Kurz vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein ist nach einer neuen Umfrage eine der beiden Konstellationen wahrscheinlich.
Kiel. Schleswig-Holstein könnte nach der Wahl in gut zwei Wochen von einer Dänen-Ampel (SPD, Grüne, SSW) oder aber einer Großen Koalition (SPD und CDU) regiert werden. Nur diese beiden Bündnisse wären nach einer gestern veröffentlichten NDR-Umfrage derzeit rechnerisch wie politisch möglich. Zugleich schrumpfte der Vorsprung für das Trio aus SPD (32 Prozent), Grünen (13) und SSW (4) auf karge drei Prozentpunkte, weil die Meinungsforscher neben der CDU (31) und den Piraten (10) erstmals seit dem Herbst 2010 auch die FDP (5) wieder im Kieler Landtag sehen. Die Linke (2) müsste demnach ihre Koffer im Parlament nach zweieinhalb Jahren packen.
Die SPD reagierte sofort auf die neue Umfrage. "Der Regierungswechsel in Schleswig-Holstein ist in greifbare Nähe gerückt", meinte Parteichef Ralf Stegner und warb erneut für eine "stabile rot-grüne Koalition". Dieses Bündnis steht auf der Wunschliste des Wahlvolks mit 53 Prozent ganz oben, hätte derzeit aber keine Mehrheit (45 gegen 50 Prozent). Die CDU gab sich trotz des erneuten Verlusts (ein Prozentpunkt) nicht geschlagen. "Das Rennen bleibt offen", meinte Spitzenkandidat Jost de Jager. Die Dänen-Ampel habe nach der Umfrage nur eine wackelige Einstimmenmehrheit im Landtag. Die gleiche Schlachtlage hatte es 2005 gegeben. Damals war eine vom SSW geduldete rot-grüne Koalition gescheitert, weil Heide Simonis (SPD) bei der Wiederwahl zur Ministerpräsidentin durchfiel. Die Folge war eine Große Koalition.
Bei den Spitzenkandidaten setzte Torsten Albig (SPD) seinen Höhenflug fort. Der Kieler Oberbürgermeister baute seinen Vorsprung im Direktvergleich mit Wirtschaftsminister de Jager (CDU) nochmals aus (56 zu 32 Prozent) und löste sogar den scheidenden Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU) als beliebtesten Landespolitiker ab. Auf den Wahlausgang haben die Top-Werte für Albig, der auch im bürgerlichen Lager gut ankommt, aber nur einen geringen Einfluss. CDU und SPD liegen seit Monaten in der Sonntagsfrage nahezu Kopf an Kopf. Zwei von drei Schleswig-Holsteinern befürworten einen Regierungswechsel, wobei bei den Wunschkoalitionen nach Rot-Grün überraschend die bisher abgeschlagene Dänen-Ampel (49 Prozent) folgt. Mit einer Großen Koalition könnten 39 Prozent, mit einer Neuauflage der schwarz-gelben Regierung nur 23 Prozent gut leben. Für eine rechnerisch mögliche, aber politisch kaum vorstellbare Jamaikakoalition (CDU/FDP/Grüne) wies der NDR keinen Wert aus.
Im Landeshaus wurde bereits eifrig darüber spekuliert, wer bei den möglichen Regierungskonstellationen welche Spitzenposten besetzt. Bei der Dänen-Ampel ist die Personallage klar. Albig würde Ministerpräsident, Stegner bliebe Fraktionschef. Die Grünen bekämen als erster Juniorpartner zwei oder drei Ministerien, darunter als Schlüsselressort wohl das Finanzministerium. Für diesen Posten ist die grüne Finanzexpertin Monika Heinold als so gut wie gesetzt. Die gelernte Erzieherin ist über die Parteigrenzen hinweg anerkannt. Auf der grünen Wunschliste dürfte auch ein neues Energie- und Umweltministerium stehen, das Spitzenkandidat Robert Habeck besetzen könnte.
Der SSW als zweiter Juniorpartner hat durchblicken lassen, dass er sich in einer Dänen-Ampel nicht mit einigen Staatssekretären abspeisen lässt, sondern in der ersten Reihe mitregieren will. Im Visier hat der SSW auch das Schulministerium, das wie gemacht wäre für die SSW-Spitzenkandidatin und Lehrerin Anke Spoorendonk. Grüne und SPD schielen allerdings ebenfalls auf das Bildungsressort, wobei die SPD einen Trumpf im Ärmel hat. Britta Ernst, die Ehefrau von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, kämpfte 2009 im Schattenkabinett Stegners an der Schulfront, arbeitet derzeit als Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion und wäre als Ministerin in Kiel auch ein deutliches Signal für einen engeren Schulterschluss mit Hamburg. Albig, der von Scholz im Wahlkampf unterstützt wird, hält sich bisher allerdings auch in Personalfragen bedeckt.
Deutlich schwieriger für die Genossen wäre eine Große Koalition. Würde die SPD stärkste Partei, könnte Albig zwar regieren und Stegner die Fraktion führen. Die CDU würde aber mehr Kabinettsposten als Grüne und SSW fordern und könnte zumindest einen ihrer Schlüsselminister, Rainer Wiegard (Finanzen) oder Klaus Schlie (Innen), behalten. Ein Konflikt droht ums Schulressort, das die CDU für die frühere Hamburger Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig beansprucht.
Richtig rund dürfte es bei SPD gehen, falls die CDU am 6. Mai vorn liegt und eine Große Koalition mit de Jager als Regierungschef die einzige Machtoption ist. Dann würde Albig wohl nicht ins Kabinett gehen, wobei in der SPD zwei heikle Varianten diskutiert werden. Erstens: Albig übernimmt den Vorsitz der SPD-Fraktion, schiebt Stegner ins Kabinett ab und baut darauf, dass der SPD-Landeschef nach der ersten Großen Koalition in Schleswig-Holstein (2005-2009) nicht auch die zweite zerlegt. Zweitens: Albig könnte Oberbürgermeister von Kiel bleiben und die Landespolitik Stegner überlassen. Beide Varianten sind so konfliktträchtig, dass einige Genossen auf die Bundes-SPD hoffen. Stegner könnte nach Berlin wechseln und schon im Bundestagswahlkampf die umstrittene Generalsekretärin Andrea Nahles ablösen.