Pinneberg. FC St. Pauli-Ikone gab eine Trainingseinheit – und verriet, welchen Club er nächstes Jahr in der Bundesliga sieht.

„Jeder läuft hier, keiner steht.“ Klar und mit fester Stimme hallen die Anweisungen über den Rasen. Da gibt einer Kommandos, denen jahrelang internationale und nationale Fußball-Asse gehorchten. Das ist an diesem Abend im Stadion an der Fahltsweide jederzeit zu hören, zu sehen und zu spüren. Erschöpft, aber dankbar sinken die Landesliga-Fußballer des VfL Pinneberg nach 75 Minuten zu Boden. Vom Treffen mit dem früheren Bundesliga-Spieler und Fußball-Lehrer André Trulsen, der als Gast das VfL-Training leitete, werden sie eines Tages ihren Enkeln erzählen.

Noch heute bedeuten Trulsens 177 Erstliga-Spiele Vereinsrekord beim FC St. Pauli. In der zweiten Liga absolvierte der Vorstopper 178 Partien für die Kiez-Kicker. Bei seinem Abstecher zum 1. FC Köln kam er auf 32 Einsätze in der Eliteklasse. 2001 wählten ihn die Leser der „Bild“ zu Hamburgs Fußballer des Jahres. Nicht enden wollende Sprechchöre begleiteten sein letztes Spiel für „Pauli“ am 28. Mai 2005 gegen den KFC Uerdingen, schreibt Wikipedia. „André Trulsen, Fußball-Gott.“ So bedankten sich die Fans für einen stets ehrlichen Job auf und sein Auftreten frei von Allüren neben dem Feld. Nicht das geringste Skandälchen trübte diese Karriere. Ein Fußballer mit Seele, der sich bei Benefizveranstaltungen einbringt, ins Herz geschlossen von Zigtausenden.

Ein Anruf genügte, und Trulsen kam

Zu denen zählen jetzt auch die Pinneberger. Routinier Aleksandar Pavlovic (32), der im FC St. Pauli von der Pampers-Liga bis zur A-Jugend alle Altersklassen durchlief, kann es kaum glauben, dass er seinem Idol von früher (fast) hautnah begegnet. „Ein Mega-Erlebnis.“ Möglich gemacht hat es VfL-Trainer Marc Zippel, der einst wie „Truller“ für den SV Lurup spielte und dessen Sohn Tobias (früher Blau-Weiß 96) bei Nikola Tesla trainierte. „Ein Anruf genügte, und André war sofort bereit, mir diesen Freundschaftsdienst zu leisten.“ Denn da gibt es nicht nur den Spieler, sondern auch den Trainer Trulsen. Der ist seit Juli 2020 auf Jobsuche, nachdem der FC St. Pauli seinen Vertrag als Co-Trainer (von Jos Luhukay) nicht mehr verlängerte. Davon hat sich der 56-Jährige gut erholt, so scheint es. Frisch und fordernd wirkt er, wenn er immer vier VfL-Spieler auf einmal mit dem Ball am Fuß zu einem bestimmten Punkt auf dem Rasen schickt, wo alle aufpassen müssen, dass sie sich nicht über den Haufen laufen. So schärft Trulsen den Blick für den Mitspieler und den Nebenmann auf engem Raum bei gleichzeitiger Ballkontrolle. „Inspirierend. Ich habe viel gelernt“, staunt Marc Zippel. Stürmer Dimitrios Kokaridas hält die Übungen mit seiner Handy-Kamera fest und ärgert sich. „Corona-Impfung, Sportverbot. Zu schade, dass ich nicht mitmachen darf.“ Trulsen taut auf. „Es ist ein Spaß, endlich wieder auf dem Platz zu sein.“

Bei „der dritten Halbzeit“ mit Erfrischungsgetränken fehlt dann keiner, auch Florian Holstein aus dem Fußball-Vorstand nicht, der den ganz besonderen Gast bei der Begrüßung mit einem VfL-Schal und einem Vereinswimpel bedenkt. Trulsen gibt Anekdoten zum Besten. Wie er dreimal mit dem FC St. Pauli in die Bundesliga aufstieg und den Erzrivalen HSV am 2. Dezember 2001 mit einem Kopfballtreffer und einem verwandelten Elfmeter beinahe um den Derbysieg (4:3) gebracht hätte. Wie Uli Hoeneß den FC Bayern München 2003 zum „Retterspiel“ am Millerntor antreten ließ, den Kiez-Club damit möglicherweise vor dem finanziellen Ruin bewahrte und so Trulsen Respekt abnötigte. „Das hat er nicht aus Imagegründen gemacht, sondern weil er helfen wollte.“ Wie er 2011 als Co-Trainer der TSG Hoffenheim einem gewissen Roberto Firmino das Rüstzeug zum Weltstar mit auf den Weg gab und wie sehr er sich in seiner Arbeit bestätigt sah, als der Brasilianer 2019 mit dem FC Liverpool die Champions-League gewann.

Bald will Trulsen bei einem Punktspiel zuschauen

Alle sind längst beim Du, als Trulsen im Auto von Marc Zippel die Heimfahrt antritt. Mit Lob für die Pinneberger („Toller Teamgeist, das ist mein Eindruck.“) und nicht, ohne ein Versprechen abgegeben zu haben. „Ab sofort schlage ich in der Zeitung mit als Erstes die VfL-Ergebnisse nach. Und dann werde ich mich bei einem Punktspiel davon überzeugen, ob mein Besuch wirklich so motivierend gewesen ist, wie die Jungs jetzt behaupten.“

Noch lieber wäre den Pinnebergern allerdings, Trulsen ließe sich einige Zeit nicht mehr blicken. Das hieße nämlich, dass der gebürtige Hamburger und gelernte Industrie-Kaufmann wieder im Profi-Fußball tätig geworden ist. „Es gibt lose Kontakte, aber ein konkretes Angebot liegt noch nicht vor“, verrät der „Star zum Anfassen“ (vor Corona). Wären auch die Regionalliga oder die Oberliga für ihn interessant? „Wenn sportliche Ambitionen vorhanden sind, schließe ich das nicht aus.“

Im Frage- und Antwortspiel nach der Zukunft der beiden Hamburger Clubs in der 2. Liga wählt Trulsen seine Worte mit Bedacht. „Zu den acht, neun Teams, die aufsteigen können, zählen der FC St. Pauli und der HSV“, sagt er. Und ergänzt: „Aber eben auch noch etliche andere.“