Das Risiko für den Täter bei Internet-Verbrechen tendiere gegen Null, sagte Jörg Ziercke auf einer Tagung bei Kiel. Verschlüsselungstechniken schützen sie. Nur jede zehnte Straftat wird abgezeigt.

Kiel/Altenholz. Der ehemalige Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, sieht die Ermittlungsbehörden beim Kampf gegen Internetkriminalität im Hintertreffen. Sie könnten kaum mit den immer neuen Methoden der Verbrecher Schritte halten. „Was wir derzeit erleben, ist eigentlich erst der Anfang“, sagte Ziercke am Dienstag auf einer Fachveranstaltung des Landeskriminalamtes Schleswig-Holstein und der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in Altenholz über Cyberverbrechen. Das Thema Internetkriminalität habe in der öffentlichen Wahrnehmung zu lange im Schatten des Terrorismus gestanden.

Dabei sind in vielen Fällen gleich Zehn- oder gar Hunderttausende betroffen. Das Risiko der Täter, tatsächlich von der Polizei erwischt zu werden, ist aber in vielen Fällen vergleichsweise gering – Verschlüsselungs- und Anonymisierungstechniken sei Dank. Nach Ansicht Zierckes tendiert das Risiko, tatsächlich erwischt zu werden, bei der Cyberkriminalität gen Null. Weil Täter kaum ein Risiko spürten, seien sie schnell bereit, Grenzen zu überschreiten, sagte Ziercke. „Das ist die Entpersonalisierung kriminellen Verhaltens. Mit einem Mausklick sorge ich einfach mal so für tausend oder zehntausend Geschädigte. Der Kriminelle ist ja sicher, nicht erwischt zu werden.“

Die Täter sind immer einen Schritt schneller

Die Einführung neuer Sicherheitstechniken beispielsweise beim Online-Banking führt zwar regelmäßig zum einem vorübergehenden Rückgang der Delikte. „Die Anpassungsgeschwindigkeit der Szene ist enorm. Man programmiert sofort dagegen an“, sagte Ziercke. Alle ein bis zwei Sekunden entstehe irgendwo auf der Welt eine neue Variante von Schadsoftware.

Die Behörden sieht der Ex-BKA-Präsident in einer schwierigen Lage. „Die Bedrohungen sind vielfältig, die Ermittlungsbefugnisse aber begrenzt“, sagte Ziercke. Ihm fehlt in Deutschland vor allem eine Debatte darüber, wie die Strafverfolgungsbehörden mit der Cyberkriminalität umgehen sollen. Zwar erwarte jeder, dass die Polizei Cyberverbrechen aufkläre, sagte er. „Aber gleichzeitig fehlt die Debatte, mit welchen Instrumenten wir es denn im virtuellen Raum tatsächlich tun sollen.“ Der ehemalige Behördenchef erinnerte in diesem Zusammenhang an die Debatten über die Vorratsdatenspeicherung, die Telekommunikationsüberwachung oder die sogenannte Online-Durchsuchung.

Leidenschaftliches Pläydoyer für die Speicherung von Vorratsdaten

„Alles wird immer nur so dargestellt, als ob es nur dem Missbrauch durch staatliche Behörden diene, aber nicht dem Schutz zur Erhaltung des Vertrauens in das Internet“, sagte Ziercke. Freiheit ohne Sicherheit gebe es im Internet aber nicht. Denn egal ob Drogenkriminalität, Waffenhandel oder Kinderpornografie im Internet, alles habe Auswirkungen im realen Leben. „Diese Debatte vermisse ich in Deutschland: Das man darüber spricht, ob wir genauso intensiv und ernsthaft in der virtuellen Welt ermitteln sollen wie in der realen“, sagte Ziercke.

Die Speicherung von Vorratsdaten beispielsweise ist nach Ansicht Zierckes für eine effektive Bekämpfung der Cyberkriminellen unersetzlich. „Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens darüber.“ Notwendig sei die Bereitschaft zur Nutzung entsprechender Werkzeuge. „Um Missbrauch vorzubeugen, sollten die herausragenden Dinge, wo man ein ungutes Gefühl hat, einem Richtergremium des Bundesgerichtshofs überlassen.“ Die müssten dann die Entscheidung darüber treffen, ob die Polizei ein Mittel einsetzen darf.

Kriminalstatistik bei Internetkriminalität nicht aussagekräftig

Die Internetkriminalität bedroht aber nicht nur Verbraucher, sondern auch öffentliche Einrichtungen und Unternehmen. Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik sind nach Angaben von Ziercke im Bereich der Internetkriminalität aber kaum aussagekräftig. Denn viele Opfer wenden sich nicht an die Behörden. Firmen fürchten nach einem Cyberangriff um ihre öffentliche Reputation.

Einer Dunkelfeldstudie aus Niedersachsen von 2012 zufolge werde nur jeder zehnte Fall eines Internetverbrechens angezeigt, sagte der zuständige Abteilungsleiter des schleswig-holsteinischen LKA, Peter Fritzsche. „Nur bei Sexualverbrechen gibt es ein noch höheres Dunkelfeld.“ Im nördlichsten Bundesland soll im kommenden Jahr ebenfalls eine Dunkelfeld-Studie erfolgen. Außerdem plant das LKA einen neuen Schwerpunkt Cybercrime. Dafür sind 31 zusätzliche Stellen geplant. Verbrechensopfer sollen sich künftig an eine zentrale Einrichtung wenden können.