Hätte sich die Ausbreitung der gefährlichen Keime im Universitätsklinikum in Kiel vermeiden lassen? Haben Ärzte oder Behörden Fehler gemacht? Die Diskussion steht am Anfang, viele Fragen sind offen.

Kiel. Am 11. Dezember kommt ein 74 Jahre alter Deutscher in die Notfallaufnahme des Uni-Klinikums Kiel. Er hat Urlaub in der Türkei gemacht und ist krank. In den sechs Wochen darauf sterben in der Klinik der Urlauber und vier weitere ohnehin kranke Patienten, die sich zudem mit dem Keim des Touristen infiziert haben. Bei mehr als 19 Menschen im Krankenhaus wurde die gegen praktisch alle Antibiotika resistente Bakterie Acinetobacter baumannii nachgewiesen. Die Öffentlichkeit erfährt nichts.

Am 23. Januar veröffentlicht das Uniklinikum dann eine komplizierte Pressemitteilung „Infektion von zwölf Patienten mit MRGN-Keim am Campus Kiel“. Versteckt im vierten Absatz die Information, eine Intensivstation sei vorsorglich für Neuaufnahmen „bis auf weiteres“ geschlossen. Große Operationen könnten verschoben werden. Die gestorbenen Patienten werden in der Pressemitteilung überhaupt nicht erwähnt.

Erst auf Journalisten-Nachfragen wird das Problem in seiner Dimension bekannt. Am Freitagabend dann eine kurzfristig anberaumte Pressekonferenz. Der Chef des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Jens Scholz, betont, man wolle „pro-aktiv“ auf die Öffentlichkeit zugehen und den ungewöhnlichen Aufnahmestopp einer Intensivstation und die Isolierung von Keimträger-Patienten in einer der drei Einrichtungen der operativen Intensivstation erläutern.

Über die Gesamtzahl der seit Dezember festgestellten Keimträger gibt es keine Angaben, auch nicht über das Alter der vom Keim befallenen oder der gestorbenen Patienten. Die Klinikleitung, die Gesundheitsbehörde der Stadt Kiel und das Gesundheitsministerium versichern mit gleichem Tenor: Das UKSH hat rechtzeitig die Behörden informiert und fachlich alles richtig gemacht: Isolierungs-, Vorsorge- und Hygienemaßnahmen.

Ministerium erfuhr erst am 23. Januar von den Keimen

Das Gesundheitsamt wurde am 24. Dezember informiert, zu dem Zeitpunkt waren vier Patienten mit dem Keim befallen. Das Ministerium erfährt von den Problemen erst am 23. Januar, dem Tag der Pressemitteilung. Die Hygiene-Chefin des UKSH, Dr. Bärbel Christiansen, versichert, alles im Griff zu haben. Die Situation sei zwar ungewöhnlich, aber die Behandlung und die Maßnahmen seien Routine.

Christiansens fachliche Qualifikation steht außer Frage. Sie leitet die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, die das Robert-Koch-Institut bei der Herausgabe von Leitlinien für Deutschland berät. Der Türkei-Tourist wurde bei der Aufnahme ins UKSH nicht auf Keime untersucht. Ein solches Screening sei nicht nötig gewesen, der Mann habe keine auffälligen Symptome gezeigt.

Hier ist ein Ansatzpunkt für die fachliche Diskussion. Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz (Dortmund) fordert ein Umstellen der Aufnahme in Krankenhäuser wie in den Niederlanden. Dort werde grundsätzlich unterstellt, jeder Patient habe Keime und komme deshalb erst auf eine Isolierstation. Der Patient werde erst nach dem Ergebnis der Untersuchung weitergegeben im Krankenhaus. „Bei uns ist das System genau umgekehrt. Wir reagieren immer nur dann, wenn es Auffälligkeiten gibt.“ Bei geschätzt bis zu 40.000 durch Keime gestorbene Patienten pro Jahr in deutschen Krankenhäusern „ist das keine Bagatellfrage“, sagt Brysch.

Phase des Umbruchs beim UKSH

Für das UKSH Schleswig-Holstein fällt die Ausbreitung des gefährlichen Keims in eine Phase des Umbruchs. Mehrere hundert Millionen Euro beträgt der Investitionsstau für Sanierung und Neubau. Die Politik dringt darauf, das UKSH solle aus den roten Zahlen kommen. 2013 machte die Klinik 38 Millionen Euro Minus. Für 2014 liegen noch keine endgültigen Zahlen vor, es sollen laut „Kieler Nachrichten“ mehr als 30 Millionen Euro sein. Scholz hat wiederholt darauf hingewiesen, dass Schleswig-Holstein zu den Ländern mit den niedrigsten Basisfallwerten gehört – also den Pauschalvergütungen für bestimmte Operationen und Behandlungen.

So sucht das UKSH nach jeder Möglichkeit für Einsparungen, aber auch Mehreinnahmen. Zu den Sparmaßnahmen gehört als ein Beispiel die Aufkündigung der rund 100 Jahre langen Zusammenarbeit mit den DRK-Schwesternschaften zum Jahresende 2015. Die Schwesternschaften hatten ihre Schwestern dem UKSH zur Verfügung gestellt, jetzt will das UKSH sie direkt anstellen, in der Erwartung, dies sei günstiger. Trotz aller Sparzwänge betonte Scholz, im Bereich der Hygiene die Mittel aufgestockt zu haben, um den gestiegenen gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen.