Von Idylle ist am Tag nach der Zerstörung des Wohnhauses in Itzehoe nichts zu spüren. Bewohner schildern ihre Eindrücke. Noch immer ist die Ursache für die heftige Explosion unbekannt.

Itzehoe. Eine friedliche Frühlingsstimmung liegt am Dienstag über Itzehoe. Doch von Idylle ist hier im östlichen Teil der Stadt nichts zu spüren. Überall erinnert Schutt und Absperrband an die Katastrophe vom Vortag, bei der vier Menschen starben. Und da ist dieses leise, penetrant auf und ab schwellende Heulen. „Das sind Rauchmelder, die unter dem Schutt vergraben immer noch Alarm geben“, erklärt ein Polizist. Sie fiepen seit Montag vormittag, als das Haus in der Schützenstraße in die Luft geflogen war. „Es sieht aus, als hätte es ein Sprengmeister akkurat heraus gesprengt“, meint ein Passant im Vorübergehen.

Das Viertel ist geprägt von engen Gassen mit zweigeschossigen Gebäuden, zum Teil aus der Gründerzeit, von denen einige liebevoll restauriert sind. Kriminelle hätten es in dieser Gegend schwer, denn das Polizeihochhaus liegt nur einen guten Steinwurf entfernt, und der Zoll hat seinen Sitz ebenso nah in der anderen Richtung.

Am Straßenrand parkende Autos sind von einer dicken Staubschicht bedeckt.

Doch in der Schützenstraße ist die Idylle zerstört. Das Haus Nummer 3 gibt es nicht mehr. Hier erhebt sich nur noch ein riesiger Schutthaufen. In den Nachbargebäuden sind viele Scheiben zerstört, Fensterrahmen hängen schief, die zerbrochenen Scheiben sind teilweise mit Plastikfolie zugeklebt. Am Straßenrand parkende Autos sind von einer dicken Staubschicht bedeckt, ihre Windschutzscheiben zum Teil eingedrückt von umherfliegenden Steinen, und zerbrochene Schieferplatten von umliegenden Dächern haben tiefe Furchen in den Lack gestanzt. Und überall Glassplitter und Scherben. Bei jedem Schritt knirscht es unter den Füßen.

„Es sieht aus wie im Zweiten Weltkrieg: Meine Oma hatte mir erzählt, wie es damals war. Jetzt kann ich es ein bisschen nachempfinden“, sagt Dirk Lindemann. Der junge Vater saß am Montag keine fünfzig Meter Luftlinie entfernt in seiner Dachgeschosswohnung, als die gewaltige Detonation seine Möbel erbeben ließ. Seine kleine Tochter sei erschrocken gewesen, habe kurz geweint. Dann habe die Dreijährige wieder weiter gespielt, als sei nichts geschehen. Nur am Abend habe sie nochmal darum gebeten: „Nicht wieder so laut bumm.“

Nicht so viel Glück wie die Lindemanns hatte Manuela Witt. Auch sie wohnte zwei Häuser von der Explosion entfernt. Die Steine seien durch die ganze Wohnung geflogen, hätten alles zerstört, erzählt sie. Die Nacht habe sie bei ihrer Schwester verbracht. Wie es weitergeht? Ein stummes Achselzucken.

„Für mich bedeutet das Neuanfang. Es geht ja nichts mehr.“

Ronald Dürr steht mit seiner Familie ebenfalls vor dem Nichts. Er war am Montag in Hannover auf Montage, als seine Frau ihn anrief. „Ich hab sofort alles stehen und liegen gelassen und bin zurück hierher“, sagt er. Jetzt steht er mit ein paar Taschen in der Hand auf der Straße, ist völlig erschöpft. „Wir durften uns ein paar Sachen aus der Wohnung holen“, erzählt er. „Wie es in seiner Wohnung aussieht? „Chaos, Bombe, da kann man nichts mehr machen“, sagt er. Und ergänzt nach einer kurzen Pause erschöpft: „Für mich bedeutet das Neuanfang. Es geht ja nichts mehr.“

Insgesamt durften nach der Explosion rund 100 Menschen nicht in ihre Wohnungen zurück. Zunächst müssen Statiker die Häuser begutachten, sagt eine Polizeisprecherin. Die Familien wurden teilweise in Hotels untergebracht.

Manche, die zurückkehren, um da Nötigste zu holen, erwartet ein Schlachtfeld. So zum Beispiel im gegenüber liegenden Haus Nummer 4. Dort sind Wände eingedrückt und Türrahmen aus der Mauer heraus gebrochen. „Es muss derartig gescheppert haben...“, murmelt ein Helfer. In der Küche liegt Obst verstreut auf dem Boden, die Gläser im Geschirrschrank sind zerbrochen, der Mülleimer umgekippt; im Wohnzimmer ist ein Heizkörper aus der Wand gerissen, eine Vase mit zertretenen Blumen liegt neben dem umgekippten Fernseher, und überall am Boden verteilt liebevolle Fotos von den Enkelkindern