Wedel/Itzehoe. Keine Bewährungsstrafe für 23-Jährigen, der eine Seniorin in Wedel um mehr als 23.000 Euro erleichterte.
Die Hoffnung Semih P.’s (23), mit einer Bewährungsstrafe davonzukommen – sie zerplatzte am Dienstag wie eine Seifenblase. Der Hamburger, der in Wedel zweimal als falscher Polizist aufgetreten war, muss für zwei Jahre und zehn Monate in Haft. Das Schöffengericht Itzehoe sprach den 23-Jährigen unter anderem wegen Betrug in einem besonders schweren Fall für schuldig. Er muss für den Schaden von mehr als 23.000 Euro geradestehen.
Wedelerin führte Polizei auf die Spur des Angeklagten
Dass Semih P. seit dem 25. Januar in Untersuchungshaft sitzt, ist Margot H. (63) aus Wedel zu verdanken. Sie erhielt am Abend des 24. Januar den Anruf von zwei angeblichen Polizisten namens Grothe und Petersen. Die berichteten, dass in der Nachbarschaft der Wedelerin Mitglieder einer Einbrecherbande festgenommen worden seien, die einen Zettel mit der Anschrift der Frau bei sich führten. Da die Gefahr bestünde, dass andere Mitglieder der Bande nun bei ihr einbrechen könnten, sollte sie alle Wertgegenstände zusammensuchen und einem Polizeibeamten übergeben.
Margot H., die am ersten Prozesstag Mitte Juli ausgesagt hatte, roch den Braten. Sie machte sich zehn Jahre älter, behauptete, ledig zu sein und 11.000 Euro im Haus zu haben. Währenddessen alarmierte ihr Ehemann die echte Polizei.
„Wir waren bei Frau H., als ein Anruf kam, sie solle sofort vor die Tür gehen und die Sachen übergeben“, erinnerte sich Polizist Felix K. vom Kriminaldauerdienst Pinneberg. Die 63-Jährige sei mit einem Beutel voller Comichefte, die das Geld vortäuschen sollten, rausgegangen, sie hätten sich im Flur auf die Lauer gelegt. „Als sie ohne den Stoffbeutel zurückkam, sind wir rausgelaufen. Auf der Straße befand sich nur eine Person, den Stoffbeutel hatte sie in der Hand.“
Täter erbeuteten Schmuck, Bargeld, EC- und Kreditkarten
Bei der festgenommenen Person handelte es sich um Semih P., der laut dem Kripobeamten zunächst angab, Mustafa zu heißen. Weil seine Fingerabdrücke im Polizeicomputer gespeichert waren, konnte er jedoch zweifelsfrei identifiziert werden. Im Verlauf der Ermittlungen stellte sich heraus, dass der Angeklagte bereits am 8. Dezember mit der Masche erfolgreich war. Ebenfalls in Wedel hatten zwei angebliche Polizisten – in diesem Fall nannten sie sich Rode und Bieler – spätabends bei Marlene K. (83) angerufen und ihr mit der gleichen Geschichte große Angst gemacht.
So große, dass sie Semih P. drei Taschen an der Haustür übergab. Darin befanden sich mehr als 20 Schmuckstücke, darunter Ringe, Armreifen und Broschen, sowie Gold- und Silbermünzen, ein Besteckkasten und drei kleinere Goldbarren. Auch ihr Portemonnaie mit 700 Euro sowie EC- und Kreditkarte nebst den dazugehörigen Pin-Nummern befanden sich in der Tasche. Mit den Karten suchte der 23-Jährige in den nächsten Stunden zwei Banken auf und hob 3010 Euro ab. „Es klang ziemlich überzeugend“, hatte das Opfer vor Gericht ausgesagt – und von großer Angst berichtet. Im Nachhinein schäme sie sich, so Marlene K., auf den Trick hereingefallen zu sein.
Cousin soll den Angeklagten zu Taten überredet haben
Semih K. hatte sich bei den beiden Opfern entschuldigt und versprochen, den entstandenen Schaden wiedergutmachen zu wollen. Laut seinem Geständnis habe ihn sein Cousin Sena K. zu den Taten überredet. Er habe ihm angesichts der verwandtschaftlichen Bande den Gefallen nicht abschlagen wollen, auch habe er nach dem Tod seines Vaters Schulden angehäuft und täglich zu kiffen begonnen, was teuer gewesen sei.
Der 23-Jährige gab an, Sena K. habe ihm im ersten Fall berichtet, sich gegenüber der alten Dame als Polizist ausgegeben zu haben. Er habe gewusst, dass er mit der Abholung der Wertsachen eine Straftat begehe, habe einen Anteil von 500 Euro erhalten. Dass im Hintergrund eine Maschinerie lief und viele Leute in solche Taten involviert sind, sei ihm nicht klar gewesen. Bei der zweiten Tat habe Sena K. ihn angerufen und gebeten, für jemanden kurzfristig einzuspringen.
Am Dienstag ergänzte der Angeklagte seine Aussage dahingehend, dass sein Cousin ihn per Telefon aus der Türkei gelenkt habe. Er sei nach der ersten Tat zu einer Hochzeit in die Türkei geflogen, habe den Goldschmuck von Marlene K. dabeigehabt und vor Ort übergeben.
Gericht spricht von „hoher krimineller Energie“
Richterin Ulrike Dehning bescheinigte dem Angeklagten eine „hohe kriminelle Energie“. Ihm habe klar gewesen sein müssen, dass die Opfer erheblich unter Druck gesetzt worden seien, sonst würden sie nicht freiwillig mitten in der Nacht einem Fremden die Tür öffnen und ihm alle ihre Wertgegenstände übergeben. Mit dem Urteil ging das Gericht sogar zwei Monate über die Forderung von Staatsanwältin Thiel hinaus. Die war zudem der Meinung, der Angeklagte sei Mitglied einer Bande gewesen und habe gewerbsmäßig gehandelt. Das sah das Gericht als nicht gegeben an.
Die Verteidiger Alma Diepoldt und Rolf Becker hatten vergeblich für eine Bewährungsstrafe gekämpft. So hatte Diepoldt das „rückhaltlose und ehrliche Geständnis“ ihres Mandanten hervorgehoben und dass er seinen Cousin als Haupttäter gebrandmarkt habe. Ohne das Geständnis wäre zudem eine Verurteilung im Fall der ersten Tat nicht sicher gewesen. Marlene K. habe den Angeklagten nicht wiedererkannt, es gebe keine Fotos der Bargeldabhebung, lediglich Handydaten würden auf ihren Mandanten als Täter hinweisen. Vermutlich wird die Verteidigung Berufung einlegen.