Historischer Tiefstand bei der Wahlbeteiligung in Schleswig-Holstein. Doch warum gehen immer weniger Bürger wählen? SPD-Landeschef Stegner sieht Medien, Wirtschaft und Wissenschaft in der Verantwortung.
Kiel. Die Abwärtsspirale bei der Wahlbeteiligung ist nach Ansicht des SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner nicht nur auf die Parteien und Wähler, sondern auch auf das Versagen von Medien, Wirtschaft und Wissenschaft zurückzuführen. „Die Leute, die Vorbildfunktion haben ins unserem Land, sind gefordert zu sagen: „Leute geht wählen„“, sagte Stegner am Montag. Bei der schleswig-holsteinischen Kommunalwahl am Sonntag hatte die Wahlbeteiligung nur 46,7 Prozent betragen, ein neuer historischer Tiefstand. 1994 waren noch 70,5 Prozent zur Kommunalwahl im Norden gegangen. Stegner betonte das Ziel, dass in Zukunft wieder „mehr als die Hälfte wählen gehen, und dafür werden wir auch kräftig arbeiten“.
Die Medien werden nach Ansicht Stegners ihrer Verantwortung nicht gerecht. Parteien und Politiker würden negativer beschrieben als sie sind, es gebe einen Hang in der Politikberichterstattung zur Dramatisierung und Boulevardisierung. In manchen Regionen des Landes würden Wahlkampfveranstaltungen nicht einmal angekündigt, geschweige denn über sie berichtet. Dabei sei Parteienstreit und Meinungswettbewerb Ausdruck von Demokratie. „Die Medien spielen eine Rolle, die sie besser, anders wahrnehmen müssen. Und das gilt auch für Wirtschaft und Wissenschaft – die sogenannten Eliten, die teilweise sehr verächtlich auf die Politik schauen, was ich überhaupt nicht angemessen finde“, sagte Stegner.
Die Parteien seien aber ebenso in der Pflicht. Sie müssten sich verstärkt neuen Formen öffnen. Die SPD habe das mit mehr Bürgerbeteiligung gemacht. Auch im Internet müssten die Parteien stärker präsent sein, „aber auf der anderen Seite ist das beste Mittel immer noch der Klingelknopf: Das heißt, an die Türen gehen, werben, fleißig sein.“ Positiv seien zudem Schülerpraktika, die beispielsweise die Landtagsfraktionen anböten.
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Als negativ für die Wahlbeteiligung bewertete Stegner, dass bei der Kommunalwahl in einem Teil der Gemeinden nur eine Wählerliste antrat. „Wo es nur Einheitslisten gibt, haben wir das Prinzip DDR“, kritisierte Stegner. Mit dem CDU-Landesvorsitzenden Reimer Böge habe er noch am Wahlabend vereinbart, etwas gemeinsam zu tun, „dass das nicht wieder vorkommt – man muss eine Alternative haben. Wählen gehen heißt auch: auswählen können.“ Es gehe auch um ein Stück Anerkennungskultur: Nicht nur bei der Feuerwehr, den Sozialverbänden und im Sport, sondern auch bei den Ehrenamtlichen in der Politik. „Da muss man auch mal loben. Das tun wir zu wenig.“
Das „Schwarze-Peter-Spiel“ passt laut Stegner nicht zur Problematik schwindender Wahlbeteiligung seit den 1990er Jahren. Viele seien gefordert. „Es ist keine Wählerbeschimpfung, aber man muss die Wähler auch nicht schonen. Leute, die sagen „ich habe heute keinen Bock, wählen zu gehen“, begreifen nicht, wie Demokratie funktioniert“, sagte Stegner und fügte hinzu: „Und schlechtes Wetter ist kein Argument. Das hindert ja viele auch nicht, zu Ikea zu gehen, dann kann man auch wählen.“
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Nach der Bundestagswahl im September komme der nächste richtige Test 2014 mit der Europawahl, die stets die schlechteste Wahlbeteiligung habe, „obwohl Europa ganz deutlich unsere Lebensbedingungen mitbestimmt und wir es uns überhaupt nicht leisten können, Europa die kalte Schulter zu zeigen“. Die SPD werde mit dem Sozialdemokraten und Präsidenten des Europaparlaments Martin Schulz erstmals europaweit einen Spitzenkandidaten haben. „Ein Gesicht kann hoffentlich zu einer höheren Wahlbeteiligung beitragen“, sagte Stegner.
Bei der Kommunalwahl am Sonntag hatten SPD und Grüne deutlich und die CDU geringfügig hinzugewonnen. Verlierer waren die FDP und die Linke, die Piraten spielten kaum eine Rolle. Laut vorläufigem amtlichen Endergebnis kam die CDU auf 38,9 Prozent (2008: 38,6) und blieb damit stärkste Partei. Die SPD erzielte 29,8 Prozent (plus 3,2). Die Grünen erhielten 13,7 Prozent (plus 3,4), die FDP 5,0 (minus 4,0) und der SSW 2,9 (minus 0,1). Die Linke schrumpfte auf 2,5 Prozent (minus 4,4). Die erstmals bei einer Kommunalwahl antretenden Piraten erreichten 1,6 Prozent, die freien Wählergruppen 4,8 Prozent (minus 0,3).