Himmel hilf! Das denkt sicher so mancher Fußball-Fan vor dem Anstoß. Die Verbindung von Fußball und Glaube können Fans beider Parteien vor wichtigen Spielen auf Sylt erleben. Ein Pastor bietet Fußball-Gottesdienste zu den Spielen der deutschen Nationalmannschaft an.

Wenningstedt. 2006 gegen Italien, das war für Pastor Rainer Chinnow das größte Drama. „Das war schon der Hammer. Da gab es viele Leute, die traurig waren.“ Schlimm war das damals in Wenningstedt auf Sylt. „Am Tag danach gab’s gleich einen Trauergottesdienst“, schmunzelt Chinnow. Der 51-Jährige bietet seit 1998 eine besondere Form der Andacht: Fußballgottesdienste zu den Spielen der deutschen Nationalmannschaft bei Welt- und Europameisterschaften.

Angefangen hat alles, als Chinnow noch in Hamburg tätig war und im Konfirmandenunterricht HSV-Fans sitzen hatte. Wie konnte man die an die Kirche heranführen? Fußball und christlicher Glaube fanden so zusammen. Seine Fußballgottesdienste kamen auch bei Erwachsenen an. Die Idee sei gewesen, die Kirche weiter zu öffnen, auch für die Menschen, die nicht am Sonntag wie selbstverständlich ins Gotteshaus gehen. Dabei sei die Wenningstedter Kirche auch sonntags immer voll - ein verzweifelter Versuch, die Bänke zu füllen, sind die Gottesdienste nicht. Bunt gemischt sei das Publikum, sagt Chinnow, der in Kiel aufwuchs. Manche Stammgäste legten inzwischen ihren Urlaub so, dass sie mit Gottes Segen mitfiebern können.

Einst angefangen bei Bertis Buben, ist Chinnow – anders als die wechselnden Teamchefs und Bundestrainer – der Nationalmannschaft immer treu geblieben, seit 2011 hat er auch das Damenteam mit einbezogen. Zuletzt waren es „Silvias Gazellen“, deren Erfolge und Misserfolge biblisch hinterfragt wurden. „Die Frauen im Kirchenvorstand sagten, „so geht das nicht, nur für Männer...“.“ Die Gottesdienste beginnen jeweils eine Halbzeit vor dem Anpfiff, anschließend lädt Chinnow zum Public Viewing im Pastorat. Die Fußball-Gottesdienste sind kürzer als die normalen, 20 bis 30 Minuten. Ein Trainer- oder Spielerzitat ist der Ausgangspunkt. „Dazu muss sich eine biblische Geschichte finden. Wir versuchen, das humorvoll zu machen.“

Kirchenlieder, Lesung, Ansprache, Vater Unser – diese Bestandteile hat auch der Fußballgottesdienst. Auch ein Gitarrist ist mit von der Partie. Zum Spiel der deutschen Damen bei der Fußball-EM gegen Schweden dichtete er einen Text von Abba um, für das Finale gegen Norwegen wählte er fast schon prophetisch ein Lied von Sängerin Wencke Myhre: Statt „Er steht im Tor“ wurde „Sie steht im Tor“ gesungen – tatsächlich wurde Torhüterin Nadine Angerer mit zwei gehaltenen Elfmetern zur Siegesgarantin.

Mehr als 100 Besucher kamen Ende Juli anlässlich des Finales bei der Frauen-Fußball-EM in Schweden. Bemängelt niemand die Verquickung von christlichem Glauben und Fußballspaß? „Am Anfang gab es etwas Kritik“, räumt Chinnow ein. Aber der Zuspruch steigt, 2012 war er bislang am größten, und auch sonst habe die Kirchengemeinde Norddörfer, zu der Wenningstedt gehört, „ein buntes Gottesdienstprogramm. Die meisten finden das gut.“

Der 51-Jährige, der durch seine fußballbegeisterte Großmutter und seine Mutter vorbelastet ist, spielt auch selbst aktiv bei den „Himmlischen Kickern“, Pastoren und Kirchenmitarbeitern der Nordkirche, die für den guten Zweck antreten – auch schon mal gegen die Altliga des HSV: „Das war nicht so erfolgreich.“ Auf Sylt fehlt ihm, der einst eine Dauerkarte für St. Pauli besaß, das Stadionerlebnis.

Für seinen bislang letzten Fußball-Gottesdienst hatte er sich von Bundestrainerin Silvia Neid inspirieren lassen, die die Gegnerinnen aus Norwegen als intelligent und spielstark lobte. Lernen aus Fehlern - das war das Thema. Der Trauergottesdienst war dann nach dem gewonnen Finale nicht mehr nötig – Gott sei Dank!