Wedel. Adventskalender, Maske 16: Andrea Hartmann ist die erste Seniorenassistentin in Wedel. Was das ist und was sie macht.

Dieses Jahr, sagt Andrea Hartmann, wird sie nie vergessen. Weil es so aufregend, so erfüllend, so belebend war. Seit März arbeitet die 53-Jährige in Wedel als selbstständige Seniorenassistentin – für sie nicht nur ein neuer Beruf, sondern eine Berufung.

Ursprünglich ist Andrea Hartmann gelernte Topf- und Zierpflanzenbaugärtnerin und Floristin. 30 Jahre arbeitete sie als Friedhofsgärtnerin in Norderstedt. Ein Job, der ihr lange Zeit durchaus Freude bereitete: „Gestecke und Kränze zusammenzustellen, das war schon schön. Und ich war immer im Gespräch mit den Menschen.

Zum einen mit den Kunden, und dann ja auch mit den vielen zumeist älteren Menschen, die regelmäßig zum Friedhof kommen. Mit manchen hat sich fast so etwas wie Freundschaft entwickelt. Das war wohl schon immer so mein Ding, dieser Kontakt zu Senioren.“ Doch es wurde „immer schwieriger“, erzählt sie. Sie hatte Probleme mit dem Chef, „und irgendwann wurde mir nahegelegt zu gehen.“

Neuer Job war wie eine Offenbarung

Doch wohin? „Ich habe ja immer nur in dem einen Job gearbeitet, ich konnte nichts anderes“, sagt Andrea Hartmann und zuckt mit den Schultern. Rechtschreibung und Rechnen seien nicht unbedingt ihre Stärke, ein Bürojob kam also nicht infrage. Dann tat sich eine neue Tür auf: Marcel Bauermeister, heute Leiter des Wedeler Seniorenbüros, hatte damals noch einen Verein für Alltagsbegleitung in Ahrensburg. Und er heuerte Andrea Hartmann an.

Der neue Job war für sie wie eine Offenbarung, und so beschloss sie, das Ganze professionell anzugehen: Sie machte eine Ausbildung zur Seniorenassistentin nach dem Plöner Modell. Hier werden in zwei Unterrichtsblöcken à 60 Stunden Grundlagen in Psychologie sowie aus den Bereichen Gesundheit, Rechtsfragen und Pflege vermittelt, dazu Methoden der Freizeitgestaltung mit Senioren.

Praktische Beispiele für die Alltagsbegleitung werden trainiert und reflektiert, und auch das Thema Selbstständigkeit – Buchhaltung, Werbung, Kundengewinnung und ähnliches – wird gründlich beleuchtet. „Das war schon hart für mich, ich habe nicht immer gleich alles verstanden“, gibt Andrea Hartmann zu. „Es ist mir wichtig, das zu sagen, denn: Wenn ich das geschafft habe, dann schafft das wirklich jeder!“ Doch sie stand ja nicht allein da: „Das ist das Tolle am Plöner Modell: Es gibt ein großes Netzwerk, da wird jedem geholfen.“

Freude am Umgang mit alten Menschen ist Voraussetzung

Vorkenntnisse brauche man eigentlich nicht, so Hartmann. Unerlässlich ist allerdings die grundsätzliche Freude am Umgang mit betagten Menschen, viel Empathie, die Fähigkeit zuzuhören und Geduld, „ganz viel Geduld“.

Das alles bringt Andrea Hartmann mit. Ihre Augen strahlen, als sie von „meinen Leutchen“ spricht, wie sie ihre Kunden nennt. „Die sind alle so lieb, am liebsten würde ich sie alle mit nach Hause nehmen“, schwärmt sie. Ihre Kunden sind viel mehr als nur Termine: „Das ist, wie wenn ich mit meiner Tante Ingrid einen Kaffee trinke.“

Mit manchen tut sie auch genau das: Kaffee trinken und schnacken. Mit anderen erledigt sie Einkäufe oder Arztbesuche, sie machen Spaziergänge, erledigen Bürokram, kochen oder backen zusammen. Sie hilft beim Aufräumen, und manchmal kann sie sogar die Kenntnisse aus ihrem alten Beruf nutzen: „Ich habe eine Kundin, die liebt Blumen. Wir machen zusammen Sträuße und Gestecke. Und bei anderen mache ich auch mal den Garten.“ Ihre Ausrüstung – Latzhose, Strohhut und Gummistiefel – hat sie immer im Kofferraum.

Viel Zeit für persönliche Gespräche

Das Schönste sei, dass sie als Selbstständige ihre Zeit frei einteilen könne. „Die Pflegedienste sind sehr eng getaktet, da bleibt kaum Zeit für ein persönliches Gespräch“, sagt sie. „Wir Seniorenassistenten haben den Luxus, unsere Zeit auf die Senioren frei zuschneiden zu können.“ Wer ihre Dienste privat bezahlt, kann selbst entscheiden, wie viel Zeit Andrea Hartmann mit ihm verbringen soll. Bei denjenigen, die eine Pflegestufe haben, übernimmt die Kosten die Krankenkasse. Marcel Bauermeister vom Seniorenbüro erklärt: „Ab Pflegegrad 1 wird eine Haushaltsunterstützung automatisch bewilligt.“ Man müsse nur einen entsprechenden Antrag stellen.

Zumindest theoretisch gibt es dann Hilfe. Denn wie überall im Pflegebereich mangelt es auch hier an geeigneten Kräften. „Die Warteliste ist riesig“, so der Chef des Seniorenbüros. Denn bislang ist Andrea Hartmann die erste von insgesamt nur zwei Seniorenassistentinnen in Wedel.

Ausbildung wird vom Land gefördert

Doch es gibt zumindest etwas Licht am Ende des Tunnels: Drei weitere haben just vergangenes Wochenende ihre Ausbildung beendet und bekommen nun von Bauermeister Unterstützung für die landesrechtliche Anerkennung, die Voraussetzung dafür ist, dass die Seniorenassistenten ihre geleisteten Stunden über die Krankenkasse abrechnen können. Im Februar, so schätzt Bauermeister, können sie mit ihrer Arbeit beginnen.

„Ich hätte aber gern noch viel, viel mehr Alltagsbegleiter“, sagt er. Und macht die Ausbildung schmackhaft: Von den etwa 1800 bis 1900 Euro, die sie kostet, kann das Land Schleswig-Holstein die Hälfte übernehmen. Das bedeutet freilich im Umkehrschluss, dass angehende Seniorenbegleiter mindestens 900 Euro in ihre Zukunft investieren müssen.

Die sie aber schnell wieder verdient haben können: 30 Euro sei der Standard-Stundensatz, der abgerechnet werden könne, bei Menschen, die Grundsicherung beziehen, sind es lediglich 21 Euro. Letzteres ist zumindest finanziell gesehen weniger attraktiv, „aber es muss da eine ganz klare Vereinbarung geben, dass Menschen am Existenzminium auch in den Genuss der Hilfe kommen können“, betont Bauermeister. Wer also die Unterstützung der Stadt bei der Ausbildung möchte, muss sich verpflichten, auch Menschen mit Grundsicherung zu betreuen.

Ein Brief rührt sie zu Tränen

Am 17. Dezember lüften wir diese Maske.
Am 17. Dezember lüften wir diese Maske. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Für Andrea Hartmann ist diese Betreuung ein gegenseitiges Geben und Nehmen: „Ich nehme am Privatleben meiner Kunden teil, und sie an meinem. Ich nehme so viel mit.“ Alle sind ihr ans Herz gewachsen, das wird überdeutlich. Sie erzählt von Geschenken, die sie erhalten hat. Von Gesprächen, die sie berührt haben. Von der Dankbarkeit der Senioren, die ihr so viel bedeutet: „Einmal habe ich von einer Kundin einen Zettel bekommen, nichts Großartiges, fast nur ein Schmierzettel. Doch darauf stand: ‚Jeder Mensch braucht einen Engel. Ich habe einen und sage danke.“ Als sie daran denkt, hat sie Tränen in den Augen.

Auch für Holger Hadler ist Hartmann „sein Engel“. Das erzählt er strahlend, als wir ihn besuchen. Der Senior ist ein alteingesessener Wedeler – nein, Schulauer. Diese Unterscheidung ist ihm wichtig. Er erzählt von früher, von dem alten Wohnhaus der Familie und seiner Großmutter, die im runden Turmzimmer saß und im Ofen Bratäpfel machte. Von seinem Boot „Piefke“, vom alten Tonnenhafen, der irgendwann dem Yachthafen gewichen ist. „Alles, was ich über Wedel weiß, weiß ich von Opa Harder“, sagt Hartmann.

Gern unternehmen die beiden zusammen Spaziergänge. Heute ist allerdings etwas anderes an der Reihe: Holger Hadler ist gerade in ein Seniorenwohnheim umgezogen. Vieles ist schon verstaut, doch einiges muss noch sortiert werden. Und gefunden: „Ich habe keine Ahnung, wo die Geschirrtücher sind“, beklagt er sich. Doch die werden sich gewiss bald finden. Schließlich ist jetzt Andrea da.