Der Bundesgerichtshof hat am Dienstag entschieden: Radfahrer haben bei unverschuldeten Unfällen Anspruch auf vollen Schadenersatz – auch wenn sie keinen Kopfschutz getragen haben.

Flensburg/Karlsruhe. Radfahrer haben bei unverschuldeten Unfällen auch dann Anspruch auf vollen Schadenersatz, wenn sie ohne Schutzhelm unterwegs waren. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag entschieden.

Hintergrund des Urteils ist der Unfall Glücksburgerin im April 2011. Die Physiotherapeutin war damals mit dem Fahrrad unterwegs zur Arbeit, als nach dem Zusammenstoß mit einer Autotür stürzte und schwere Kopfverletzungen erlitt. Die 61-Jährige Sabine Lühr-Tanck hatte im Januar 2012 vor dem Landgericht Flensburg geklagt und erreicht, dass die Autofahrerin, die den Unfall verursacht hatte, alle aus dem Unfall entstandenen Schäden und Schmerzensgeld zahlen muss. Bis heute kann die 61-Jährige nicht wieder voll arbeiten. Sie kann nichts mehr riechen und schmecken.

Weil die Fahrradfahrerin keinen Helm trug, weigerte sich jedoch die Versicherung der Unfallgegnerin und zog vor das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig. Dort erging im Juni 2013 das Urteil, dass die Fahrradfahrerin eine Teilschuld trägt, weil sie keinen Fahrradhelm trug. Die geschädigte Glücksburgerin rief daraufhin den Bundesgerichtshof an.

Im Zentrum der knapp einstündigen BGH-Verhandlung stand am Dienstagvormittag die Frage, ob ein vernünftiger Mensch heutzutage vor einer Fahrt mit dem Rad einen Helm aufsetzt. Selbst der Gesetzgeber wolle keine gesetzliche Helmpflicht für Radfahrer einführen, sagte der Anwalt der Klägerin. Dann könne man das von den Radfahrern auch nicht verlangen. „Vernunft ist gefragt und nicht das Verhalten derjenigen, die es schon immer so gemacht haben“, widersprach der Anwalt der Autofahrerin.

„Das ist ein guter Tag für die Radfahrer in Deutschland. Denn wir konnten uns bisher frei entscheiden, ob wir einen Helm tragen oder nicht, und das können wir auch in Zukunft. Und das ist auch richtig so, weil Radfahren kein Risikosport ist, sondern gesunde Bewegung im Alltag“, sagte die Pressesprecherin des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e.V.) Stephanie Krone in Karlsruhe.

Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) hatte sich schon vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofes gegen eine Helmpflicht für Radfahrer ausgesprochen. Er setzt stattdessen auf Freiwilligkeit. „Für mich steht außer Zweifel, dass geeignete Helme das Verletzungsrisiko von Radfahrern bei bestimmten Unfällen erheblich verringern können“, sagte der Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz. Er würde es aber bei einer Empfehlung statt einer neuen „erzieherischen Vorschrift“ belassen. „Abgesehen von zusätzlichem Bürokratieaufwand, den die Überwachung einer weiteren Verhaltensvorschrift im Straßenverkehr auslösen würde, sind sich die Experten grundsätzlich einig, dass man mit Verkehrserziehung und -aufklärung wesentlich mehr Akzeptanz erreicht“, sagte der Minister.

„Die Verkehrsminister sprechen sich mehrheitlich weiterhin für eine allgemeine Empfehlung zum Helmtragen aus“, sagte Meyer. „Vor diesem Hintergrund unterstützt die Verkehrsministerkonferenz auch die Aktivitäten des Bundes zur Steigerung der Quote an Helmträgern – insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.“ Auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat seine Ablehnung der Helmpflicht bereits bekräftigt. „Die Einführung einer Helmpflicht steht für mich derzeit nicht zur Debatte“, sagte der CSU-Politiker.