Elmshorn. Beim AC Einigkeit gibt es keine Flüchtlingsdebatte. Der Vorsitzende Hartmut Rex spricht über gelungenes Miteinander der Kulturen
Seit 66 Jahren gehören sie zusammen, der 124 Jahre alte Athleten Club Einigkeit Elmshorn und der 73-jährige Hartmut Rex. Es war 1951, als seine Lehrerin Frau Wittke Hartmut Rex und seinen Freund Siegfried Brehm, zwei kleine Raufbolde, dem Boxverein anvertraute. Beide sind noch immer Mitglied. Hartmut Rex, pensionierter Mitarbeiter der AOK in Pinneberg, steht seit 1974 als Vorsitzender an der Spitze.
Er ist somit auch für die Wandlung und Öffnung des Traditionsvereins verantwortlich, der schon den ersten Gastarbeitern eine neue sportliche Heimat bot. Und er hat vor allem seit den 70er-Jahren Zuwanderern und Flüchtlingen entscheidend geholfen, damit sie in Deutschland, in Schleswig Holstein und in Elmshorn ankommen konnten.
Jetzt, in Zeiten, in denen Integration das beherrschende Thema in Deutschland geworden ist, kann Hartmut Rex deshalb allen zurufen: „Wir bei Einigkeit reden und diskutieren nicht über Integration. Wir leben sie. Und das seit mehr als 50 Jahren“. Wie und mit welchen Erfolgen das gelingt, darüber sprach das Hamburger Abendblatt mit dem Vereinschef und Vorbild für erfolgreiche Integration.
Herr Rex, die Frage, die unser Land zurzeit am stärksten aufwühlt heißt: ,Können wir die vielen Flüchtlinge überhaupt integrieren?’ Was das Willkommen und das Miteinander von jungen Sportler aus unterschiedlichsten Ländern betrifft, sind doch bei Einigkeit die Fachleute. Was ist Integration für Sie?
Hartmut Rex: Im Augenblick vor allem viel Gerede. Für mich und für uns hier ist das einfach ein vernünftiges, ein menschliches Miteinander. Wir treiben zusammen Sport und wir freuen uns zusammen, wenn wir besser werden und Erfolge haben.
Aber wie sieht das in der Praxis aus?
Schauen Sie, drüben am Sandsack: Das ist Hatchatur, inzwischen 22 Jahre alt. Der war elf, kam aus Armenien und war erst drei Tage in Elmshorn, als er schon beim Training auftauchte.
Die ersten Worte, die der in Deutsch gelernt hat, waren Aufwärtshaken, Kopfhaken, Bauchtreffer. Deutsch spricht der Junge längst perfekt. Er hat eine Ausbildung als Sport- und Fitness-Kaufmann gemacht, hat 85 Kämpfe für uns bestritten, hilft inzwischen auch als Trainer und vor allem, er fühlt sich als Elmshorner.
Können Sie sich noch an den ersten Ausländer im Verein erinnern?
Natürlich, das war Dimitros Tsusis, ein Grieche. Das war 1960, als die ersten Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Massiven Zulauf von jungen Türken haben wir Anfang der 70er Jahre bekommen. Vor allem Aydin Yücel brachte nicht nur seinen kleinen Sohn Zekeriya, sondern viele Jungen zu uns. Er war der Imam, der Geistliche der Muslime, in Elmshorn.
Und Zekeriya Yücel, der Sohn, war der erste Türke, der einen Landesmeistertitel für Einigkeit erkämpfte?
Ja. Und ich kann mich auch noch gut an seinen ersten Kampf erinnern. Der Kleine war acht Jahre alt, er wog 24 Kilo. Als er seinem Gegner einen auf die Nase haute, fing der an zu weinen. Zekeriya ist zu ihm gelaufen, hat ihn in den Arm genommen und mit ihm geweint. Die Zuschauer haben gelacht und geklatscht, beide bekamen dann eine Tafel Schokolade.
Ist Zekeriya Yücel nicht auch das beste Beispiel für gelebte Integration bei Einigkeit?
Natürlich. Er war viele Jahre unser Cheftrainer. Aktuell ist er Sportwart, noch Trainer dazu. Und seit er sein eigenes Gym in Elmshorn betreibt, können unsere Kämpfer zusätzlich dort trainieren. Übrigens, in seinem Gym und auch bei uns in der Olympiahalle wird nur Deutsch gesprochen.
Inzwischen haben bis zu 70 Prozent ihrer aktuellen Boxer einen Migrations-Hintergrund. Hat das den Verein verändert?
Nein, im Grunde nicht. Zum Boxen kommen Menschen, die Hunger nach Anerkennung haben. Und Erfolg im Ring bringt Anerkennung. Das hat in den 50er-Jahren verstärkt für uns Deutsche gegolten, und das gilt jetzt für viele Flüchtlinge. Und wie damals findest du auch heute im Sport und im Ring Freunde fürs Leben.
Aber die Deutschen, so hört man häufig, seien längst zu verweichlicht für den Kampf mit den Fäusten.
Unser erfolgreichster Kämpfer des letzten Jahres ist Max Degenhardt. Der boxt für Hamburg in der Bundesliga.
Und sein Großvater war der Liedermacher Franz Josef Degenhardt. Woher kommt denn bei so einem jungen Mann der Hunger nach Erfolg?
Das müssen sie ihn selber fragen. Max hat einen unbändigen Siegeswillen, das weiß ich.
Sie trainieren noch Kinder und Jugendliche. Wenn die zuschlagen, bekommen Sie dann nicht oft Probleme mit den Müttern?
Das kommt vor. Mir ist es am liebsten, wenn die Mütter nicht in der Halle sind. Denn ihre Kinder wollen kämpfen, auch wenn es Mal eine blutige Nase gibt.
Ist es nicht auch Tatsache, dass in den Box-Siegerlisten immer seltener deutsche Namen auftauchen?
Aber das ist doch längst in vielen Sportarten so. Sie brauchen sich doch nur die Nachwuchs-Auswahlmannschaften des DFB anzuschauen.
Bei aller Offenheit und Freundschaft, gibt es nicht auch kulturelle und religiöse Schwierigkeiten bei der Integration? Was ist, wenn eine Boxmeisterschaft in den Ramadan, den Fastenmonat der Muslime, fällt?
Dann entscheidet ganz alleine der Kämpfer, ob er in den Ring will oder nicht. Manche unserer Muslime trainieren im Ramadan nicht. Das respektieren wir selbstverständlich. Der Respekt vor dem anderen Menschen, der ist überhaupt das Entscheidende. Ohne Respekt kann es kein vernünftiges Miteinander geben...