Wedel. „Es geht immer vorwärts, nie rückwärts“, sagt Hannes Grabau zwar. Aber ohne Zuschüsse wird’s langsam eng für das Wedeler Theaterschiff.

Die schlohweißen Haare reichen Hannes Grabau schon über die Schultern. „Ich schneide sie erst wieder, wenn wir wieder Theater spielen können“, sagt der „Kapitän“ des Theaterschiffes „Batavia“. „So lange lasse ich sie wachsen, damit jeder sehen kann, wie lange das hier schon dauert.“ Das hier – das ist die Corona-Pandemie. Die letzte Vorstellung im Unterdeck des Wedeler Kulturdampfers fand am 13. März statt. Wann es weitergehen kann, ist völlig offen – während des Winterhalbjahres gewiss noch nicht, denn für die 14 Tickets pro Veranstaltung, die er verkaufen dürfte, lohnt die Öffnung nicht. Konzerte und Lesungen in der Kneipe auf dem Oberdeck können nur im Mini-Format stattfinden, das Kleinkunstfestival musste ganz abgesagt werden. Kurz: Es ist kaum noch Wasser unter dem Kiel der Batavia.

Um dennoch irgendwie über die Runden zu kommen, hat sich das Team viele neue Ideen vor allem für den Frischluft-Betrieb ausgedacht. Es sind nicht nur die finanziellen Probleme, die Grabau zu schaffen machen. Ihm fehlt das Theater, die Musik. Wehmütig streicht er über die roten Samtsessel im Unterdeck, rückt ein Bild zurecht, bevor er die Lampen wieder löscht. „Gerade jetzt bräuchten wir doch die Kultur, die uns Mut macht, die uns Hoffnung gibt“, sagt er traurig. Jammern möchte er trotzdem nicht, schon gar nicht aufgeben: „Alles wird wieder gut. Da bin ich sicher.“

Wird alles wieder gut? Grabau will nicht über Zahlen sprechen, auch nicht darüber, wie lange die „Batavia“ noch ohne Zuschüsse durchhalten kann. Die scheint es zumindest in näherer Zukunft nicht zu geben: Gerade am Mittwoch kam die Nachricht, dass der Kreiskulturverband Pinneberg neue Corona-Hilfen für Kulturbetriebe bereitstellt – allerdings nicht für private Theater, worauf Grabau gehofft hatte. Er wirkt getroffen, fast verzweifelt, als er das erzählt.

Doch nicht lange. Der mittlerweile 80-Jährige (würde keiner glauben, der es nicht weiß) ist niemand, der die Hände in den Schoß legt. Im Sommer hatte die „Batavia“ eine neue Verschalung für den Aufbau bekommen, aus den alten Brettern hat er Tische gezimmert, die nun auf dem Platz vor dem Schiff stehen. Weitere sollen dazukommen, Material hat Grabau noch genug, und Lust zu basteln sowieso immer. Außerdem gibt es da das Zelt, in dem vor Kurzem noch Pippi Langstrumpf über die Bühne hüpfte und das noch stehenbleiben soll. „Wir machen ein Knusperzelt daraus“, sagt Grabau mit fast spitzbübischem Lächeln. „Ich habe jede Menge Deko von Hänsel und Gretel. Das wird richtig gemütlich, es wird beheizt, es gibt Decken, und vor dem Zelt machen wir Feuer im Feuerkorb.“ Auch Boßel-Events für Betriebe für bis zu 20 Personen möchte er anbieten: „Wir bereiten den Bollerwagen mit allem Drum und Dran vor. Die können dann zwei, drei Stunden boßeln gehen, danach gibt es Grünkohl oder Erbsensuppe im Knusperzelt.“

Doch auch wenn das Wetter halbwegs mitspielt (und es nicht wieder zu Kontaktverboten oder Schließungen kommt), wird der Umsatz wohl überschaubar sein: Wegen der Abstandsregelungen können lange nicht so viele Gäste zusammenkommen, wie das früher der Fall war. Schon gar nicht im Inneren, auch wenn die „Batavia“-Kneipe über eine gute Belüftungsanlage verfügt: „Hier kommt frische, beheizte Luft aus der Marsch herein“, sagt er und deutet auf eine schwarze Klappe unter einer Bank, dann nach oben in die Ecke: „Und da wird die alte Luft abgesaugt.“ Dennoch darf er nur an fünf der Tische Gäste setzen, und auch da nicht bunt gemixt. „Bitte, bitte, bitte, buchen Sie keine Einzeltickets, sondern am besten in Vierergruppen“, fleht er. „Wenn jemand ein Einzelticket kauft, darf ich niemanden dazusetzen. Dann wären wir mit fünf Karten ausverkauft…“ 20 Gäste dürfen es maximal sein.

Im Februar 2022 existiert die „Batavia“ seit 50 Jahren

Und auch das ist natürlich nichts im Vergleich zu dem, was vor Corona war. „Bei einem Konzert hatten wir oft volles Haus. Der Künstler oder die Kapelle bekam den Eintritt, wir haben Umsatz mit der Bewirtung gemacht. Das konnte man immer gut planen, wir haben ja Erfahrungswerte. Jetzt wissen wir gar nichts.“ Zum Beispiel, wie die Oktoberfestwoche (21. bis 30. Oktober) laufen wird. Es ist die 41., und dieses Jahr ist alles anders: keine Musik, kein Tanz, kein Geschunkel. Dafür aber Schmankerln wie Wiesn-bier, Leberkäse oder Radi – entweder in der Kneipe oder auch an der frischen Luft. Für bis zu acht Personen kann zudem der „Salon“ im Bug des Schiffes gebucht werden: ein kleiner Raum mit blankpoliertem Tisch, aus dem man durch die Fenster in die Marsch blickt.

Es tut Hannes Grabau im Herzen weh, dass in der Batavia nun so wenig Leben ist. „Ich habe das ja alles mit meinen eigenen Händen aufgebaut“, sagt er. Jedes Bild, jeder Tampen, jeder Kerzenleuchter habe eine eigene Geschichte. Nach bald 50 Jahren – im Februar 2022 hat Hannes Grabau das halbe Jahrhundert voll – hat das Theaterschiff viele Stammgäste, Freunde und Unterstützer. Privatpersonen, die mal etwas spenden, und auch Unternehmen, die helfen: Eine Wedeler Firma habe dieses Jahr neue Fenster spendiert, eine Pinneberger Firma hat den Aufbau übernommen. „Es ist wunderbar, wir bekommen viel Hilfe“, sagt Grabau. Die Kosten für die Instandhaltung des Schiffes, des Lagers und der Werkstatt sind dennoch hoch.

Doch es geht ihm nicht nur um sein Schiff, das mit Kindertheater, Kino, Konzerten, Kabarett und Lesungen ein „kulturelles Gesamtkonzept“ ist, wie er sagt. Seine zwei Festangestellten sind – nach dem Ende des Kindertheaters – jetzt wieder in Kurzarbeit. Noch viel schlimmer ist aber die Situation für die Künstler, sagt der Batavia-Chef: „Gerade die Solokünstler haben gar nichts mehr, keine Auftritte, keine Unterstützung. Dabei haben viele von ihnen auch Familie, Kinder, müssen Miete bezahlen.“ Im Sommer hatte er eine kleine Bühne draußen aufgebaut, in der Pause ging der Hut rum. „Viele Künstler haben mir gesagt, das wäre die erste und einzige Einnahme seit März.“

Trotz all der derzeitigen Schwierigkeiten blickt Hannes Grabau mit Mut in die Zukunft. „Es geht immer vorwärts, nie rückwärts“, sagt er. Zurück blickt er derzeit dennoch: Über seine ersten 15 Jahre mit der „Batavia“ schreibt er gerade ein Buch. Im Dezember soll es erscheinen.