Erstmals können Bürger eine Stromtrasse als Geldanlage nutzen und sich an der Finanzierung einer Westküsten-Leitung beteiligen. „Das wird dann unsere Energieversorgung revolutionieren“, so Altmaier.

Heide. Mit einem symbolischen Knopfdruck haben Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) am Freitag in Heide die erste „Bürger-Anleihe“ in Deutschland für eine neue Höchstspannungs-Stromleitung gestartet. Erstmals können Bürger am Bau und späteren Betrieb einer solchen Leitung verdienen. „Das Projekt hat Modellcharakter für ganz Deutschland“, sagte Altmaier.

Der Beginn der Zeichnungsfrist der Anleihe (bis Ende August) wurde mit einem Festakt gefeiert. Es handelt sich um die 380kV-Westküstenleitung zwischen Brunsbüttel und Niebüll an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. Der niederländische Netzbetreiber Tennet baut bis 2018 die 150 Kilometer lange Leitung, die künftig Windenergie aus dem Norden in den Süden transportieren soll. In der Planungsphase soll die Anleihe mit 3 Prozent und mit Beginn der Bauphase mit 5 Prozent verzinst werden.

Altmaier und Albig begrüßten das Projekt als Chance, dass die Menschen in der Region nicht nur die Lasten der Energiewende mit Windanlagen und neuen Stromleitungen tragen, sondern auch an der Wertschöpfung teilhaben. Altmaier hatte im November den Vorschlag für eine solche Bürgerdividende am Ausbau der Stromautobahnen gemacht und Tennet als erster Konzern die Idee aufgegriffen. Altmaier hofft, dass der weit hinter den Planungen liegende Ausbau der Stromautobahnen in Deutschland an Fahrt gewinnt. „Das wird dann unsere Energieversorgung revolutionieren.“

Er habe bereits Nachfragen zu solchen Bürgerbeteiligungsformen aus Japan und anderen Ländern. „Mit dieser neuen Beteiligungsform wird heute in Schleswig-Holstein Geschichte geschrieben“, sagte Altmaier. In anderen Bundesländern werden die Menschen seiner Meinung nach ebenfalls solche Beteiligungsformen nachfragen. Beide Politiker wünschten dem Projekt großen Erfolg.

„Ich glaube, dass es ein gutes, ein spannendes Projekt ist“, sagte Albig. „Es geht darum, dass die Menschen etwas davon haben.“ Zentral sei der Ansatz, dass die Bürger durch umfassenden Dialog an der Festlegung der Trasse beteiligt werden, die Notwendigkeit der Stromleitung als Lebensader der Energiewende begreifen und so die Akzeptanz steige. Es gehe nicht darum, Werbung für eine Kapitalanlage zu machen. Dies müsse jeder gründlich prüfen und für sich selbst entscheiden. Auch Tennet-Geschäftsführer Lex Hartmann betonte, nicht Akzeptanz kaufen, sondern die Menschen einbinden zu wollen im Interesse eines zügigen Netzausbaus für das Jahrhundertprojekt Energiewende.

Anleihen sind ab mindestens 1000 Euro möglich. Erwerben dürfen sie aber nur Bewohner und Grundstückseigentümer aus den Landkreisen Nordfriesland und Dithmarschen, durch deren Region die Leitung führen wird. Es handelt sich nicht um eine direkte Unternehmensbeteiligung, sondern um eine sogenannte Hybridanleihe der Tennet-Holding, die im holländischen Staatsbesitz ist, erläuterte eine Tennet-Sprecherin.

Hybridanleihen sind nachrangige Unternehmensanleihen mit Risiken. Bei der Insolvenz eines Unternehmens müssen die Besitzer von Hybridanleihen damit rechnen, ihr Kapital komplett zu verlieren, weil vorrangige Gläubiger zunächst bedient würden. Außerdem sind Hybridanleihen börsennotiert und können Kursschwankungen unterliegen. Auch der Zinssatz könne leichten Schwankungen unterliegen, so die Tennet-Sprecherin. Zudem hat das herausgebende Unternehmen das Recht, die Anleihe zurückzukaufen.

Tennet will freiwillig zehn Jahre lang auf den Rückkauf von Anleihen verzichten. Nach 20 Jahren werde Tennet aber höchstwahrscheinlich die Anleihen zum Ausgabewert zurückerwerben, sagte die Unternehmenssprecherin.

Die „Bürger-Annleihe“ wird maximal 15 Prozent der Investitionen für die Leitung betragen. Die Summe lasse sich nicht genau beziffern, da dies vom konkreten Trassenverlauf, der noch nicht genau feststeht, abhänge, erklärte die Tennet-Sprecherin. Im Schnitt kostet ein Kilometer Strom-Hochleitung etwa 1,4 Millionen Euro. Damit wären bei 150 Kilometern rein rechnerisch Investitionen von 210 Millionen Euro nötig. 15 Prozent von dieser Investitionssumme wären 31,5 Millionen Euro.

Schleswig-Holstein mit seinen windreichen Küstenregionen will bis 2020 etwa acht bis zehn Prozent des deutschen Strombedarfs decken. Nahezu die Hälfte des im Norden erzeugten Windstroms liefert die Westküste. Die künftige Höchstspannungsleitung gilt als Schleswig-Holsteins Hauptschlagader für die Energiewende. Immer wieder kann subventionierter Öko-Strom mangels Netzkapazität zurzeit nicht im Stromnetz weitergeleitet werden. Kritiker plädieren für eine Leitung unter der Erde, die zwar erheblich teurer wäre, aber dafür das Landschaftsbild nicht derart beinträchtigen würde.