Historischer Tiefstand bei der Kommunalwahl. Wirtschaft, Medien und Wissenschaft tragen nach Ansicht von schleswig-holsteinischen Politikern Mitschuld an Abwärtsspirale bei Wahlbeteiligung.

Kiel. Nach der schleswig-holsteinischen Kommunalwahl ist die Diskussion über die Ursachen der seit Jahrzehnten sinkenden Wahlbeteiligung neu entbrannt. Die Abwärtsspirale ist nach Ansicht des SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner nicht nur auf die Parteien und Wähler, sondern auch auf das Versagen von Medien, Wirtschaft und Wissenschaft zurückzuführen. Die sogenannten Eliten schauten teilweise sehr verächtlich auf die Politik, sagte Stegner am Montag.

Auch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Waltraud Wende (parteilos) und CDU-Landesgeschäftsführer Sven Müller kritisierten eine zu geringe Wertschätzung politischen Engagements und einen problematischen Umgang mit Politikern. Zudem seien die Schulen gefordert, die Bedeutung von Wahlen und Demokratie zu vermitteln – im Unterricht, aber auch als Orte von Mitbestimmung. „Das sind die richtigen Wege, dass man Demokratie lernt und Demokratie lebt in der Schule“, sagte Wende. Die Piraten starteten unterdessen im Internet eine Umfrage, um von Nichtwählern etwas über die Gründe ihres Wahlverzichts zu erfahren.

Bei der Kommunalwahl am Sonntag hatte die Wahlbeteiligung nur 46,7 Prozent betragen, ein neuer historischer Tiefstand. 1994 waren noch 70,5 Prozent zur Kommunalwahl im Norden gegangen. Stegner betonte das Ziel, dass in Zukunft wieder „mehr als die Hälfte wählen gehen, und dafür werden wir auch kräftig arbeiten“.

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Die Medien werden nach Ansicht Stegners ihrer Verantwortung nicht gerecht. Parteien und Politiker würden negativer beschrieben als sie sind, es gebe einen Hang in der Politikberichterstattung zur Dramatisierung und Boulevardisierung. In manchen Regionen des Landes würden Wahlkampfveranstaltungen nicht einmal angekündigt, geschweige denn über sie berichtet. Dabei sei Parteienstreit und Meinungswettbewerb Ausdruck von Demokratie. „Die Medien spielen eine Rolle, die sie besser, anders wahrnehmen müssen.“ Dies gelte auch für Wirtschaft und Wissenschaft. Die Parteien seien aber ebenso in der Pflicht. Sie müssten sich verstärkt neuen Formen öffnen. Die SPD habe das mit mehr Bürgerbeteiligung gemacht.

Als negativ für die Wahlbeteiligung bewertete Stegner, dass bei der Kommunalwahl in einem Teil der Gemeinden nur eine Wählerliste antrat. „Wo es nur Einheitslisten gibt, haben wir das Prinzip DDR“, kritisierte Stegner. Mit dem CDU-Landesvorsitzenden Reimer Böge habe er noch am Wahlabend vereinbart, etwas gemeinsam zu tun, „dass das nicht wieder vorkommt – man muss eine Alternative haben. Wählen gehen heißt auch: auswählen können.“

Angesichts des oft negativen Schreibens über Politiker in den Medien ist die rückläufige Wahlbeteiligung nach Ansicht von Ministerin Wende erklärbar: „Dann fragt sich der Wähler, warum er denn diesen Politiker wählen soll?“ Es gebe dann kein Vertrauen mehr in diese Person. Die Schule, aber auch Journalisten müssten erkennen und anerkennen, dass Menschen, die in die Politik gehen, eine wesentliche gesellschaftliche Aufgabe leisten.

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„Die Alternative zu einer Demokratie ist eine Diktatur, da brauche ich nicht mehr zu wählen, dann wird für mich entschieden. Ich glaube nicht dass wir mit Blick auf unsere Vergangenheit diese Alternative haben wollen“, sagte Wende. Überfällig sei eine gesellschaftliche Anerkennung, dass die sozialwissenschaftlichen Fächer genauso wichtig seien wie die Naturwissenschaften.

Der Landesvorsitzende der Piraten, Sven Stückelschweiger, meinte: „Es heißt jedes Mal: Das ist ein historischer Tiefstand – und es wird wieder diskutiert. Aber irgendwie passiert ja trotzdem nichts.“ Mit ihrer Umfrage bei Nichtwählern wollten die Piraten möglichst viel Input einsammeln. „Ein Punkt ist sicherlich das Wahlrecht. Es ist für Einzelkandidaten quasi unmöglich irgendwo reinzukommen.“