Kreis Pinneberg. Jugendpfleger appellieren an Land und Bund, Jugendzentren wieder zu öffnen – um weiteren Schaden von jungen Leuten abzuwenden.

Kinder und Jugendliche brauchten jetzt dringend wieder soziale Kontakte, und zwar nicht nur in Kindertagesstätten oder Schulen, sondern auch in ihrer Freizeit. Der seit Monaten anhaltende Lockdown schade ihrer persönlichen Entwicklung. Das sagt Janina Broscheit von der Jugendpflege des Kreises Pinneberg. „Gerade Jugendliche sind in einer besonderen Lebenslage, in der sie selbstständig werden sollen – und das müssen sie auch können dürfen.“

Doch das sei im Moment nicht möglich, weil ihnen der soziale Umgang mit Gleichaltrigen in den Schulen und den 26 Kinder- und Jugendzentren des Kreises Pinneberg verwehrt ist.

Diese Einrichtungen sind seit Dezember allesamt für Besucher geschlossen und können nur Online-Angebote machen. Darum müsse der Stufenplan, den die Landesregierung Ende Januar als Perspektivplan zum Öffnungsszenario nach dem Lockdown vorgestellt hat, „geändert werden“, fordert die Kreisjugendpflegerin Broscheit. Jugendzentren müssten mit als Erste wieder offen und für die Kinder- und Jugendlichen erreichbar sein.

Perspektivplan der Landesregierung sieht Jugendzentren nicht vor

Nach dem Perspektivplan will die Landesregierung die Freizeittreffs für Kinder und Jugendliche erst in einem zweiten Schritt öffnen, und zwar nach Kitas, Schulen, Einzelhandel und Gastronomie – sofern der Inzidenzwert drei Wochen lang konstant unter 50 liegt. Was seit dem 17. Februar im Kreis Pinneberg der Fall ist.

„Offene Jugendarbeit geht nicht ohne persönlichen Kontakt“, unterstützt Maren Kallies vom Kinder- und Jugendzentrum (KiJuZ) Wedel diesen Appell der Kollegin Broscheit aus dem Kreishaus. Zwar versuchten sie und ihre Kolleginnen und Kollegen schon seit Beginn der Corona-Krise mit ihren Schließungen von März bis Mai 2020 und seit Dezember, ihre Klientel über die sozialen Netzwerke bei Laune zu halten. Doch das gelinge trotz guter Ansprache und zahlreicher Angebote über die Online-Portale Instagram oder Discord mehr schlecht als recht. Die Zahl der Jugendlichen, die sie dort mit ihren Spiel-, Bastel- und Chatangeboten erreichten, sei jedenfalls überschaubar.

Jugendliche sind noch verständnisvoll und verhalten sich sozial

Und zwischen den beiden Lockdowns hätten wegen der strikten Hygieneregeln nur jeweils fünf bis höchstens 15 Heranwachsende gleichzeitig in das Jugendzentrum reingelassen werden dürfen. Dabei hielten sich zu normalen Zeiten bis zu 80 Kinder und Jugendliche am Tag in dem KiJuZ auf, sagt Maren Kallies. Etliche Kinder, die anfangs noch vor der verschlossenen Tür gestanden hätten, habe sie wieder nach Hause schicken müssen.

Dabei seien diese Freizeittreffs für die Kinder und Jugendlichen jene Orte, „wo sie groß werden und Erfahrungen machen, die sie durchs Leben tragen“, sagt Martin Heller von der Stadtjugendpflege Wedel. Die Jugendlichen zeigten zwar noch viel Verständnis für die Einschränkungen und verhielten sich auch sehr sozial, lobte die Sozialpädagogin Kallies. „Aber sie sind ihres Hauses und ihrer Freizeitbeschäftigung beraubt worden.“

Diese Aussage bestätigte der 19 Jahre alte Jan-Christian Essig, der zu dieser Krisensitzung der Kreisjugendpflege per Videokonferenz zugeschaltet war. Zurzeit lerne er zu Hause am Bildschirm von 8 bis 15.30 Uhr für das bevorstehende Abitur. Danach wäre er sonst fast täglich ins KiJuZ gefahren, „das für mich ein stückweit ein zweites Zuhause gewesen ist“. An die 20 Stunden pro Woche habe er sich dort aufgehalten, klagte der Wedeler. „Da habe ich meine Freizeit verbracht, da ist mir mit Rat und Tat geholfen worden, und da habe ich meine Freunde getroffen“, berichtet der Abiturient. „Das ist jetzt alles weggefallen und auch digital nicht möglich.“ Zurzeit bleibe er meist allein. „Es gibt kaum Austausch mit anderen Jugendlichen.“

Wedels Bürgermeister unterstützt die Forderung

Darunter leiden die Kinder und Jugendlichen enorm, weiß Torsten Böttcher von der Stadtjugendpflege Wedel. So habe eine aktuelle wissenschaftliche Studie herausgefunden, dass jedes dritte Kind psychischer Betreuung bedarf. „Wir wissen, dass es ihnen nicht gut geht.“ Dies wird von der neuesten COPSY-Studie des UKE bestätigt, die im Dezember und Januar 1000 Kinder im Alter von elf bis 17 Jahren befragt hat und für die jüngeren 1600 Eltern. Demnach empfinden 85 Prozent der Kinder und Jugendlichen die Corona-Krise als „äußerst belastend“. Bei der ersten Befragung im Frühjahr 2020 lag dieser Wert noch bei 70 Prozent. Sieben von zehn Kindern sprechen von einer verminderten Lebensqualität, mehr als doppelt so viele wie vor der Corona-Krise. Jedes dritte Kind ist psychisch auffällig, so das Ergebnis der UKE-Studie.

„Wir brauchen jetzt dringend klare Absprachen, wann wieder aufgemacht werden kann“, unterstützt auch Wedels Bürgermeister Niels Schmidt die Forderungen der Jugendpfleger. Nicht nur für die Jugendzentren, sondern auch für den Vereinssport, der ebenso wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Leute sei, so Schmidt. „Offene Jugendarbeit ist Bezugsarbeit. Das kann man nur richtig machen von Angesicht zu Angesicht.“

Die Landes- und Bundesregierung dürften nicht die Inzidenzzahlen als einzige Richtschnur berücksichtigen, sondern müssten „auch die Kollateralschäden im Blick haben“, so der Wedeler Verwaltungschef. „Da ist bei den Kindern und Jugendlichen viel verloren gegangen.“