Die erste Woche für Azubis im Job. Ausbilder kritisieren mangelnde Deutsch- und Mathekenntnisse. 362 Jugendliche noch ohne Platz.

Kreis Pinneberg. Am zweiten und dritten Abend hatte Mohamed Moustafa, 17, das Gefühl, die Arme nicht mehr heben zu können. So anstrengend hatte der angehende Kfz-Mechatroniker sich den Einstieg in seinen Traumjob beim Halstenbeker Autohaus May & Olde nicht vorgestellt. Gleich am zweiten Tag durfte er ran an die edlen Karossen auf den Hebebühnen. Rein in die nagelneue Azubi-Arbeitshose, Schraubenschlüssel angesetzt - und los ging's mit dem ersten Ölwechsel.

Natürlich immer über Kopf und mit erhobenen Armen. "Solche Sachen durfte ich schon in meinem Praktikum hier machen", erzählt der Halstenbeker. Das war im Oktober 2010, und dann ging alles ganz schnell. Schon im November bot das Autohaus ihm einen Ausbildungsvertrag an. "Da bin ich am Telefon echt ausgeflippt", sagt der schmale Jugendliche. "Ich war der erste in meiner Klasse, der einen Ausbildungsvertrag hatte."

"Herr Moustafa hatte uns schon im Praktikum sehr gut gefallen, hatte es sogar freiwillig verlängert", sagt Hendrik Luther, Serviceleiter der May & Olde-Gruppe. Zumal der Hauptschüler nicht nur mit praktischem Geschick und angenehmen Umgangsformen, sondern auch mit guten Noten überzeugen konnte. "Ich bin total glücklich, komme echt gern zur Arbeit", sagt Moustafa. Und die langen Arbeitszeiten? Das frühe Aufstehen? "Ich finde es nicht anstrengender als Schule, ich brauche die Abwechslung."

Moustafa ist einer von 17 gewerblich-technischen und kaufmännischen Auszubildenden, die am 1. August bei der May & Olde-Gruppe angefangen haben. Und zu Recht stolz auf die Unterschrift unter seinem Vertrag. "Wir hatten 300 bis 400 Bewerbungen", so Personalchefin Tanja Turkus. Dabei sinke das Niveau der Bewerber weiter. "Gerade in Deutsch und Mathe wird es schlechter, das fällt auf", so die Personalchefin. Sie sieht die Ursachen dafür auch als Folge der modernen Kommunikationsmittel: "In Zeiten von SMS wird alles kleingeschrieben - in Bewerbungen geht das natürlich nicht."

Nach welchen Kriterien wird gesiebt? "Mindestvoraussetzung für die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker ist ein guter Hauptschulabschluss", antwortet Turkus. Noten sind aber nicht alles. Ausschlaggebend seien der persönliche Eindruck und Verantwortungsbewusstsein. "Wir haben hier teure Fahrzeuge in der Werkstatt", gibt Luther zu bedenken. "Den Auszubildenden muss klar sein, was für Werte sie da in der Hand haben."

Das Praktikum war auch für die Wedelerin Patricia Zimmermann, 20, und den Uetersener Abiturienten Timo Hobelsperger, 19, der Schlüssel zu ihren Ausbildungsverträgen. Sie lernt Friseurin im Salon Haarzeit, er hat - wenn alles glatt geht - als Dualer Student der VR Bank Pinneberg in drei Jahren nicht nur den Bankkaufmann, sondern auch den Bachelor-Abschluss im Studiengang Banking and Finance in der Tasche. Beide sind nach der ersten Woche begeistert vom Berufsalltag. Trotz der Rückenschmerzen nach zehn Stunden auf den Füßen im Salon. Trotz anspruchsvoller EDV-Schulung, trotz vieler neuer Gesichter in der Bank.

"Ich bin jeden Tag glücklich, dass ich hierher zur Arbeit gehen darf", strahlt Hobelsperger. "Ich bin froh, dass es jetzt endlich losgeht." Und das klingt nicht mal auswendig gelernt. Zwei neue Anzüge hat er sich für den Job geleistet, schwarz und dunkelblau. Und direkt losgelegt: Umbuchungen und Überweisungen durchgeführt, Kunden am Schalter bedient. Außer Hobelsperger haben vier angehende Bankkaufleute am 1. August ihre Ausbildung bei der VR Bank Pinneberg angetreten.

Und wie lief die erste Woche mit Kamm und Schere für Patricia Zimmermann? "Sehr gut. Natürlich war's anstrengend, aber das ist ja normal, dass man sich ausgepowert fühlt." Nach Höherer Handelsschule und einer abgebrochenen Ausbildung zur Bürokauffrau hat sie jetzt das Gefühl, angekommen zu sein. "Ich habe viel mit Menschen zu tun, kann mich bewegen, kann kreativ gestalten." Dafür nimmt sie die körperlichen Härten ihres Handwerks in Kauf.

Das schaffen nicht alle angehenden Friseure, die Abbrecherquote ist nach Erfahrungen von Zimmermanns Chefin Karina Essig, Obermeisterin der Friseurinnungen in den Kreisen Pinneberg und Steinburg, hoch. "Vielen jungen Leuten fehlt einfach das Durchhaltevermögen."

362 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz

362 Jugendliche sind im Kreis Pinneberg noch ohne Ausbildungsplatz. "Demgegenüber stehen aktuell 318 unbesetzte Stellen", erläutert Gerold Mellem, Sprecher der zuständigen Agentur für Arbeit in Elmshorn. Er empfiehlt den noch unversorgten Bewerbern, flexibel zu sein und nicht krampfhaft an ihrem Wunschberuf festzuhalten.

1394 Ausbildungsangebote wurden der Agentur für Arbeit, bezogen auf den Kreis Pinneberg, für 2011 gemeldet. "Das sind 26 mehr als im Vorjahr", berichtet Mellem. Dem steht ein - wenn auch geringer - Anstieg der Bewerber gegenüber: 1466 Heranwachsende meldeten sich ausbildungsplatzsuchend - sechs mehr als 2010.

"Wer jetzt noch nichts gefunden hat, sollte sich nicht auf eine Region beschränken, sondern mobil sein", empfiehlt Mellem. Und er oder sie sollte auch Flexibilität bei der Berufswahl beweisen. Häufig seien einzelne Branchen überlaufen - in anderen Bereichen dagegen würden Firmen händeringend auf geeignete Azubis warten.

Noch freie Ausbildungsplätze sind bei der Agentur für Arbeit zum Beispiel im Einzelhandel gemeldet. Gesucht werden etwa Bäcker, Fleischer sowie Verkaufspersonal. Auch in der Gastronomie - etwa in den Lehrberufen Koch beziehungsweise Restaurantfachfrau/mann - haben Bewerber noch gute Chancen. Ebenso wie in den grünen Berufen. So suchen Gartenfachbetriebe dringend Nachwuchs.

Aber auch in anderen Branchen hat die Arbeitsagentur noch freie Stellen. "In Pinneberg wird ein Zweiradmechaniker gesucht, in Tornesch haben wir drei Lehrstellen als Verpackungsmittelmechaniker offen", erläutert Mellem. In Wedel sowie in Pinneberg werden drei Azubis zum Hörgeräteakustiker gesucht, in Elmshorn wird eine Ausbildung als Orthopädiemechaniker angeboten, in Uetersen eine zum Papiertechnologen.

Die Agentur für Arbeit wird im Herbst eine Nachvermittlungsaktion für Jugendliche starten, die bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer ausgegangen sind. "Wir werden gemeinsam mit den Kammern auf die Betriebe zugehen und versuchen, so viele wie möglich unterzubringen", sagt Mellem. Auch werde sich seine Behörde um die Heranwachsenden kümmern, die zwar die Schule abgeschlossen haben, jedoch nicht ausbildungsreif sind. Mellem: "Wir bieten ihnen berufsvorbereitende Maßnahmen an oder vermitteln bei Bedarf auch Langzeitpraktika."

Die Handwerkskammer Lübeck meldet für den Kreis Pinneberg eine große Ausbildungsbereitschaft der Betriebe. "Uns sind 495 abgeschlossene Lehrverträge angezeigt worden, das sind 50 mehr als im Vorjahr", berichtet Ulf Grünke, Sprecher der Handwerkskammer. Nach seinen Angaben stehen die Chancen für Jugendliche, die noch keine Lehrstelle gefunden haben, noch gut. "Derzeit sind im Handwerk noch viele Lehrstellen unbesetzt." Das gilt jedoch eher weniger für die beliebtesten Stellen im Handwerk. Die meisten männlichen Jugendlichen wollen am liebsten Kfz-Mechatroniker werden, bei den jungen Damen ist das Friseurhandwerk am begehrtesten. "Weniger bekannt ist, dass wir sehr zukunftssichere Berufe im Gesundheitsbereich anbieten", sagt Grünke. Er verweist auf die Ausbildungsgänge zum Augenoptiker, Hörgeräteakustiker oder Orthopädiemechaniker.

Noch viele freie Ausbildungsstellen gibt es im Bäckerhandwerk. "Es sind offenbar immer noch die Arbeitszeiten, die abschrecken", vermutet der Sprecher der Handwerkskammer. Er kann das nicht verstehen. "Wir früh anfängt, hat auch früh Feierabend", hält er entgegen. Ein weiteres Vorurteil sei, dass Bäcker nur Teig kneten würden. Grünke: "Das stimmt nicht. Bäcker ist inzwischen ein Hightech-Beruf und technisch sehr anspruchsvoll."

Ulrich Grobe, Geschäftsführer der Zweigstelle Elmshorn der Industrie- und Handelskammer zu Kiel (IHK), beklagt die gestiegene Zahl schlechter Bewerbungen. "Viele strotzen vor Schreibfehlern und umgeknickten Ecken", sagt er. Zudem sei ein Großteil der Bewerbungen nicht aussagekräftig. Viele Jugendliche würden sich nicht mit der Firma, bei der sie anfragen, befassen, sondern einfach allgemeine Phrasen verwenden, die sie in der Schule gelernt haben. Grobe: "Bewerben kommt von werben. Wer schlecht für sich wirbt, der wird auch nichts."

Grobe empfiehlt den Jugendlichen, sich mit ihrer Bewerbung mehr Mühe zu geben. "Sie müssen deutlich machen, warum sie sich genau auf diese Position bewerben und warum es gerade dieser Ausbildungsbetrieb sein soll." Ganz wichtig sei auch, im Briefkopf den richtigen Ansprechpartner bei der Firma zu benennen und das Schreiben nicht einfach an "Sehr geehrte Damen und Herren" zu richten.

"Für Jugendliche, die in kaufmännisch-technische Berufe wollen, bieten die Industrie- und Handelskammern ein individuelles Bewerbungstraining an", wirbt Grobe. Interessenten sollten sich nach einer Terminvereinbarung persönlich in der Geschäftsstelle vorstellen und auch ihre Bewerbungsmappen mitbringen. Grobe: "Die kriegen von uns dann Klartext zu hören, warum es bisher nicht geklappt hat."