angeregt wurde das Projekt von zwei Kieler Geografiestudenten. Rolf Schwander, 24, und Johannes Manthey, 25, entwickelten die Idee im Rahmen eines Nachhaltigkeitsmoduls in der Uni. Mit dem Projekt traten sie 2013 bei einem landesweiten Ideenwett­bewerb an und gewannen prompt eine Auszeichnung.

Diese Referenz ebnete dem Vorschlag den Weg in die Kieler Stadtverwaltung. Beim Bürgermeister Peter Todeskino (Grüne) sorgte die Idee sofort für Begeisterung. „In meiner Jugend bin ich selbst getrampt“, sagt Todeskino, der bei der Einweihung im Juni vor Ort war. Nostalgische Erinnerungen waren bei der Entscheidung für die Trampstation dann aber doch nicht ausschlaggebend. „Die Stadt Kiel begrüßt das Projekt, weil es ein Zeichen für Klimafreundlichkeit setzt“, sagt Niklas Hubert vom Mobilitätsmanagement. Viel zu viele Autofahrer würden mit kaum besetzten Autos weite Strecken zurücklegen. Das Mitnehmen von Trampern schone dagegen Ressourcen.

Für den Mitinitiator Rolf Schwander ist Trampen mehr als eine umweltfreundliche Art der Fortbewegung. Das Fahren per Anhalter steht für ihn für einen Ausdruck von Spontaneität und Offenheit. „Ich freue mich über die offizielle Haltestelle, weil das Trampen dadurch ins Stadtbild aufgenommen wird“, sagt der Student. Schwander trägt Sneaker, Skater-Hosen und ein Shirt, auf dem er per Comic-Aufdruck für sein neuestes Projekt wirbt – transportable Komposttoiletten für Festivals. Der bärtige Hobbytramper wirkt entspannt und doch voller Tatendrang, Neues zu probieren. Deswegen fahre er auch so gerne per Anhalter. „Beim Trampen lernt man die verschiedensten Leute kennen“, erzählt er.

Bei Mitfahrgelegenheiten, die über Onlineportale vermittelt werden, sei das Publikum deutlich homogener. Als klassischer Tramper habe er hingegen schon alles erlebt. „Ein türkisches Brautpaar hat mich mal mitgenommen, und ein Geschäftsmann hat mir nach der Fahrt ein Praktikum in seinem Unternehmen angeboten.“ Das Trampen verstehe er als „geben und nehmen“. „Tramper sind keine Schnorrer. Wir zahlen zwar nicht den Sprit, dafür sorgen wir für Unterhaltung und können auch einfach mal zuhören.“

Tramprennen sind in der Tampszene besonders beliebt

Die Tramperszene habe in Kiel viel Zulauf. Besonders beliebt bei den jungen Abenteurern seien Tramprennen. Ein solches startet am morgigen Sonnabend. 73 Teams trampen dabei aus Cottbus, Immenstaad am Bodensee und Wien nach Omarë in Albanien. Entscheidend bei der Aktion ist allerdings nicht, wer als Erstes ins Ziel kommt. Das wäre auch gar nicht im Sinne der jungen Weltenbummler, für die oftmals der Weg das Ziel ist. Dafür hat das Tramprennen einen guten Zweck zum Anlass. „Die Teams sammeln Spenden für ProAsyl und die Hamburger Hilfsorganisation Viva con Agua“, sagt Teilnehmerin Simone Müller. Die Spendengelder fließen vollständig in die Hilfsprojekte, heißt es. Anfallende Reisekosten tragen die Teilnehmer selbst. Rolf Schwander ist dieses Jahr jedoch nicht mit von der Partie. Er sei zu beschäftigt mit seinem neuen Nachhaltigkeitsprojekt.

Für Carole und Jasper, die an diesem Tag ganz ohne Hintergedanken nach Kassel trampen möchten, hat sich schon eine Mitfahrgelegenheit bis nach Hamburg ergeben. Autofahrerin Susanne Vogt nimmt die beiden in ihrem Kombi mit. Das sei für die Hamburgerin selbstverständlich: „In meiner Jugend bin ich auch viel getrampt. Heute nehme ich die jungen Leute gerne mit.“

Zusatzinfo

Auf der Facebook-Seite „KIELtrampt“ tauschen sich junge Leute aus Kiel über Themen aus der Tramperszene aus. Auch der Prozess von der Ideenfindung bis zur Eröffnung der ersten offiziellen Trampstelle Deutschlands kann hier nachgelesen werden.

Unter tramprennen.org erfahren Sie mehr über das Tramprennen 2015, den guten Zweck dahinter und den aktuellen Spendenstand.