Lübeck. Das Schleswig-Holstein Musik Festival gilt, nach so Intendant Kuhnt, als Vorbild für fast jedes Klassik-Festival in Deutschland.
Für das Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) sieht Intendant Christian Kuhnt bundesweit eine Vorbild- und Vorreiterfunktion. „Wir haben den Anspruch, unserer herausgehobenen Rolle in der Festivallandschaft gerecht zu werden“, sagte Kuhnt in einem Interview vor Beginn der neuen Saison (11. Juli bis 30. August).
Das SHMF sei nach dem Start 1986 „Vorbild für fast jedes Klassik-Festival in Deutschland“ geworden. Nun wolle es auch mit einer neuen programmatischen Ausrichtung vorangehen.
Wie läuft’s kurz vor Festivalbeginn?
Kuhnt: „Wir leben in gespannter Vorfreude. Alle wollen, dass es endlich losgeht. Diese Neugierde aufs Programm drückt sich auch im Vorverkauf aus. Der liegt auf dem Niveau des Vorjahres, als wir mit 153.000 Tickets einen Rekord erzielten; die Auslastung betrug 83 Prozent. Das macht uns sehr glücklich, vor allem weil wir erkennen, dass unsere neue programmatische Ausrichtung funktioniert.“
Welchen Stellenwert hat das SHMF bundesweit?
Kuhnt: „Wir haben den Anspruch, unserer herausgehobenen Rolle in der Festivallandschaft gerecht zu werden. Denn wir sind Vorbild für fast jedes Klassik-Festival in Deutschland. 1986, als wir begannen, gab es etwa 125 Festivals, und jetzt sind es rund 600. Das SHMF war der Motor. So wie wir am Anfang Vorbild waren für andere, so möchten wir in der programmatischen Ausrichtung Vorreiter sein - und sind glücklich, dass dies aufgeht mit einem klaren Konzept. Es ist geprägt durch eine Komponisten-Retrospektive (Peter Tschaikowsky), den Percussionisten Martin Grubinger als Porträtkünstler mit 16 Konzerten und die Reihe „Luustern“ (plattdeutsch: Lauschen), unsere Spielwiese, wo wir über die Grenzen der Klassik hinausgehen.“
Sie haben die Spielstätten um mehr als 30 auf 104 ausgeweitet, welche Idee steckt dahinter?
Kuhnt: „Nach der letzten Saison wurde ich oft gefragt: „Können Sie auch bei uns ein Konzert austragen?“. Da lasse ich mich gern verführen. Das Land nach außen tragen in seiner Vielfalt macht viel Freude und gelingt mit neuen Spielstätten sehr gut - so dass wir mit dem Festival auch eine Entdeckungsreise durch das Land verbinden.“
Können Sie Beispiele für neue Spielstätten nennen?
Kuhnt: „Da wäre ein Bio-Gewächshaus in Wöhrden in Dithmarschen. Das ist so ein Verführungsort, bei dem ich gesagt habe, es sieht zwar unmöglich aus, hier etwas zu machen, aber das spornt uns an. Das Publikum folgt uns, das Konzert ist ausverkauft. Der Steinpark in Warder ist ein ähnlicher neuer Ort - mit Skulpturenpark und einer Scheune, die noch nie für Konzerte diente.“
Warum steht diesmal Tschaikowsky im Mittelpunkt?
Kuhnt: „Entscheidend sind die kaum bekannten Norddeutschland-Bezüge in seinem Leben. Er war fünfmal in Hamburg und dirigierte dort. 1888 machte er einen Abstecher nach Lübeck, blieb dort eine Woche. Wir gehen auf Spurensuche. So verbinden wir einen der bedeutendsten Komponisten der Musikgeschichte mit unserem regionalen Anspruch.“
Und wie passt der junge österreichische Percussionist Martin Grubinger als Porträtkünstler wiederum zu Tschaikowsky?
Kuhnt: „Wir hätten ihn auch eingeladen, wenn er nichts von Tschaikowsky spielen würde. Als er hörte, dass wir Tschaikowsky als Thema haben, fragte er seinen Vater, einen Schlagzeuger und Lehrer am Mozarteum in Salzburg, ob er die „Nussknacker-Suite“ arrangieren könne für zwei Klaviere und Schlagzeug - der Papa hat das gemacht. Allein der Nussknacker erinnert schon an ein Percussion-Instrument. Das hat ja nun auch etwas Percussives, wenn Sie eine Nuss knacken. Grubinger bietet bei seinen 16 Konzerten bedeutende neue Musikstücke bis hin zu einer gigantischen Percussion-Show in Kiel.“
Wie ist das Interesse an Grubingers Konzerten?
Kuhnt: „Wir haben schon rund 20.000 Karten verkauft. Viele möchten authentische Künstler erleben und folgen ihnen neugierig auch auf unbequemen Wegen. Wir haben unterhaltsame Schlagzeugkonzerte - und Dinge, die ein bisschen sperriger sind.“
Wie sieht es mit der Finanzierung des Festivals aus?
Kuhnt: „Wir konnten Kosten senken. So ist das Budget mit 8,4 Millionen Euro etwas niedriger als im Vorjahr (9,1 Millionen). Wir pendeln uns ein in der Größenordnung von 8 bis 9 Millionen Euro. Die Sponsorengelder sind stabil und das Land hat zugesagt, seinen Zuschuss von gut 1,2 Millionen Euro nicht zu kürzen. Daher ruht das SHMF auf sehr soliden Säulen. Darauf etwas aufzubauen, macht Freude.“
Welche Rolle spielen die Ticket-Einnahmen?
Kuhnt: „Gut 50 Prozent des Gesamtbudgets müssen wir über den Kartenverkauf finanzieren, das ist ein sehr hoher Wert.“
Wie lief die Rekordsaison 2014 finanziell?
Kuhnt: „Als gemeinnützige Stiftung müssen wir verantwortungsbewusst mit dem uns anvertrauten Geld umgehen. Unterm Strich können wir zufrieden sein: Der enorme Publikumszuspruch, unsere Sponsoren und die öffentliche Hand waren der Grund für eine auch wirtschaftlich gesunde Saison.“
Die Messlatte liegt sehr hoch, was sind Ihre Ziele 2015?
Kuhnt: „Für uns ist jedes Jahr ein Neustart. Wir gehen nicht von Rekordzielen aus, sondern von der programmatischen Idee. Diese scheint diesmal geeignet zu sein, ein unglaubliches Echo beim Publikum auszulösen. Wachstum ist nicht unbedingt unsere Maxime, aber letztes Jahr haben wir schlummernde Potenziale erkannt. Diese wollen wir weiter nutzen, aber nicht jedes Jahr 5000 Karten mehr verkaufen.“
Drei Tipps des Intendanten
Musikfans, die sich nicht so richtig für eines der 178 Konzerte des Schleswig-Holstein Musik Festivals entscheiden können, hilft Intendant Christian Kuhnt mit drei persönlichen Empfehlungen. Klavierlegende Martha Argerich gibt mit der Pianistin Lilya Zilberstein zwei Konzerte in Kiel (14. Juli) und in Lübeck (15. Juli). Dabei spielen die „Grande Dame des Klaviers“ und ihre langjährige Musikpartnerin Werke von Peter Tschaikowsky, Robert Schumann und Sergei Wassiljewitsch Rachmaninoff.
Zweiter Intendanten-Tipp: Die Percussion-Show mit Martin Grubinger am 20. August in der Sparkassenarena in Kiel, in der sonst der THW Kiel vor Tausenden Besuchern Handball spielt.
Außerdem nennt Kuhnt die beiden Konzerte mit Alice Sara Ott und Francesco Tristano: Die beiden jungen Klavierstars präsentieren an so ungewöhnlichen Orten wie dem Lokschuppen der S-Bahn in Hamburg (8. August) und Schleswig-Holsteins größter Reetdach-Scheune auf Gut Hasselburg (9. August, Kreis Ostholstein) ein energiegeladenes Programm unter dem Titel „Skandale“. Tristano hat Techno- und DJ-Erfahrungen, auf dem Programm stehen Werke unter anderem von Claude Debussy, Maurice Ravel und Igor Strawinsky. (dpa)